Gilles Tooling mit Sitz in Wecker gehört zu den weltweit gefragtesten Motorrad-Zulieferern. Neu entwickelte Produkte werden von Rennfahrern getestet

Mit viel Liebe zum High end

d'Lëtzebuerger Land du 09.12.2010

Das Teil hat einen sperrigen Namen: rct12gt.rearset heißt es. Aber es liegt toll in der Hand, ist angenehm schwer, und seine eloxierte Oberfläche schimmert golden-dunkelgrün.

rct12gt ist eine Motorrad-Fußraste. Allerdings eine, die man gar nicht mehr aufhören mag, anzuschauen, weil sich an ihr immer neue Details entdecken lassen. Das kompakte Etwas lässt sich nicht nur um 180 Grad drehen und bietet dem Motorradfahrerstiefel zwei unterschiedliche Rastenprofile zum drauf treten an. Es lässt sich auch nach vorne und nach hinten verstellen und überdies noch in der Höhe variieren. Für so viel Multifunktionalität wurde an den Hersteller von rct12gt vor zwei Wochen ein Innovations-Spezialpreis der Fedil verliehen. Denn die Fußraste kommt aus Luxemburg, von der Gilles Tooling GmbH mit Sitz in Wecker. Die Firma gehört zu den gefragtesten Motorradzulieferern der Welt.

Ein wenig überraschend ist das schon für den, der Gilles Tooling noch nicht kennt. Mit seinen 27 Mitarbeitern ist das Unternehmen nicht gerade groß. In einem Mehrzweck-Gewerbegebäude in der Nähe des Wecker Bahnhofs belegt es zwei Etagen. Doch wenn Firmengründer Gerhard Gilles sagt: „Unsere Arbeit fängt da an, wo die Serie aufhört“, beginnt das Bild sich zu klären. Gilles Tooling ist im High-end-Segment tätig; dort, wo es vor allem um die Funktionalität eines Produkts geht.

Wie etwa um die Ergonomie von rct12gt: Die Verstellbarkeit der Fußraste wird durch eine Exzenter-Mechanik ermöglicht, auf die Gilles Tooling ein Patent hält. Als Material kommt hochfestes Aluminium zum Einsatz, wie es im Flugzeugbau verwendet wird. Jedes Teil wird in Wecker an CNC-Maschinen aus einem ganzen Aluminiumblock gefräst, die Endmontage erfolgt manuell. Neue Produkte werden, ehe sie auf den Markt kommen, von Rennfahrern erprobt. „Rennfahrer registrieren Veränderungen, die normale Fahrer nicht bemerken“, sagt Gerhard Gilles.

Er muss es wissen, denn er ist neun Jahre lang selber Rennen gefahren – in der deutschen Meisterschaft und in der Europameisterschaft. 1992 wurde er deutscher Juniorenmeister in der 250 Kubikzentimeter-Klasse. „Ich habe in meiner Zeit als Rennfahrer schon viel für meine Maschinen gebastelt“, sagt Gilles, der gelernte Werkzeugmacher. Der Gedanke, eine eigene Firma zu gründen, sei ihm gekommen, „als ich den Punkt erreichte, an dem ich mir sagte: Nun musst du was Richtiges machen!“ Gilles hatte Glück: Beim Aufbau des eigenen Unternehmens half ihm einer seiner Sponsoren. „Der hatte ein bisschen Geld übrig.“

Gilles setzte von Anfang an auf besonders hohe Produktqualität, schaffte nicht etwa seinen Einstand mit einfachen und preiswerten Modellen, um sich dann nach und nach in Richtung eines Premium-Segments im Markt zu bewegen. „Ich habe auch gleich im Preis Maßstäbe gesetzt. Zunächst hatte ich Bauchweh damit. Aber es hat funktioniert.“ Sein erstes Produkt namens as31gt bietet Gilles noch heute an – ebenfalls eine verstellbare Fußraste. „Die Nachfrage war seinerzeit gigantisch“, erinnert sich Gilles. Wahrscheinlich ist das nicht übertrieben, denn in Internet-Produktforen, in denen sich Motorrad-Aficionados austauschen, wird as31gt „legendär“ genannt.

Heute umfasst der Produktekatalog von Gilles Tooling neben Fußrasten auch Motorradlenker, Brems- und Kupplungshebelsysteme, Kettenspanner sowie verschiedene Spezialteile: etwa eine patentierte Sicherheitsverschraubung aus Titanium oder einen – ebenfalls patentierten – Aufprallschutz für Motorräder. Verkauft wird weltweit. Die USA und Groß­britannien sind für Gilles Tooling die größten Märkte. Dort, aber auch in Japan, den Niederlanden und in Belgien verfügt die Firma über ei­gene Importeure. In anderen Regionen sei der Online-Handel besonders wichtig; etwa in Hongkong und Südafrika, sagt Gilles. „Wir verkaufen mehrgleisig.“

Die Wirtschaftskrise überstand Gilles Tooling im Wachstum: Zwar brach in den USA der Markt um 50 Prozent ein. Doch diese Verluste konnte der Betrieb durch Lieferungen an BMW mehr als ausgleichen.

Die Zusammenarbeit mit den Bayerischen Motorenwerken war der Anlass, der Gerhard Gilles und seine Firma im Jahr 2005 nach Luxemburg führte. „Ab 2003 wuchsen wir sehr schnell. Als BMW an uns herantrat, um uns als Zulieferer zu gewinnen, hieß das, dass wir noch weiter wachsen mussten.“ Dafür sei in Wittlich, wo Gilles Tooling damals seinen Sitz hatte, kein Platz mehr gewesen. Gilles verlagerte den Betrieb nach Wecker. BMW wurde der „Rennkunde“ von Gilles Tooling, und Gilles Tooling wurde zum „strategischen Lieferanten“ von BMW. Soll heißen: „An BMW-Maschinen tragen unsere Produkte unser Logo, weil das für BMW ein Verkaufsargument ist.“ Nur noch zwei Lieferanten können von sich behaupten, für BMW derart strategisch bedeutsam zu sein: Brembo aus Italien, der weltgrößte Hersteller von Motorradbremsen, und Öhlins, ein Stoßdämpferproduzent aus Schweden.

Jedes Jahr mindestens ein neues Produkt auf den Markt zu bringen – das sei Teil der Firmenstrategie, erklärt Gilles. Geradezu verpflichtet zur ständig hohen Wertschöpfung ist sein Betrieb auch, weil er die meisten Einzelteile für seine Produkte selber herstellt. Das muss sich rentieren. Und so sind von den derzeit 27 Mitarbeitern vier in Vollzeit mit Produktentwicklung beschäftigt. Nicht selten sogar in zwei Schichten. An den Maschinen wird, je nach Auftragslage, sogar in drei Schichten gearbeitet.

Nicht zu vergessen – das Marketing. Messepräsenzen nennt Gerhard Gilles „enorm wichtig“. Sein Betrieb sei im Grunde ständig auf irgendeiner Messe vertreten und nicht selten auf mehreren zugleich. Erst am vergangenen Wochenende stand Gilles persönlich an einem Messestand in Deutschland. Zeitgleich nahm Gilles Tooling an zehn verschiedenen Motorrad-Messen in den USA teil. „Dafür“, sagt Gilles, „haben wir allerdings eine Agentur verpflichtet.“

In Luxemburg zu produzieren nennt er „attraktiv“. „Klar ist der Index ein Problem. Aber wenn ich die Rechnung bis zu Ende führe, sind die Kosten für mich in Luxemburg kleiner als sie es in Deutschland wären. Vorausgesetzt, man stellt High-Tech-Produkte her. Aber das tun wir ja.“

Kontakt zum Rennsport hält der frühere Rennfahrer nicht nur, indem er Prototypen neuer Erzeugnisse von Fahrern testen lässt. Gilles Tooling, der vor zehn Jahren durch die Unterstützung eines Sponsors entstand, ist nun selbst Sponsor und unterstützt Renn-Teams weltweit. Die Frage, ob er nicht manchmal Lust verspüre, an einem Rennen teilzunehmen, verneint Gerhard Gilles ohne zu zögern: „Ich mache jetzt etwas anderes. Aber etwas, das auch aufregend ist.“

Peter Feist
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