Politische Effekthascherei

Absturz im blauen Gebirge

d'Lëtzebuerger Land vom 24.01.2014

Heute loben wir die politische Effekthascherei. Was zum Teufel ist denn in die neue Kulturministerin gefahren? Sie hat sich noch nicht einmal komfortabel in ihrem Amt eingerichtet, und schon leistet sie sich einen sonderbaren Fauxpas. Und zwar einen, der das ganze Volksverbundenheits- und Transparenzgetöse der Dreierkoalition auf einen Schlag ins Wanken bringt. Die Geschichte ist so simpel wie fragwürdig: Das Ministerium bestellt bei der Künstlerin Justine Blau ein Motiv für die Glückwunschkarten, die traditionell zum Jahresende von der Verwaltung verschickt werden. Diese Karten werden planmäßig gedruckt, und mehrere Ministerialbeamte benutzen sie denn auch ohne irgendein Problem.

Dann tritt die Ministerin auf den Plan. Ihr gefallen die Karten nicht. Für ihre eigenen Postsendungen bestellt sie neue Karten und desavouiert so Justine Blau. An sich wäre diese Episode lächerlich, würde sie nicht grundsätzliche Fragen aufwerfen. Zunächst möchten wir gerne wissen, was Frau Nagel an Justine Blaus Arbeit auszusetzen hat. Was stört sie an dieser schönen Collage, die mit einem Verfremdungseffekt arbeitet – eine Gebirgskette durchschneidet perspektivisch überraschend eine Waldlandschaft – und genau dem Konzept der „Fotoskulptur“ entspricht, das die Künstlerin für ihre überaus spannenden grafischen Werke geltend macht?

Nun, die Ministerin äußert sich nicht. Kommunikation scheint bei ihr nicht auf der Tagesordnung zu stehen. Sie hält es sogar für überflüssig, wenigstens die betroffene Künstlerin minimal zu informieren. Deren Werk wird einfach gekippt, und für die Ministerin herrscht wieder Business as usual. Wir können also nur mutmaßen, was Frau Nagel so nachhaltig irritiert hat. Vielleicht mag sie eher einen anderen Landschaftstypus, zum Beispiel Campingplätze mit schmucken Chalets und Wohnwagen. Oder eine sprudelnde Quelle, am besten mit Mondorfer Heilwasser. Vielleicht ist ihr das Panorama einer Gebirgskette einfach zuwider, nichts als blanker Horror, wer weiß. Vielleicht bewegt sie sich lieber im flachsten Flachland und forscht entsprechend nach flachen Bildern.

Doch ganz unabhängig von den privaten Präferenzen der Frau Nagel geht es hier um etwas ganz anderes: Eine Ministerin sollte sich strikt aus künstlerischen Belangen heraushalten. Denn wenn ihr schon Justine Blau gegen den Strich geht, darf man annehmen, dass ihr mehr als wahrscheinlich auch andere Künstler nicht zusagen. Dann wären wir an einem kritischen Punkt angelangt: Was bedeutet diese offen zur Schau gestellte Ablehnung für die Künstler? Wie wirkt es sich zum Beispiel auf die Subventionspolitik der Ministerin aus – oder ganz allgemein auf die logistische oder rein moralische Unterstützung durch den Staat –, wenn bestimmte Künstler bei ihr „keinen Stein im Brett haben“? Eigentlich dürften diese Fragen gar nicht auftauchen. Vorausgesetzt, die Kulturpolitik stellt sich in den Dienst der Künstler, und nicht umgekehrt. „Ministerin“ heißt übersetzt „Dienerin“ und nicht „Herrscherin“. Der Auftrag der Ministerin sollte sich folgerichtig darauf beschränken, nach einem gerechten Schlüssel jene Steuergelder zu verteilen, die sie zu verwalten hat. Gestalterische Einmischung liegt nicht in ihrer Kompetenz.

Pikant an dieser unverdaulichen Geschichte ist, dass die Künstlerin Justine Blau den Nachweis ihrer Güteklasse, gar ihrer Exzellenz, längst nicht mehr zu liefern braucht. Ihre Werke sprechen für sie, hier und in zahlreichen ausländischen Kunsthäusern (siehe justineblau.com). Sie hat es nicht nötig, von der Ministerin mit einer stupenden Hemdsärmeligkeit behandelt zu werden, ganz so, als sei sie eine Dilettantin, die man nach Belieben verwirft oder abkanzelt. In diesem Fall hat übrigens die Künstlerin gegenüber der Ministerin einen entscheidenden Vorteil: Sie argumentiert öffentlich, sie begründet ihre Arbeitsweise, ihre Techniken und Zielsetzungen und lässt sich an ihren eigenen Leistungen messen. Die Ministerin hingegen verzichtet auf jeden Diskurs. Sie geht offenbar davon aus, dass allein ihr Amt – das ja nichts weiter ist als eine reine Formalität – ihr das Recht gibt, nach ihrem Gusto über Kunstschaffende zu verfügen.

Ohnehin bleibt die Frage: Auf welche ästhetischen Kriterien stützt sich die Kulturministerin eigentlich? Sie ist noch nie in ihrer politischen Laufbahn mit einer besonderen Kulturaffinität in Erscheinung getreten. Und schon gar nicht mit klar definierten Sentenzen zur Kunstgeschichte. Woher bezieht sie also ihre künstlerische Selbstherrlichkeit? Hat sie überhaupt einen eigenen Kunstansatz, oder zumindest nachvollziehbare Kunstauffassungen? Natürlich sind diese Qualitäten bei einer Verwaltungsbeamtin nicht zwingend erforderlich. Aber dann sollte sie nur das tun, wozu sie bestellt wurde: die Verwaltung betreuen.

Zugegeben, die Suche nach den verborgenen Maßstäben der Kulturministerin war nicht einfach, aber wir sind schließlich fündig geworden. Das allerdings ist ein eigenes Kapitel wert. Rendezvous demnach in einer Woche, zu einer kleinen Revue der ministeriellen Gräuel.

Guy Rewenig
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