Scharf eben

Frei und willig

d'Lëtzebuerger Land vom 06.03.2015

Sie täten es ja freiwillig. All die Frauen, die Millionen Weiber, die die Kinos stürmten, um einer Geschlechtsgenossin beim Geprügeltwerden zuzuschauen, beim Ansetzen der Daumenschrauben. Die geschlagene Frau täte es selbstbestimmt und aus freier Wahl.

Da die sehr direkt Beteiligte sich all dem frei und willig aussetzt, kann man ja wohl kaum was dran aussetzen. Das ist eben Freiheit, Wahlfreiheit, Qualfreiheit. Alle dürfen heute alles machen, solange sie niemand wehtun. Oder richtig wehtun. Erweiterung der Grenzen, Erweiterung der Kampfzone. Scharf eben, mit beinah allem.

Im Supermarkt an der Kasse, wo sich die Schinken stapeln, kann frau sich noch mal schnell eine Grenzerfahrung schnappen und sie im Bett zu sich nehmen. Neben dem schlummernden Gatten. Der bestimmt wieder vergessen hat, Genitalklemmen zu besorgen, alles muss man selber machen. Sich noch selber auspeitschen, das fehlt noch! Nach dem ganzen Haushalt, den Kindern, dem Büro. Kabel hat er ja vielleicht da, aber er ist immer so umständlich ... Die Gattin wälzt sich dann eben allein durch den Wälzer.

Dieser Christian, also der Held, ist hingegen wirklich organisiert. Abgesehen davon, dass er über jede Menge Autos Flugzeuge Firmen verfügt, spielt er auch noch Klavier. Vor einer Glasfront mit klassischem, imperialem Hochhausblick. Die junge Frau, die eine Jungfrau ist, mit einer Haut wie Milch und Blut, tritt zu ihm. Das weiße Laken, o Hymen, o Brautschleier, schleppt sie wie eine Brautschleppe hinter sich her, während Christian auf die Tasten haut. Leidenschaftlich ist wohl übertrieben, Christian ist ja auch alles andere als ein Triebtäter oder ein Lüstling. Bevor er Anastasia in seinem Spielzimmer wehtun will, muss alles ordentlich geklärt sein. Bevor er zur Tat schreitet, soll sie einen Pakt unterzeichnen, einen so genannten Vertrag mit jeder Menge Verkehrsregeln. Zwar nicht mit Blut, dennoch überlegt sich Anastasia das verständlicherweise, einen ganzen langen Film lang.

Die alsbaldige Ex-Jungfrau mit der Haut aus Milch und Blut, die natürlich Literatur studiert und also kein abgewichstes Luder ist, verfällt dem Ritter der Finsternis. Der sich, aber wahrscheinlich würde sie unkende Seniorinnen überhören, eher wie ein Zwangsneurotiker gebärdet. Und natürlich kommt es auch nicht dazu, wie könnte es in einem puritanischen Porno auch anders sein, dass sie vor Lust stirbt, oder auch nur vergeht. Sie ist eine echte Menschenfrau, sie will mit ihm essen gehen und Händchen halten. Sie will ihn erlösen, vom Bösen.

All die, die zum Frauentag mal ordentlich Lust hatten, einer Klitorisauspeitschung oder einer Marterpfahl-Session beizuwohnen, werden enttäuscht. Subtilere Gemüter, die den Horizont ihrer Horizontale erweitern wollen und bezüglich Hingabe oder Wollust als Medium recherchieren, genauso. Auch wenn in den wenigen Szenen, in denen sich der keusche Leib lustvoll windet, sakrale Mittelaltermusik erklingt, die aber ein bisschen nach Friseursalon klingt.

Jede Kathedrale ist schärfer.

Der langweilige Christian mit seinen Buchhalterticks schaut nur möchtegern teuflisch. Anastasia ist süß, und man stellt sich vor, dass sie bald mit einem Literaturstudenten vor einem Kamin sitzt, der Literaturstudent wird ein Gedicht aus der englischen Romantik vortragen und sie kriegt den s(p)innenden Blick.

Die Zeitzeugin schafft es nicht mal sich aufzuregen, von Erregung ganz zu schweigen. Pünktlich zum Frauentag wollte sie die auch von feministischen Soziologinnen schon reichlich begrübelte Frage in den Weltraum stellen, warum Frauen, die gegen Klitorisverstümmelung auf die Barrikaden gehen und die muslimischen Schwestern befreien wollen, in Scharen in die kitschige Folterkammer eines Helden strömen, der nicht mal sinnliche Lippen hat. Wo sie sich grausam zu Tode langweilen. Und dafür auch noch Eintritt zahlen.

Aber die als nicht ganz ergebnisoffen geplante Recherche scheiterte kläglich. Im halbleeren Kino kichern junge Mädchen vor Popcornkübeln, neben dösenden, von ihnen verschleppten Burschen. Fürchten die sich, dass sie jetzt ihre technisch-handwerklichen Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen? Und dazu teuflisch schauen, auch noch.

Sie schauen aus, als würde es jetzt mal zu McDonalds gehen.

Michèle Thoma
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