KPL und déi Lénk

Historische Revanche

d'Lëtzebuerger Land vom 05.03.2009

Einen Monat vor der letzten Frist für die Abgabe der Listen haben bereits sämtliche im Parlament vertretenen Parteien ihre Kandidaten für den 7. Juni bekannt gemacht. Auch wenn DP-Spitzenkandidat Charles Goerens noch immer nicht die Namen seiner fünf Mitbewerber für das Europaparlament richtig zu kennen scheint und ADR-Kandidat Marc Franssens sich schon wieder zurückgezogen hat und auf einen Nachfolger wartet.

Nur links von LSAP und Grünen gibt es noch drei oder vier Prozent Wählerstimmen im Südbezirk zu holen, in der Wiege der organisierten Arbeiterbewegung. Dort, wo die Kommunistische Partei vor 40 Jahren auf 22 Prozent der Stimmen und vor 20 Jahren noch auf sieben Prozent kam, wollen KPL und die von ihr abgespaltene déi Lénk wieder um den einen Sitz konkurrieren, den sie 1999 gemeinsam gewonnen und 2004 getrennt verloren hatten. Um ihn und die damit verbundenen Diäten bemüht sich unter Berufung auf seine Vergangenheit als Gewerkschaftssekretär derzeit auch der aus der ADR ausgetretene Abgeordnete Aly Jaerling.Laut Meinungsumfragen kämen KPL und Lénk gemeinsam auf die über vier Prozent der Stimmen, die im Süden nötig sind, um einen Abgeordnetensitz zu erhaschen. Aber weil sie auch diesmal getrennt kandidieren, verpassen sie ihn wohl wieder beide.

Das sehen die anderen Parteien genau so. Sie haben im Parteienfinanzierungsgesetz von 2007 die Latte auf landesweit zwei Prozent Wählerstimmen gelegt, um in den Genuss staatlicher Zuschüsse zu kommen, so dass die beiden linken Parteien sie haarscharf verpassten. Vollständige Kandidatenlisten in allen Bezirken sind eine weitere Voraussetzung, welche 2004 déi Lénk, nicht aber die KPL erfüllen konnte.

KPL-Präsident Ali Ruckert bemühte sich am Sonntag zu betonen, dass die Unversöhnlichkeit zwischen den verfeindeten Schwesterparteien keine persönlichen, sondern durchaus politische Ursachen habe. Denn die KPL beansprucht, die einzige Partei im Land zu sein, die sich auf die Lehre des berühmten Trierer Philosophen Karl Marx beruft. Ein solches Bekenntnis fehlt im Grundsatzprogramm der vor zehn Jahren gegründeten déi Lénk. Geht die KPL davon aus, dass die 1989 erlittene Niederlage in der „Systemauseinandersetzung“ nur „vorübergehend“ war und die Partei danach, wie 1944, wieder aus dem Untergrund auftauchen  kann, beobachtet die von Reformkommunisten und Trotzkisten gegründete déi Lénk aufmerksam die Versuche neuer Parteien, wie der Linken in Deutschland oder des Nouveau parti anti-capitaliste und des Parti de gauche in Frankreich.

Ruckert sprach im Escher Gewerkschaftsheim vor einem halben Hundert vorwiegend in Ehren ergrauter Klassenkämpfer, die ein Leben lang Flugblätter vor den Hüttenportalen verteilt hatten. Es war der 32. Kongress seit der Gründung der Partei 1921, die das Maulkorbgesetz, den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg überlebt hat. Im Rücken des Kongressbüros hing eine aufmunternde Marx-Karikatur, und am Dienstag titelte die Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek  im perfekten DDR-Jargon: „Ideologisch gefestigt in die Wahlen“. Dass das Zentralorgan mangels eigener Druckerei inzwischen in der liberalen Imprimerie Centrale gedruckt wird, zeigt, wie schön Dialektik sein kann.

Dafür verlangten die Kongressdelegierten in einer Resolution einstimmig die Verstaatlichung der Banken und Großbetriebe, die Abschaffung des Bankgeheimnisses, den Austritt aus der Nato, die Abschaffung der Armee und die Trennung von Staat und Kirche – nur die Monarchie entging dem kurzen Prozess. Einen Tag später kündigten déi Lénk ihre Kampagne „Sozial géint d’Kris“ an und forderten eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverluste, eine Mindestlohnerhöhung um 200 Eu­ro, den Ausbau öffentlicher Dienstleistungen und die starke Besteuerung von Finanztransaktionen.

Wo sich die Kommunisten am Sonntag und die Linken bei einer Pressekonferenz am Montag beinahe einig waren, war in der Versuchung, die kleine historische Revanche zu genießen, die nicht einmal ein aufrechter Herzjesu-Marxist wie Jean-Claude Juncker verschmäht. Denn nach dem Durchmarsch des Neoliberalismus, dem Untergang des Sowjetblocks und Fukujamas Hegel-Zitat vom „Ende der Geschichte“ steckt der Kapitalismus in seiner tiefsten Krise seit Jahrzehnten. Statt der unsichtbaren Hand des Marktes zu vertrauen, verstaatlichen selbst die USA und die CSV die größten Banken, sind die zu liberalen Vorzeigestaaten gewendeten Volksrepubliken Osteuropas konkursreif.

Doch selbst wenn seit dem Konkurs von Lehman Brothers Kapitalismuskritik Mainstream geworden ist, dürften sich KPL und déi Lénk damit am 7. Juni nicht viel kaufen. Das lehrt nicht zuletzt die Erfahrung des Referendums über den Europäi­schen Verfassungsvertrag im Jahr 2005. Damals drückten die paar Prozent Linke als einzige das aus, was 43 Prozent der Wähler wollten; aber am Tag danach war die Revolte in den Urnen restlos verpufft. Entsprechend gering dürften derzeit die Aussichten sein, im Juni politisches Kapital aus der Krise des Kapitals zu schlagen. Die Reserven des Luxemburger Modells zur sozialen Befriedung des CSV-Staats sind längst nicht erschöpft. 

Romain Hilgert
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