Während sich die Genehmigungsprozedur für die Dexia-Rettung bei der EU hinzieht, steigen die Sorgen um deren Wirkung auf die Staatsfinanzen

Kristallkugel

d'Lëtzebuerger Land du 02.12.2011
Eigentlich kann es ein wenig erstaunen, dass es so lange gedauert hat, bis eine der Oppositionsparteien genauer hinschaut, welche Risiken die Rettung der belgisch-französich-luxemburgischen Bankengruppe Dexia für die Luxemburger Staatsfinanzen birgt. Belgien, Frankreich und Luxemburg stellen gemeinsam Garantien über 90 Milliarden Euro. Im Gegensatz zu Frankreich und Belgien, wo die Volksvertreter Untersuchungsausschüsse gebildet haben, um die Vorgänge zu analysieren, wurden in Luxemburg verhältnismäßig wenige Fragen gestellt. Und auch auf die gibt es bisher kaum Antworten vom Finanzminister. 

Nun haben sich Luxemburger und belgische Grüne zu einer Zweckallianz zusammengetan. Am Dienstag traten der Fraktionsvorsitzende von déi Gréng, François Bausch, und Georges Gilkinet, Abgeordneter von Ecolo und Mitglied des Sonderausschuss Dexia im belgischen Parlament, zur gemeinsamen Pressekonferenz an. Die Ziele des Zweckbündnisses könnte man wie folgt zusammenfassen: Den Belgiern geht es darum, Verbündete in der Auseinandersetzung mit Frankreich zu suchen. Den Luxemburgern wahrscheinlich darum, überhaupt einmal Informa-
tionen zu sammeln und Einblick in die Erkenntnisse des Sonderausschusses zu erhalten. Denn außerhalb der belgischen Regierung regt sich zunehmend Widerstand gegen das im Oktober beschlossene Abkommen, nach dem, basierend auf dem Verteilungsschlüssel, den die Staaten für die ersten Rettungseinsätze im Herbst 2008 beschlossen hatten, Belgien 60,5 Prozent der Lasten trägt (54,4 Milliarden Euro), Frankreich 36,5 Prozent (32,85 Milliarden Euro) und Luxemburg drei Prozent (2,7 Milliarden Euro). 

Das, bemängeln belgische und Luxemburger Grüne nun gemeinsam, sei keine gerechte Lastenaufteilung. Einerseits, weil die Fehler, die zum Kollaps der Bank geführt haben, vor allem in Frankreich passiert seien. Um so unfairer finden belgische und Luxemburger Grüne das Garantie-Abkommen andererseits, weil Frankreich, die größte der drei implizierten Volkswirtschaften, einen unverhältnismäßig geringen Anteil am Risiko trage. 

„Unsere Regierungen müssen aufhören naiv zu sein“, so Gilkinet, der kritisiert, die belgische Regierung habe ihre Zustimmung „sehr leichtfertig“ gegeben. Schon jetzt spüre Belgien die Folgen, obwohl der Rettungsplan von der Europäischen Kommission, die den staatlichen Hilfen aus Wettbewerbsgründen stattgeben muss, noch gar nicht abgesegnet und damit auch nicht aktiv ist. Weil die Finanzmärkte negative Konsequenzen auf die Kreditwürdigkeit Belgiens befürchten, dessen Staatsverschuldung 96,2 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt, stiegen die Zinsen auf belgischen Anleihen. Die eigene Bonitätsbewertung zu schützen, sei aber das Kalkül der Franzosen gewesen.

Ob auch die Luxemburger Regierung in vorauseilendem Eifer gehandelt hat oder keine andere Wahl hatte? Die dreiprozentige Beteiligung Luxemburgs geht auf das Rettungspaket von 2008 zurück. Damals hatten die Staaten eine Kapitalerhöhung der Bankgruppe beschlossen. Belgien und Frankreich stiegen mit sechs Milliarden Euro ins Firmenkapital ein. Luxemburg sollte sich an dieser Kapitalerhöhung durch den Kauf einer Wandelanleihe von 376 Millionen Euro beteiligen. Die Transaktion wurde in Folge der Verhandlungen mit den europäischen Wettbewerbsbehörden gestrichen, fand nie statt. Mit dem Resultat, dass der Luxemburger Staat nie Dexia-Teilhaber wurde, heute aber gemeinsam mit den anderen Aktionären bürgt. 

Ein Engagement, das bis 2031 gilt – zehn Jahre lang, bis 2021, kann Dexia1 im Schutz der staatlichen Garantien Anleihen mit einer maximalen Laufzeit von zehn Jahren ausgeben. Sollte sie diese nicht termingerecht abbezahlen können und die Bürgen einspringen müssen, würde die Luxemburger Verschuldung im Vergleich zum aktuellen Stand (19,1 Prozent im Verhältnis zum BIP) schlimmstenfalls um 35 Prozent in die Höhe schnellen. Das Engagement von 2,7 Milliarden Euro entspricht 6,4 Prozent der Luxemburger Wirtschaftsleistung. Ein Engagement, dem Finanzminister Luc Frieden (CSV), kurz nach der nächtlichen Krisensitzung über eine großherzogliche Verordnung für die Dauer von drei Monaten Gültigkeit verlieh. 

Über einen Zusatzparagrafen zum Haushaltsgesetz für 2012 soll Anfang Dezember auch das Parlament seine Zustimmung geben. Dies, wie Bausch bemängelt, ohne dass darüber mit der notwendigen Sorgfalt diskutiert werde und Bedingungen gestellt würden, wie sie etwa die französischen Volksvertreter ausgehandelt hätten. Die hätten die Garantievergabe unter anderem an die Erstellung von detaillierten Berichten über die Zusammensetzung und die Entwicklung des abgesicherten Portfolios geknüpft, während der Luxemburger Gesetzentwurf nichts dergleichen vorsehe. Die Grünen, so Bausch, würden den Haushaltsentwurf 2012 deswegen ablehnen, man werde keinen Blankoscheck ausstellen. 

Dabei gab es in den Gutachten zum Haushaltsentwurf 2012, wenn auch dezente, Kritik. Die Arbeitnehmerkammer sorgte sich, teils mit kaum nachvollziehbaren patriotischen Reflexen, vor allem um die Folgen der geplanten Übernahme der Banque internationale à Luxembourg (Bil) durch eine Investorengruppe aus Katar. Der Staatsrat meinte, es sei zu befürchten, dass sich die Bürgschaften zumindest teilweise in tatsächlich Ausgaben verwandeln, und die Cour des comptes rechnete vor, 2,7 Milliarden Euro neue Dexia-Grantien, 878 Millionen Euro noch laufende Garantien aus dem ersten Dexia-Rettungspaket von 2008 plus zwei Milliarden Euro Bürgschaften für den Europäischen Rettungsfonds EFSF, der überverschuldeten Euro-Staaten hilft, machten zusammen 5,6 Milliarden Euro, sprich 13,11 Prozent im Verhältnis zum BIP: „Ces garanties risqueraient d’influencer fortement la situation financière de l’État si elles étaient invoquées.“ Eine Beobachtung, die auch der Berichterstatter Gilles Roth (CSV) übernommen hat. 

Wie wahrscheinlich es ist, dass die Bürgen der Dexia-Bad-Bank einspringen müssen, versuchten Gilkinet und die anderen Mitglieder des belgische Sonderausschuss herauszufinden, als sie Anfang November Dexia-CEO
Pierre Mariani befragten. „Je suis désolé, je n’ai pas de boule de cristal“, war seine Antwort. Den Garantien über 90 Milliarden Euro stünden kurzfristige Refinanzierungsansprüche von 50 bis 60 Milliarden gegenüber. 

Die Bad Bank enthalte Aktiva von ungefähr 250 Milliarden Euro – wie viel genau, wisse man erst, wenn klar sei, welcher Anteil mit dem Verkauf der Bil abgetreten werde, erklärte Mariani. Hinzu kämen ungefähr 800 Milliarden Euro Außerbilanzposten, vor allem so genannte interest rate swaps, mit denen sich die Bankengruppe gegen das Risiko von Zinsveränderungen versicherte. Positionen, die bei steigenden Zinsen gegen die Dexia-Gruppe wirken. Zu den Aktiva gehörten Staatsanleihen, Projektfinanzierungen und Kredite an Kommunen in Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich. Zu fragen, wie hoch das Ausfallrisiko auf dem Portfolio sei, laufe also darauf hinaus zu fragen, wie es um das Ausfallrisiko der betroffenen Staaten stehe, so Mariani. 

Die Bad Bank, die nach der Zerschlagung übrig bleibe, werde „eine Gruppe, die defizitäre Ergebnisse erzielen wird, angesichts der Refinanzierungskosten und angesichts der Garantiekosten“, so Mariani vor dem Untersuchungsausschuss. Die Frage, die man auch mit der EU-Kommission diskutiere, sei, „ob die Situation über die Dauer verwaltbar ist“. Das hängt natürlich davon ab, ob die Gruppe über das nötige Eigenkapital verfügt, um die Verluste, die Mariani vorhersagt, auszugleichen. Ansonsten „bestehe das Risiko einer Konsolidierung eines Teils des Ergebnisses in den Staatschulden ...“. Auch das sei ein Punkt, den man mit der EU-Kommission diskutiere, so der CEO. „Meine Überzeugung, und die des Aufsichtsrates, (...) ist es, dass die Gruppe heute sicherlich ein leicht negatives Resultat ausweisen wird, aber die nötigen Eigenmittel hat, um die Verluste über die Dauer auszugleichen“, bekräftigte Mariani Anfang November.
Besagte Eigenmittel soll die Bad Bank aus dem Verkauf der Filialen beziehen, unter anderem der Bil, von Dexia Asset Mangement, der türkischen Deniz Bank, wobei die Holding im Zuge der Nationalisierung der Dexia Banque Belgique einen Verlust von 4,5 Milliarden Euro hingenommen hat. 

Was der Plan B sei, sagt François Bausch, habe er den Finanzminister vor wenigen Wochen im Finanz- und Haushaltsausschuss gefragt, falls das Geschäft mit den Investoren aus Katar scheitere. Dann bleibe nur eine Lösung nach belgischem Modell, soll Frieden geantwortet haben. Seit Anfang Oktober sagt Luc Frieden, es sei eine Sache von Tagen, bis der Deal durch die Zustimmung der Kommission abgehakt sei. Dabei wiederholte EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia am Donnerstag in Brüssel Journalisten, man verfüge nicht über die nötigen Informationen, um eine Entscheidung zu treffen. 

In der Zwischenzeit hat sich die Refinanzierungslage der Dexia dermaßen zugespitzt, dass sie auf die, sehr teuere, Notversorgung durch die Zentralbank angewiesen ist. Deswegen wurde nicht über eine neue Lastenverteilung zwischen den drei Bürgen diskutiert, wohl aber über eine Zwischenlösung für die Zeit, die die Kommission braucht, um den Rettungsplan zu analysieren und zu genehmigen. L’Écho hatte berichtet,  das neue – fertige – Abkommen sehe Garantien in Höhe von 40 bis 45 Milliarden Euro über einen Zeitraum von sechs Monaten vor. Auf Nachfrage hieß es aus dem
Finanzministerium, die Verhandlungen liefen. 

Bei der Bil hat man aus Marketinggründen inzwischen das „Dexia“ aus dem Logo entfernt. Wann aber mit der Abspaltung vom Konzern zu rechnen ist, darüber äußert sich auch die Bank nicht. Der Vorsitzende von Dexia Banque Belgique, die in Kürze auch einen anderen Namen tragen will, zeigte sich belgischen Medien gegenüber am Mittwoch optimistisch, dass die Garantien bald genehmigt würden.

1 Die Garantien gelten der Holding Gesellschaft Dexia SA und der französischen Sparte Dexia crédit local (DCL).
Michèle Sinner
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