Moutarderie de Luxembourg

Irgendwie mittelscharf

d'Lëtzebuerger Land vom 09.12.2010

Das ganze Großherzogtum in einem Glas. Mit ohne Schnee. Mit ohne Idyll. Aber mit viel Inhalt. Als 820-Gramm-Glas-Variante mit Dosierspender, in mittelgroßer Aufmachung mit Griff oder im schicken Bofferding-Design. Wer weniger heimatliche Romantik möchte, der greift zur schnöden Tube. Wer am Morgen daran erinnert werden möchte, kauft den Kaffeebecher. Und wer einfach nicht genug bekommen kann, für den gibt es den Zehnliter-Plastikeimer. Voll mit Moschter, Moutarde, Senf. Aus Luxemburg. Ein Klassiker für Küche und Großherzogtum.

Die Geschichte der luxemburgischen Würze ist schnell erzählt: Vor knapp neunzig Jahren begann in der Mohrfelsmühle im Pfaffenthal die Senfmacherei. Mitte der Siebzigerjahre übernahm die Familie Monhowen den Betrieb. Sie waren keine Neulinge im Senffach, denn bereits zwanzig Jahre zuvor haben sie unter der Marke „Moutarde Royal“ eine eigene Würzpaste hergestellt. 1986 wurde die Produktionsstätte Mohrfelsmühle geschlossen. Seitdem kommt der Senf, der stolz sein Heimatland im Namen trägt, aus Howald. Der Firmensitz liegt in Munsbach. Die Munhowens setzen auf Tradition – Senfmeister ist Jeannot Reinhard, dessen Schwiegervater schon Moutardier in der Mohrfelsmühle war – und Fortschritt, denn sie erweiterten die Produktionspalette um Majonäse.

Den Senf gibt es mittlerweile in drei Geschmacksrichtungen, neben dem althergebrachten Moutarde de Luxembourg, gibt es noch eine „star-ke“, sprich scharfe, und eine traditio­nelle Rezeptur. Diese ist grobkörnig. Schließlich habe sich, so Roland Munhowen, Geschäftsführer der Moutarderie, einst in einem Zeitungsbeitrag, die Essgewohnheiten der Menschen in Luxemburg geändert. Weitere Experimente mit Senfvarianten, die unter anderem die pikante Paste mit Estragon, Honig, orientalische Gewürze und Kräuter verfeinerten, waren von kurzer Dauer. Das Geschäft der Senfpanscherei überlässt man den Wettbewerbern aus Dijon, die alles, aber auch alles in Gläser füllen, eine wohlklingende Bezeichnung darauf kleben, um damit im europäischen Ausland zu reüssieren. Die Deutschen kaufen Dijon in allen Varianten. Das macht die eigene Küche so weltmännisch exquisit. Als käme mit dem Senf ein Bocuse-Stern des Wegs.

Den Luxemburger Senf hingegen kennt man jenseits von Mosel, Our und Ardennen kaum. Der Großteil des Moschter bleibt im Großherzogtum. Schließlich ist man hier Marktführer und will es auch bleiben. Ein großer Teil der Produktion gelangt über den Handel an den Endverbraucher, sprich auf die luxemburgische Tafel. Der Rest wird im Direktvertrieb an Gastronomen jedweder Couleur geliefert. Nur Touristinnen und Touristen, die den Kachkéis nicht zubereiten können und zuhause dennoch mit einem unvergesslichen luxemburgischen Abend Eindruck schinden wollen, greifen gerne zum Senf aus Luxemburg. Mit Resteverwertung: Das leere Senfglas wird zum Zahnputzbecher. Und wer besitzt schon einen solchen aus Luxemburg?

Bleibt der Blick für das Wesentliche: Erstens. Senf gehört in die Küche und die Kochbücher. Schlicht an den Ort, an dem der Senf seine wahre Qualität entfaltet. In Geschmack, Würze und Schärfe. Keine gewöhnliche Küche, sondern die Küche Luxemburgs, die sich anschickt, Deutschland zu erobern. Vordergründig mit Feier­stengszalot, den die deutsche Hausfrau, die sich im Onlinekochbuch von Chefkoch.de für kommende Festtage vorbereitet, mit „Rindfleischsalat aus Luxemburg“ übersetzt bekommt. Auf dass es besser munde. In den Erläuterungen zum Rezept, die von User Vortex geliefert werden, wird es ursprünglich und genauer erklärt, warum der Moutarde de Luxembourg zu einem Botschafter seines Landes wurde und doch nicht die Grenzen des Großherzogtums überschreiten konnte. Der Rindfleischsalat wird zum Herrengericht erklärt – für richtige Männer eben, „die vom Felde kommen“, berichtet Vortex und weiß weiter: „Ist ein Sonntagsessen. Ja, Luxemburg war vor 100 Jahren noch ein armes Land.“ Dann kam der Senf. Dazu. Und legt ein Grundverlangen der Luxemburgerinnen und Luxemburger auf den Teller: Das Volk möchte sich mit Verve eine von Agrarwirtschaft bestimmte Identität geben. Die ist schöner, erdiger und anständiger – im Schweiße des Angesichts – als jedwede Großbank, die nur dafür sorgt, dass am Ende des Tags die Kasse stimmt. Doch im virtuellen Rezeptbuch geht die Erkundungsreise zum Feierstengszalot und soziokulturellen Hintergrundwissen weiter. Mit User Fadi, dessen Großmütter in Stolzemburg geboren wurden: „Luxemburger Senf – der ist weder zu scharf, noch zu süßlich.“

Damit ist es raus. Zweitens: Moutarde de Luxembourg ist laff. So ein Mittelding. Gelbbraungrünbeige in der Farbe, nicht wirklich uni, nicht echt senffarben. Nicht zu scharf, nicht zu süß. Alles irgendwie in der Mitte. Nur nicht anecken. Nur nicht würzig sein. Nur keine Schärfe haben. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Einfach Moutarde de Luxembourg. Das eigentliche Geheimnis der gelbgrünbraunen Paste offenbart denn auch das deutschsprachige Wikipedia: Der Senf „Made in Luxembourg“ wird nach einem elsässischen Rezept hergestellt. Das ist nicht weiter schlimm, denn der Düsseldorfer Löwensenf kommt eigentlich aus Metz, wo die Firma damals gegründet wurde, und wird im Dijon-Verfahren hergestellt, was die Moutarderie de Luxembourg in Howald eigentlich auch könnte. Dass der Dijon-Senf sicherlich auch keine Erfindung des Burgunds ist, sondern bestimmt von den Chinesen kreiert wurde, ist selbstredend ein Fakt, der durch die senfige Historie belegt wurde. Bereits vor 3 000 Jahren nahmen die alten Chinesen einen Klecks Senf zum Mahl. Ob er scharf, süß oder laff war, ist allerdings nicht überliefert.

Jetzt kann gerade darin der Vorteil des Senfs liegen, dass er mit seiner Schärfekeule nicht die Nase zum Kitzeln, die Augen zum Tränen und den Rachen zum Husten bringt, sondern dem herzhaften Gericht, der feinen Speise und dem vorzüglichen Essen seine eigene, ureigene Geschmacklichkeit lässt. Der Senf ist somit nur der ins Gelbbraune tendierende Farbklecks, wenn das Menü angerichtet wird. Dann braucht es eigentlich gar keinen Senf. Womit sich Drittens ergibt.

Der Luxemburger gibt gerne seinen Senf dazu. Davon können die Deutschen fast allabendlich ein Lied singen. Kaum stehen europapolitische Themen auf den Nachrichtenblöcken ganz oben und wird in den Fernsehsendungen nach Brüssel geschaltet, erscheint ein mittlerweile grauhaariger Luxemburger auf dem Bildschirm, der nichts anderes macht, als seinen Senf dazugeben. Dabei erledigt er Erstens und Zweitens mit. Gibt sich eine geneigte Identität, die irgendwas von Rechtschaffen und „im Schweiße des Angesichts“ hat, und bleibt. Die Franzosen interessiert dies überhaupt nicht. Sie haben ihren Dijon-Senf nebst zugehörigem Glas zum nationalen Heiligtum erklärt, das es mit Gerichten zu verteidigen gilt. Die Luxemburger wissen wohl noch nicht so recht und etikettieren gerne mit „Made for Luxembourg“.

Martin Theobald
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