Ein Bericht stellt die Qualität der Physiotherapeuten-Ausbildung an der privaten Lunex University Differdingen infrage. Die ist entrüstet, das Hochschulministerium verwundert

Nicht gleich alles perfekt

d'Lëtzebuerger Land du 25.10.2019

Vor drei Wochen erhielt LSAP-Gesundheitsminister Etienne Schneider einen Bericht über die Personallage bei Ärzten und Paramedizinern, den er im Dezember 2018 in Auftrag gegeben hatte (d’Land, 11.10.2019). Wer die Vollversion der fast 700 Seiten langen Studie liest, findet auf den Seiten 587 und 588 etwas besonders Brisantes. Um die „Formation des kinésithérapeutes à la LUNEX University“ geht es dort.

Dazu heißt es: „Lors de l’étude de nombreuses critiques ont été émises sur la qualité de la formation des kinésithérapeutes réalisée au sein de la LUNEX University alors que ces nouveaux diplômés auront le même titre professionnel que celui du kinésithérapeute obtenu à l’étranger.“ Grund für die Kritiken sei gewesen, welche Kompetenzen an den Studenten bei Praktika festgestellt wurden. Die „critiques les plus sévères“ hätten sich auf die Anatomiekenntnisse der Studenten bezogen, auf ihre Kenntnisse von Pathologien und ihre Fertigkeiten in Behandlungstechniken. Und der Bericht behauptet: „Les professeurs qui assurent les cours ne sont pas expérimentés pour garantir des enseignements conformes aux programmes de kinésithérapie dans une école en France ou en Belgique par exemple.“ Dem Gesundheitsminister wird empfohlen, eine unabhängige Kommission einzuberufen, die Lunex-Absolventen im Fach Physiotherapie (Kinésithérapie) überprüft, ehe ihnen die Ausübung des Berufs genehmigt wird.

Die vom Land kontaktierte Autorin des Berichts, Marie-Lise Lair, erklärt, ihre Feststellungen gingen zurück auf Gespräche mit „Akteuren, die Studenten zu Praktika empfangen haben, sowohl freiberufliche Physiotherapeuten als auch Krankenhäuser“. Die Befunde hätten „absolut nichts“ damit zu tun, dass ein Student schwächer sein kann, die andere Studentin stärker. Vielmehr seien „Konfiguration und Ablauf der Ausbildung“ infrage gestellt worden. Marie-Lise Lair, die ehemalige Leiterin der Forschungsabteilung Öffentliche Gesundheit am Centre de recherche public de la Santé, dem heutigen Luxembourg Institute of Health, findet, man müsse „aufpassen, keine unzureichend ausgebildeten Therapeuten auf den Markt zu lassen“.

Lunex ist vom Hochschulministerium seit 2015 als eine „spezialisierte Hochschuleinrichtung“ akkreditiert. „University“ kann sie sich nennen, weil diese Bezeichnung in Luxemburg nicht speziell geschützt ist. Träger der Lunex ist eine Aktiengesellschaft, die zur Hamburger Cognos-Gruppe gehört, einem der größten privaten Bildungsanbieter in Deutschland. Als Cognos vor rund fünf Jahren mit der Gemeinde Differdingen ins Gespräch über eine eventuelle Hochschul-Gründung kam, berichtete die Presse, das werde eine „Kinés-Uni“. Offiziell eingeweiht wurde Lunex in Oberkorn im November 2016 als „International University of Health, Exercise and Sports“. Die Ausbildung findet auf Englisch statt. An Studiengängen werden neben „Physiotherapy“ – dem größten – „International Sport Management“ und „Exercise and Sport Science“ angeboten.

Über die Aussagen zur Physiotherapie im Bericht an den Gesundheitsminister ist man bei Lunex konsterniert. „Mit uns hat keiner gesprochen, wir wurden für den Bericht nicht interviewt“, sagt Lunex-CEO Holger Korte. Roberto Meroni, der Chef der Abteilung Physiotherapie, ergänzt: „Ich weiß nicht, wie diese Studie zustande kam, auf welchen Zeitraum sie sich bezieht, mit wem dafür gesprochen wurde und worüber genau. Wo ist die Datengrundlage für diesen Bericht?“ Besonders ärgert ihn die Behauptung, den Physiotherapie-Lehrkräften der Lunex mangele es an Erfahrung, verglichen mit Kolleginnen und Kollegen in Frankreich und Belgien. Wer so etwas in die Welt setze, ohne Belege mitzuliefern, handle „fahrlässig“.

Meroni zitiert aus eigenen Daten über die letzten zwei Semester. Von insgesamt 266 Praktika, die in dem Zeitraum absolviert wurden, habe es nur fünf Reklamationen gegeben. „Wir nehmen das ernst, eventuell kann dem Studenten in dem Fall das Praktikum nicht anerkannt werden.“ Dass akute strukturelle Probleme in der Ausbildung bestünden, weist man bei Lunex zurück: „Wenn es ein Feedback gibt, das auf so etwas hindeutet, nehmen wir Anpassungen vor“, betont Andreas Mierau, der Akademische Direktor. „Das ist ein ganz normaler Feedback-Prozess, Herausforderungen gibt es immer.“ Es sei auch schon vorgekommen, dass Lunex entschied, mit Anbietern von Praktika nicht mehr zusammenzuarbeiten, weil das Angebot die notwendigen Standards nicht erfüllte. Das dreijährige Bachelor-Studium in Physiotherapie sehe insgesamt 950 Stunden Praktikum vor. Die teilen sich in drei Acht-Wochen-Blöcke auf. „Kann ein Anbieter die Dauer von mindestens acht Wochen nicht garantieren, verzichten wir auf ihn aus organisatorischen Gründen.“ Mierau erinnert sich, dass über einen Anbieter in Luxemburg und einen in Frankreich so entschieden wurde.

Der Lunex-Direktion zufolge treten Physiotherapie-Studenten ihre Praktika „fast nur in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen“ an. Von den vom Land kontaktierten Direktionen der vier großen Krankenhausgruppen, des Rehazenter und des interkommunalen Krankenhauses in Steinfort, das in der Rehabilitation aktiv ist, reagierten auf die Frage, ob bei ihnen Beobachtungen gemacht wurden, die den Aussagen im Bericht ähneln, die meisten nicht. Lediglich die Hôpitaux Robert Schuman und das CHL äußerten sich per E-Mail. Die Schuman-Direktion ließ wissen, in ihren Spitälern seien „noch nie“ Lunex-Praktikanten empfangen worden. Das CHL dagegen tut dies „regelmäßig“, so dessen Kommunikations-Chefin Nadine Kohner. Es pflege auch einen Kontakt „über die jeweiligen Praktikumsprogramme und auch um auf etwaige Schwachstellen hinzuweisen“. Im Mai habe man sich während eines Clinical Educators’ Day mit den Verantwortlichen der Lunex ausgetauscht, auch über Verbesserungsvorschläge im Ausbildungsprogramm diskutiert. Das darüber für die CHL-Direktion angefertigte Protokoll sei jedoch „intern“. Generell, so Kohner, „würden wir uns nie öffentlich darüber äußern, wie zufrieden wir mit welchen Praktika-Studenten sind“. Das geschehe „nur im direkten Gespräch mit dem jeweiligen Partner“.

Was es im Prinzip denkbar erscheinen lässt, dass das CHL sich für den Bericht an den Gesundheitsminister geäußert hat – wenn nicht über Praktikanten individuell, dann vielleicht verallgemeinernd über die Qualität der Ausbildung bei Lunex. Andere Häuser vielleicht auch. Im Gesundheitsministerium scheinen aber keine besonderen Bedenken zu bestehen, womöglich unzureichend ausgebildeten Physiotherapeuten die Berufszulassung zu erteilen: Auf die Frage, ob Minister Etienne Schneider schon entschieden hat, wie mit den Aussagen in dem Bericht umzugehen sei, und ob er eine „Kommission“ einzusetzen erwägt, entgegnet Ministeriums-Sprecherin Monique Putz, da Lunex eine Einrichtung ist, die vom Hochschulministerium akkreditiert wurde, sei dieses dafür zuständig.

Das Hochschulministerium wiederum sieht keinen Anlass, der die Akkreditierung der Lunex und ihrer Studiengänge infrage stellen könnte. Man gehe „absolut nicht“ davon aus, dass die Physiotherapie-Ausbildung in Differdingen so kritikwürdig ist, wie in dem Bericht angedeutet wird, erklärt Generalkoordinator Léon Diederich. „Zur Akkreditierung privater Hochschuleinrichtungen bestehen bei uns Prozeduren, und die sind vielen sogar zu streng.“

Allerdings hat der Einblick des Hochschulministeriums in die Lunex, wie auch der in die anderen spezialisierten privaten Hochschuleinrichtungen, seine Grenzen. Minister Claude Meisch (DP) hatte im September eine parlamentarische Anfrage des CSV-Abgeordneten Georges Mischo zur Lunex beantwortet und hielt dabei, „um völlig transparent zu sein“, den Hinweis für nötig, „verschiedene Einzelheiten“ seiner Antwort würden auf einer „offiziellen Stellungnahme“ der Lunex basieren. Denn das Hochschulministerium habe „aufgrund der Autonomie der Lunex keinen unmittelbaren Zugang zu verschiedenen internen Informationen“. Mischo hatte unter anderem wissen wollen, ob Physiotherapie-Studenten ihre Praktika, „wie das Gesetz es vorsieht, in vom Ministerium anerkannten Institutionen“ absolvieren, und wer die Praktika kontrolliert. Claude Meisch antwortete dazu lediglich, die Praktika würden „in verschiedenen Einrichtungen gemacht, wie zum Beispiel in Spitälern und Rehabilitationszentren“. Drei Koordinatoren der Lunex würden die Praktika überwachen und den Kontakt mit den Betreuurn der Praktikanten in den einzelnen Einrichtungen halten.

Dass das Hochschulministerium sicher sein kann, dass die im Bericht an den Gesundheitsminister geäußerten Kritiken „absolut nicht“ berechtigt sind, scheint deshalb nicht ohne weiteres auf der Hand zu liegen. Im Sommer durchlief die Physiotherapie an der Lunex wieder eine jener Akkredierungsprozeduren, in denen das Ministerium tieferen Einblick in die spezialisierten Hochschuleinrichtungen im Lande erhält: Lunex hatte die Akkreditierung eines Master-Studiengangs beantragt, der den Physiotherapie-Bachelor ergänzen soll. Denn seit Ende 2018 sind in Luxemburg nicht mehr drei, sondern fünf Jahre Studium Pflicht, um als Physiotherapeut zugelassen zu werden. Voll in Kraft tritt die neue Verordnung nach drei Jahren Übergangsphase.

Im Unterschied zu früher rief das Ministerium für die Akkreditierung kein Komitee zusammen, sondern beauftragte die Akkreditierungsagentur Hcéres aus Paris. Die empfahl schließlich, den den neuen Master-Studiengang nur unter Auflagen zu genehmigen. Was das Ministerium auch tat. Der Master startete diesen Herbst, die Auflagen müssen bis Mitte September 2020 erfüllt sein.

Und diese Liste ist nicht gerade kurz: Verlangt wird von Lunex zum Beispiel, die Kriterien offenzulegen, nach denen sie Praktikumsplätze und Praktikumsverantwortliche auswählt, über die Praktikumsplätze der im Jahr 2019/20 ins Master-Studium eingeschriebenen Studenten muss sie eine Liste vorlegen. Eine „Forschungsstrategie“ soll Lunex sich geben, außerdem zeigen, dass sie über genug akademische Lehrkräfte verfügt und über die nötigen Infrastrukturen. Hcéres hatte als einen „Schwachpunkt“ der Lunex ein „Risk of misadaptation linked to the identified gap between the announced educational objectives and the fixed commercial orientations“ genannt. Was sich so verstehen lässt, als könne Lunex als For-profit-Unternehmen, das sich wesentlich aus Studiengebühren finanziert (750 Euro pro Monat), den wirtschaftlichen Ertrag über die Qualität der Ausbildung stellen und womöglich mehr Studenten annehmen, als sich tatsächlich verkraften lassen.

Was Lunex-CEO Holger Korte bestreitet. „Privathochschule ist nicht gleichbedeutend mit Geldmaschine. Unsere Mission ist es, ein hochwertiges Studium anzubieten.“ Korte räumt ein, von den pro Semester 40 Physiotherapie-Studenten, als der Bachelor startete (also 80 im ersten Jahr), sei die Zahl „gestiegen“. Auf doppelt so viele im Studienjahr 2018/19, wie der Hcéres-Bericht festhielt. Doch es gebe immer Studienabbrecher, betont Korte. Der erste Gruppe aus dem Physiotherapie-Fach, die im Frühjahr dieses Jahres ihr Bachelor-Studium abschloss, habe 36 Absolventen gezählt.

Den Auflagen in der Akkreditierung des neuen Master-Studiengangs stelle Lunex sich natürlich. Praktikumsplätze und die Kriterien dafür aufzulisten, sei international Standard. Zusätzliches Lehrpersonal sei schon eingestellt worden, und das gehe weiter. An der Ausweitung ihrer Forschung arbeite Lunex auch. „70 Prozent unserer Mitarbeiter haben einen Doktortitel, und wir haben sieben Professoren.“ 2018 habe Lunex auf 39 Publikationen in Wissenschafts-Journalen mit „Impact factor“ verweisen können, „das ist für eine so junge Hochschule beachtlich“. Schlecht verdient scheint Lunex, seit sie den Studienbetrieb in den drei Fachrichtungen aufnahm, aber ebenfalls nicht zu haben. „Im Oktober 2018 haben wir den Break-even-point erreicht“, erklärt der CEO. Für 2019 rechnet er mit einem Jahresüberschuss von 200 000 Euro vor Steuern und Zinsen und für 2020 zum ersten Mal mit einem positiven Cash-flow. Die Lunex-Direktion sieht ihre Hochschule in einem kontinuierlichen Aufbau- und Verbesserungsprozess. Im Hochschulministerium wird das ähnlich gesehen: Lunex sei noch jung, und sogar bei der Universität Luxemburg sei nicht gleich alles perfekt gewesen.

Peter Feist
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