Rechtzeitig vor dem Sommerurlaub tritt am 15. Juni die neue Roaming-Regulierung in Kraft

Sonne, Meer, Netflix!

Ein junger Mann sitzt in einer Kunstaustellung auf einer Bank und starrt auf den Bildschirm seines Smartphones.
Photo: TPC
d'Lëtzebuerger Land du 09.06.2017

Selfies vom Schwimmbeckenrand oder in der Kunstausstellung, verpixelte Sonnenuntergänge, unscharfe Cocktails und Menschen in der Disko: Eine der Folgen der Abschaffung des Roamings kommende Woche wird sein, dass die Sozialnetzwerke wie Facebook und Instagram diesen Sommer wesentlich mehr mit solchen Bildern zugemüllt sein werden, als bisher schon. Auch wenn die Abo-Preise nicht sinken, wie man sich das als Verbraucher vielleicht durch die angekündigte Abschaffung hätte erwarten können, wird vielen Mobilfunkabonnenten mehr Datenvolumen zum Verbrauch im Ausland angeboten. Und die Konsumenten nutzen es. Sie surfen im Ausland, nutzen Streaming-Dienste zum Musikhören, chatten auf Whatsapp, kontrollieren den Status der „Freunde“ und schauen wohl sogar am Strand Netflix-Serien, wie Luis Camara Marketing-Chef von Tango berichtet.

Als Tango im Juni 2016 die Angebote in Vorbereitung auf das Inkrafttreten der neuen Regulierung schon einmal anpasste, stieg der Datenverbrauch im Ausland bei den Abonnenten um 200 Prozent, sagt Camara. Cliff Konsbruck, Direktor Post Telecom, hat ähnliche Erfahrungen gemacht, als die Post in der zweiten Jahreshälfte 2016 ebenfalls ihre Angebote adaptierte: „Der Verbrauch von Daten ist ganz stark angestiegen, hat sich teilweise verdoppelt. Bei den Sprach- und Textnachrichten ist das nicht der Fall.“ Bleiben die Mobilfunkabonnenten ständig online, so tätigen sie dafür nicht mehr Anrufe oder schreiben mehr SMS. Sie verhalten sich im Urlaub also genauso, als wären sie zuhause. Was, wie Konsbruck sagt, die Absicht hinter den jahrelangen Bemühungen der EU-Kommission war, das Roaming abzuschaffen. „Luxemburg ist das Land, in dem die Verbraucher am meisten von der neuen Regulierung profitieren“, ist sich Camara gewiss. Denn in keinem anderen EU-Land, würden die Mobilfunknutzer schneller in ein ausländisches Netz geraten als in Luxemburg.

Dabei gibt es, je nach Gewohnheiten, nicht nur Vorteile, weder für die Konsumenten, noch für die Mobilfunkoperateure, die unterschiedlich auf die neuen, von Brüssel diktierten Regeln reagiert haben. Tango hat als einziger Anbieter seine Abo-Preise um jeweils zwei Euro monatlich angehoben und dafür in den Sozialnetzwerken Kritik einstecken müssen. Das, sagen die Wettbewerber, habe dazu geführt, dass Kunden den Anbieter wechseln, was sie an den Anträgen zur Übertragung der Telefonnummern feststellen können. „Wir reden hier aber nicht von tausenden Kunden“, beschwichtigt Luis Camara, „das bewegt sich eher im Bereich der Hunderte.“ Anderen Tango-Kunden habe man deutlich machen können, dass sie für 24 Euro jährlich mehr, zum Beispiel im Tarif Tango Smart M, statt nur fünf Gigabyte Roaming jährlich, nun fünf Gigabyte monatlich im Ausland ohne Zusatzkosten verbrauchen könnten, ihnen also wesentlich mehr geboten würde und sie am Ende des Jahres Geld sparen würden, weil sie nicht wie bisher zusätzliche Gigabytes zum Verbrauch hinzukaufen würden.

Ob das ein besseres Angebot als bisher ist, was die Preissteigerung für die Kunden rechtfertigt, bleibt allerdings Ansichtssache. Denn waren die Kunden bisher gewohnt, im Ausland auf ihren Datenverbrauch Acht zu geben, um die Kosten unter Kontrolle zu halten, machten sie das innerhalb der Landesgrenzen vielleicht weniger. Ab nun spielt es keine Rolle, wo sie ihr Datenvolumen in Anspruch nehmen. Wenn es aufgebraucht ist und das Abo keinen uneingeschränkten Verbrauch vorsieht, muss nachzahlen, wer danach weiter surfen will, egal ob zuhause oder im Urlaub. Dass man aufgrund der neuen Roaming-Regulierung unbegrenzt und überall online sein könnte, stimmt so nicht, bei allen Operateuren gilt es, das Limit im jeweiligen Tarifplan einzuhalten.

Vergleicht man die verschiedenen Tarifkategorien der Operateure, liegt Tango aber auch nach seiner Preishausse nicht schlecht. Das populärste Angebot der Post ist der Scoobido L Tarif: Für 47,99 Euro monatlich bietet Post den Nutzern seit dem 1. Juni dafür 22 Gigabyte Datenverkehrsvolumen national und in Europa. Bei Tango heißt das entsprechende Angebot Tango Smart XL und kostet 48 Euro monatlich für 22 Gigabyte Datenvolumen in Europa und Luxemburg. Orange bietet im Tarifplan Elite 25 Gigabyte Datenverkehr für 40 Euro monatlich und für 50 Euro 25 Gigabyte im Tarif Ultimate. Bei Join Experience wirbt man zwar damit, dass es keine Obergrenze für die Internetnutzung gibt. Aber es gibt nicht alle Bytes zur gleichen Geschwindigkeit. So sieht der Join Plan Flat 4G XL Free beispielsweise vor, dass für 45,95 monatlich daheim und in Europa 15 Gigabyte im „Turbo speed“ nutzbar werden können. Danach reicht die Geschwindigkeit zwar noch zum Prüfen der E-Mails, aber nicht mehr zum streamen. Diese Preise gelten immer für den Fall, dass man sein eigenes Mobilfunkgerät, beziehungsweise, sein Smartphone mitbringt.

Orange und Join verfolgen, anders als Post und Tango, die von der EU-Kommission vorgesehene Fair Usage Policy, die dafür sorgen soll, dass es den Operateuren bei der Umsetzung nicht doch ein wenig zu schnell geht und sie finanziell in Schwierigkeiten geraten. Demnach können die Anbieter bei der Übertragung des Datenvolumens, das sie ihren Kunden bisher im eigenen Netz zur Verfügung stellten, eine Berechnungsformel anwenden, die im Ergebnis zu einem weniger großen Volumen führt, das dann in ganz Europa verfügbar ist. Am Beispiel des Tarifs Elite von Orange sieht das wie folgt aus: Gab es vorher 14 Giga Daten in Luxemburg und eines in Europa, gibt es nun zehn in Europa und fünf zuhause zum gleichen Preis. Manche Operateure bieten auch rein nationale Tarife an. War es für die Nutzer solcher Abos bisher möglich, sich ein paar Kommunikationen, SMS und Bytes zum Einheitspreis hinzuzukaufen, verbietet die neue EU-Regulierung dies ab dem 15. Juni. Das sei ungünstig, meint Luis Camara von Tango. Vor allem für solche die Kunden, die wenig reisen, aber trotzdem gerne erreichbar bleiben würden, wenn sie zum Einkaufen nach Trier oder Messancy fahren. Oder für Eltern, die ihren Kindern bisher ein solches Abo bezahlt hätten, um die Ausgaben zu kontrollieren und deren Nachwuchs beim Wochenendausflug fortan schlechte Laune hat, weil der Messenger-Dienst ihrer Wahl nicht funktioniert und sie den ständigen Kontakt zum Freundeskreis nicht halten können.

Historisch gesehen, sei das Datenvolumen in den Luxemburger Tarifplänen im Vergleich zum Ausland sehr hoch gewesen, erklärt Join-Mitbegründer Pascal Koster. Das liege am hohen Anteil an Smartphone-Nutzern in der Bevölkerung zu tun, der aufgrund der höheren Einkommen höher ist als in anderen Ländern. Die teuren Geräte, sagen die Betreiber, würden auch von ihnen subventioniert. Ein Apple I-Phone oder Samsung Galaxy kostet um die 700 Euro. Kauft der Kunde es als Teil seines Tarifplans, zahlt er während 24 Monaten zehn Euro monatlich mehr, also 240 Euro. Und wer ein Smartphone hat, will damit auch online sein.

Die Operateure, die am Roaming bisher einerseits verdienten, weil die Kunden ihre Limits überschritten und draufzahlten und es andererseits in den Tarifplänen als Marketing-Instrument einsetzen, stellt die neue Regulierung vor finanzielle Herausforderungen. Als die Post vor zwei Wochen ihre Ergebnisse für 2016 bekanntgab, musste Post-Direktor Claude Strasser feststellen, dass der Umsatz in der Telekom-Sparte schon vergangenes Jahr, als erste Änderungen fällig wurden, nicht mehr so stark anstieg wie bisher. Bei Tango, sagt Luis Camara, koste die neue Regulierung dieses Jahr rund zehn Millionen Euro, nicht ganz zehn Prozent im Vergleich zum Umsatz. Denn während das Roaming die Verbraucher fortan nicht mehr kosten darf als der Gerbrauch im Heimatnetz, entrichten sich die Operateuren weiterhin Gebühren für die gegenseitige Nutzung ihrer Netze durch die Kunden. Jedes in einem fremden Netz verbrauchtes Gigabyte wird dieses Jahr mit maximal 7,70 Euro in Rechnung gestellt. Verbraucht als ein Kunde mit einem Tarifplan von 27 Euro monatlich die ihm zustehenden fünf Gigabyte im Urlaub, kostet das seinen Anbieter 38,5 Euro.

Weil sie die Kunden nicht mehr mit großzügigen Roaming-Angeboten locken können, bieten sie deshalb allerhand Spielereien an, um sich voneinander zu unterscheiden. Die einen werben mit Musik-Streaming-Dienste. Oder mit separaten Datenvolumen, die nur bei der Nutzung bestimmter Apps abgehen, und nicht beim Surfen im Webbrowser. Oder mit Gratis-Apps, beispielsweise mit Warnhinweisen vor Radarkontrollen.

Um auf der anderen Seite den Umsatz zu steigern, müssen sie sich ganz neue Dienstleistungen einfallen lassen. Bei der Post, erklärt Cliff Konsbruck, setzt dabei vor allem auf die Firmenkundschaft, der man zum Beispiel eine Art Rundum-Sorglos-Paket anbietet bei der Verwaltung von größeren Smartphone-Flotten. Anstatt dass sich Handy-Nutzer oder die Informatiker der Firma tagelang damit herumplagen, alle Daten und Anwendungen auf ein neues Telefon zu übertragen, wenn das alte kaputtgeht oder abhanden kommt, könne man diese Plackerei als Dienstleistung einkaufen.

Zwar werden die Preise zwischen den Netzbetreibern, auch das ist Teil der neuen EU-Regulierung, schrittweise bis auf zwei Euro das Gigabyte angepasst, wodurch das Kostenproblem für die Operateure zumindest kleiner wird. Doch dass die Einnahmen weiter steigen, erklärte Claude Strasser vor zwei Wochen, sei auch wichtig, damit weiter in die Erneuerung der Netze und deren Ausbau investiert werden könne. Jedes Upgrade auf einen neuen Standard – derzeit ist die Heraufstufung von 4G plus auf 5G in der Vorbereitung – kostet Millionen und die Technologiezyklen werden immer kürzer, wie Konsbruck erklärt. Da bleibt immer weniger Zeit, die Netze zu rentabilisieren, bevor ein neues aufgebaut werden muss. Die Luxemburger Kunden, sagt aber Luis Camara von Tango, seien eine sehr hohe Netzqualität gewohnt. Den Marktneuling Join betrifft dieses Problem weniger, erklärt Pascal Koster. Er betreibt kein eigenes Netz, sondern mietet die Kapazitäten anderer.

Michèle Sinner
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