Die EU zur Ukraine

Aussichtssache

d'Lëtzebuerger Land vom 07.02.2014

Es ist eine Entscheidung zwischen Schwarz und Weiß für die Ukraine. So erscheint es vielen Europäern. Weiß die Opposition, die für eine Anlehnung an Europa – und damit wohl auch für europäische Wertvorstellungen – kämpft. Auf der dunklen Seite die Regierung die Ukraine, die sich stark an Russland anlehnen möchte. An eben das Russland, das durch seine Gesellschaftsgesetzgebung der vergangenen Monate sich vom freiheitlichen und liberalen Europa abwandte und seine Muskeln beinahe mit zaristischer Attitüde spielen lässt. Während die eine Seite mit Freiheit und jenem abstrakten Begriff „Europa“ winkt, ist es auf der schwarzen Seite der schnöde Mammon, der zählt. Bis Anfang dieser Woche, als Catherine Ashton, Außenbeauftragte der EU ankündigte, gemeinsam mit den USA ein Hilfspaket für die Ukraine schnüren zu wollen, das die Abnabelung von Russland leichter machen soll.

Im Dezember noch, als die Ukraine die vertragliche Annäherung an die EU platzen ließ, verweigerte Brüssel Kiew finanzielle Unterstützung. Jetzt soll eine Kurzfristmaßnahme von 19 Milliarden Euro an Krediten und Garantien das Land stützen – ein Land, das auf immer und ewig zwischen den Stühlen sitzt, das gespalten ist in einen pro-europäischen Westen und einen russland-freundlichen Osten, ein Land,

das sehr viele Jahre von Oli-garchen ausgenommen wurde und noch schwer an seinem sowjetischen Erbe zu tragen hat. Es muss die Entscheidung treffen, die ein wenig an Auseinandersetzungen aus dem Kalten Krieg erinnert, als Washington Moskau – oder vice versa – eins auswischen wollte. Europa und die Ukraine sind dabei nur die Stellvertreter im Spiel der beiden Antipole.

Aber ist die Europäisierung der Ukraine derzeit überhaupt eine Option für das Land? Noch immer ist der Staat eng verzahnt mit Russland. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich. Als der Beschluss gefasst wurde, dass Ukrainisch die einzig offizielle Amtssprache sei, verstanden – im wortwörtlichen Sinne – viele Ukrainer ihre Heimat nicht mehr. Sie waren mit Russisch aufgewachsen und konnten keine Formulare

ausfüllen oder Anträge stellen. Seitdem gibt es in der Ukraine einen Sprachenstreit. Darüber hinaus sind beide Staaten auch militärisch eng verbandelt: Die russische Schwarzmeerflotte ist auf der Krim stationiert und bleibt es bis zum Jahr 2042. Neben einer ordentlichen Stationierungsgebühr erhält die Ukraine zudem einen Preisrabatt von 30 Prozent auf Gaslieferungen, was die wirtschaftliche Abhängigkeit Kiews von Moskau nur zementiert.

Auf der anderen Seite gibt es in dem Land eine junge, dynamische Avantgarde, die unbedingt dem Westen zugehören will. Bereits vor zehn Jahren hat diese Jeunesse dorée in der Orangenen Revolution Neuwahlen durchgesetzt, bei der im Dezember 2004 Wiktor Juschtschenko Präsident wurde, der eine pro-europäische Politik verfolgte. Seine Annäherung an die EU stieß aber in Brüssel auf wenig Gegenliebe. Eine Perspektive wurde der Ukraine nicht geboten; eine Mitgliedschaft in der Union nicht einmal in Aussicht gestellt. Juschtschenko war in seiner fünfjährigen Amtszeit ein glückloser Präsident, der an der Realpolitik und den geopolitischen Determinanten in der Region scheiterte. Doch aus der Historie der Orangenen Revolution heraus, wagt die Bevölkerung nun wiederum an die Tür Europas zu klopfen und Einlass zu fordern.

Die Reaktionen der EU zeugen ein wenig von schlechtem Gewissen, weniger von einer politischen Perspektive für Osteuropa. Die Situation der Ukraine lässt sich nur gemeinsam mit Moskau lösen. Doch der Kreml wird keinesfalls die Ukraine bedingungslos gen Westen ziehen lassen. Brüssel muss sich sehr gut überlegen, was sie eigentlich von Kiew will und vor allen Dingen, was sie Kiew bieten kann. Eine Mitgliedschaft wird sie kaum offerieren können, denn das wird in der Kaukasus-Region Begehrlichkeiten wecken, die die EU nur schwerlich erfüllen wird können. Die EU muss eine Selbstverortung vornehmen. Darüber, was ihre Inhalte sind, wo ihre Grenzen liegen und was ihre Ziele sind genauso wie darüber, was eigentlich die Maxime ihres ethischen Handelns in der Weltpolitik ist. Geld mag zwar kurzfristig helfen, bringt die Ukraine aber nur von einer Abhängigkeit in die nächste.

Martin Theobald
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