DNA-Analyse

Riskante Wunderwaffe

d'Lëtzebuerger Land du 13.04.2006

Jean-Claude Juncker ist ein Mann mit Gewissen. In einem Wort-Interview anlässlich seines Berichts zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Europarat und EU warnte der Premierminister und Vorzeige-Europäer, beim Kampf gegen den Terrorismus nicht die Grundrechte zu vergessen. Die bürgerlichen Freiheiten dürften „nur dort eingeschränkt werden, wo sie Terroristen Tür und Tor öffnen“, sagte der CSV-Politiker. Damit hat er wohl in erster Linie die europäische Antiterror-Politik im Visier gehabt. Dass es diesbezüglich auch in Luxemburg Anlass zur Sorge gibt, zeigt das Gesetzesvorhaben zur DNA-Analyse, das Junckers Parteikollege Polizei- und Justizminister Luc Frieden vor anderthalb Jahren der Abgeordnetenkammer vorgelegt hat und über das die juristische Kommission des Parlaments derzeit berät.

Seit Jahren forciert Interpol das Borderless DNA-Profiling, die grenzüberschreitende Anwendung der DNA-Analyse zur strafrechtlichen Ermittlung. So gibt es seit Juli 2004 einen Kooperationsvertrag zwischen Interpol und Österreich, in dem das Alpenland der Polizeibehörde technische Hilfe beim Aufbau der ersten weltweiten DNA-Datenbank zugesichert hat. Auf EU-Ebene existieren ebenfalls Bestrebungen, die in nationalen Datenbanken gespeicherten genetischen Profile mutmaßlicher Straftäter verstärkt auszutauschen. Sofern vorhanden: Luxemburg ist neben Irland, Griechenland und Malta eines der wenigen Länder in der EU, die noch nicht über eine solche operative Datenbank verfügen.

Bisher haben die Luxemburger Strafverfolgungsbehörden ihre Analysen stets im benachbarten Ausland vornehmen lassen.
Mit dem neuen Gesetz soll das anders werden. Es sieht gleich zwei Datenbanken vor: eine „kriminalistische“ für DNA-Analysen aus noch laufenden Ermittlungsverfahren; in der zweiten sollen die genetischen Profile von Verurteilten gespeichert werden. Für beide Fälle gilt: Der Staatsanwalt oder der (Untersuchungs-) Richter kann die Analyse zur Identifikation anordnen, wenn das zu erwartende oder tatsächliche Strafmaß zwei Jahre oder mehr beträgt.

Die Liste der Straftaten, bei denen bei verurteilten Straftätern eine DNA-Probe angeordnet und gespeichert werden darf, reicht von terroristischen Aktivitäten und organisierter Kriminalität, über Mord und Vergewaltigung bis hin zum Einbruchsdiebstahl.
„Das geht zu weit“, meint Anwalt und Datenschutzexperte Cyril Pierre-Beausse im Gespräch mit dem Land. Schon das Klauen eines Autoradios könne somit eine gentechnische Untersuchung zur Folge haben.

Weil beim Erheben und Speichern der persönlichen Gen-Profile die Grundrechte der informationellen Selbstbestimmung und des Schutzes der Privatsphäre berührt sind, hat auch die Datenschutzkommission ernste Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des „großen“ Anwendungsbereichs geäußert. In ihrem Gutachten vom Oktober 2004 verweist sie auf die – restriktivere – Praxis in den Nachbarländern: Das belgische Recht geht von einer Gefängnisstrafe von fünf, das französische gar von zehn Jahren aus.
Der vorgesehene Personenkreis, bei dem die gentechnische Ermittlungsmethode zum Einsatz kommen können soll, sorgt ebenfalls für Skepsis bei den Datenschützern. So darf der Staatsanwalt oder Richter bei durch ein bestimmtes Verbrechen „betroffenen Personen“ eine DNA-Probe anfordern. Das können laut Entwurf Einzelpersonen sein oder aber, im Falle etwa eines Sexualmords, ausdrücklich auch die Bewohner eines ganzen Dorfes. „Im Prinzip könnten es sogar sämtliche Zuschauer in einem Fußballstadium sein, in dem ein Verbrechen stattgefunden hat“, kritisiert Cyril Pierre-Beausse die unpräzise Formulierung.

Deren Profile dürften im Falle eines negativen Testergebnisses in der Datensammlung zwar nicht gespeichert werden. Um sicher sein zu können, dass sich in der „dann wohl sensibelsten Datenbank des Großherzogtums“ wirklich nur gesetzlich genehmigte Datensätze befinden, brauche es jedoch eine „wirksame Kontrolle“, betont der Vorsitzende der nationalen Datenschutzkommission, Gérard Lommel.

Zuständig sowohl für die Führung als auch für die Kontrolle der Datenbank soll die Generalstaatsanwaltschaft sein. Eine zusätzliche Aufsicht durch die Datenschützer hingegen ist im Text nicht vorgesehen – und mit Verweis auf das Untersuchungsgeheimnis und die richterliche Unabhängigkeit weder von Abgeordneten noch von der Generalstaatsanwaltschaft
erwünscht. Anders als in Deutschland, wo der Bundesdatenschutzbeauftragte ein Kontrollrecht für die beim Bundeskriminalamt
gespeicherten Gen-Profile hat, klammert das luxemburgische Datenschutzgesetz von 2002 den Bereich der Strafverfolgung aus der Zuständigkeit der hiesigen Datenschützer aus. Auf europäischer Ebene ist aber ein gegenläufiger Trend zu beobachten: Wegen der wachsenden transnationalen informationellen Zusammenarbeit von Polizei und Justiz hat die Europäische Kommission
einen Vorschlag vorgelegt, der den Datenschutz auch für die dritte Säule regeln soll, also für personenbezogene Datenbanken bei Polizei- und Justizbehörden.

All diese Punkte – Verhältnismäßigkeit, Massen-Gentest, effektiver Datenschutz, zunehmende polizeiliche Überwachung – wären, so könnte man meinen, mehr als genug Stoff für eine größere Debatte über Chancen und Risiken der kriminaltechnischen
Ermittlungsmethode. Doch während anderswo derartige Fragen ausgiebig und teilweise äußerst kontrovers diskutiert werden, bleibt es in Luxemburg bemerkenswert ruhig. Grundsätzliche Kritik an der Gen-Analyse hat bisher keine Partei vorgetragen.

Auch sind sich offenbar alle einig, dass an einer eigenen Datenbank kein Weg mehr vorbei führt. Nicht einmal Déi Gréng, in Menschenrechtsfragen sonst gerne groß, scheinen sich über mögliche Gefahren und Risiken der DNA-Analyse sonderlich Gedanken zu machen. Deren Kommissionsmitglied Félix Braz kann sich zwar einen kleineren Anwendungsbereich vorstellen, ansonsten aber findet er, liege es „an jedem Einzelnen, dafür Sorge zu tragen, gar nicht erst in der Datei zu landen“. Doch abgesehen davon, dass sich auch die Justiz einmal irren kann, steht im Text ausdrücklich, dass das Verfahren auch bei anderen „betroffenen Personen“ als dem mutmaßlichen Täter angeordnet werden kann, also auch bei Zeugen oder Opfern. Laut Berichterstatterin Christine Doerner (CSV) sind Zeugen und Opfer sogar von der Anwendung der DNA-Analyse unter Zwang „nicht grundsätzlich ausgeschlossen“. Das ist insofern bemerkenswert, als beispielsweise in Deutschland und Frankreich in punkto Freiwilligkeit bei einer DNA-Probe zwischen Tatverdächtigen auf der einen und Zeugen beziehungsweise Opfer auf der anderen Seite unterschieden wird. In der Kommission wurde über den entsprechenden Passus jedoch nicht weiter debattiert, so Doerner, die auch eine Erklärung für den weit reichenden Anwendungsbereich hat: Je mehr Personen in der Datei gespeichert sind, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass eine Tatortspur zu einem Treffer führe.

In Großbritannien, das mit über drei Millionen Genprofilen die europaweit größte DNA-Bank unterhält und bis 2005 ein DNA Expansion Programme laufen hatte, liegt die Aufklärungsquote bei rund 40 Prozent. Félix Braz, der das Gesetz insgesamt
für „ausgewogen“ hält, lobt denn auch den „Einzug des wissenschaftlichen Beweises“ in die polizeiliche Ermittlungsarbeit. Bei einer Wahrscheinlichkeit von eins zu drei Millionen, mit der Gen-Material transportierende Absonderungen wie Blut, Speichel oder Haare eines Menschen treffsicher einer bestimmten Person zugeordnet werden können, ist die technische Fehlerquote dieser Methode in der Tat extrem gering – was aber nicht immer etwas heißen muss. Denn nicht nur sind handwerkliche Fehler wie Verwechslungen möglich; weitaus problematischer ist, dass DNA-Funde an einem Verbrechensort zunächst keinerlei Aussagen über den Täter zulassen. „Nicht jeder, der am Tatort war, muss der Täter sein“, sagt Cyril Pierre-Beausse. Gerade die vermeintlich hohe Treffsicherheit macht geschickte Manipulationen von DNA-Spuren – etwa durch eine absichtlich am Tatort abgelegte
Zigarettenkippe eines Unschuldigen – so gefährlich: Die deutsche Neue Richtervereinigung, in der Richter und Staatsanwälte organisiert sind, spricht in diesem Zusammenhang von einem tendenziellen „Zwang zur Selbstentlastung“ bis hin zur Beweislastumkehr für alle Nichttatbeteiligten. Dies berühre ebenso wie die langfristige Speicherung der Daten den Grundsatz der Unschuldsvermutung.

In solchen Fällen hilft vermutlich auch das im Entwurf zugestandene ausgedehnte Rekursrecht nicht viel weiter, wonach Betroffene das Beweismittel bereits bei geringen Formfehlern anfechten können: Um technische Fehler und Manipulationen
nachweisen zu können, braucht es aufwändige Gegengutachten von Experten. Und die sind, neben Datenschützern mit Gewissen
für Grundrechtsfragen, hier zu Lande ebenfalls rar.

Ines Kurschat
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