Wahlbezirk Osten

Schwärzer als schwarz

d'Lëtzebuerger Land vom 11.06.2009

Die größte Sensation des Wahlsonntags kommt aus dem Bezirk, der politisch gesehen eher als beschaulich und vorhersehbar gilt: Mit 9,51 Prozent Wählerstimmen gegenüber 12,35 im Jahr 2004 verlor die rechtspopulistische ADR ihren einzigen Sitz im Osten, dem kleinsten Wahlbezirk des Landes. Ausgerechnet Landwirt und Bauernfreund Robert Mehlen kehrt nicht mehr ins Parlament zurück, die Partei somit ihr Ziel, zumindest Fraktionsstärke zurückzugewinnen. Die fremdenfeindlichen Slogans der Partei zögen beim Luxemburger Wähler nicht, so die Erklärung im Nachhinein. Dabei hatte die Partei im Schlussspurt den Fuß vom populistischen Gaspedal schon wieder heruntergenommen. In Wahrheit hatte niemand den Absturz vorhergesehen, am wenigsten der Parteipräsident, der am Wahlabend sichtlich um Fassung rang. Mehlen – und mit ihm Roy Reding als Generalsekretär – kann sein Amt zwar behalten, doch am Ergebnis ändert das nichts: Die Alternativ Demokratesch Reformpartei steckt trotz – oder gerade wegen – Verjüngungskur und inhaltlichem Relaunch in der schwersten Krise seit ihrer Gründung 1987, die Stammwähler brechen weg, wie die drastisch gesunkene Zahl an Listenstimmen beweist. 

Davon profitiert zuallererst der christlich-soziale Platzhirsch, der sich im Osten künftig noch breiter macht als zuvor.  Mit 41,47 Prozent Zustimmung konnte die CSV ihr sehr gutes Ergebnis von 2004 (38,63 Prozent) noch steigern. Im 786 Einwohner zählenden Bous schafft die Partei sogar 50,20 Prozent. Mit Staatssekretärin Octavie Modert, Minister Fernand Boden, der Abgeordneten und Bürgermeisterin der größten Ost-Gemeinde, Junglinster, Françoise Hetto-Gaasch, ihrer Betzdorfer Kollegin Marie-Josée Frank und dem Abgeordnete Lucien Clement, der es als Zweitplatzierter von 2004 allerdings nicht auf Anhieb ins Parlament schafft, konnte die CSV auf eine erfahrene Mannschaft zurückgreifen. Offenbar traut ein Großteil der Ost-Wählerinnen und Wähler der Partei „mam Juncker“ am ehesten zu, das Land durch die Härten der Wirtschafts- und Finanzkrise zu steuern. Die Krise geht an den traditionell eher konservativ wählenden Bauern nicht vorüber, die Milchpreise auf dem Weltmarkt sind im freien Fall, auch Winzer klagen über Umsatzeinbußen. Ein wenig erstaunt das gute Abschneiden darum schon, immerhin ist das Agrarministerium seit Jahrzehnten fest in schwarzer (oranger) Hand. Aber wie überall in Europa machen auch die Luxemburger Landwirte in erster Linie Brüssel für die Preispolitik verantwortlich, obwohl diese ohne die Zustimmung auf nationaler Ebene gar nicht zustande gekommen wäre. Ganz unbeschadet überstand der Agrarminister die Wahl aber nicht: Mit 11 530 Stimmen gegenüber 13 601 in 2004 ist Fernand Boden, jahrzehntelanger Garant für Spitzen-Wahlergebnisse, im Osten nur noch Drittplatzierter, hinter Staatssekretärin Octavie Modert (12 617) und Françoise Hetto-Gaasch (11 689), aber vor Marie-Josée Frank mit 11 440 Stimmen. 

Auf so eine starke Liste konnten sich Déi Gréng nicht stützen. Mit Carole Dieschbourg und Steve Schleck stellten sich zwei Kandidaten zur Wahl, die bisher noch nie bei Landeswahlen angetreten waren – und trotzdem konnte die Ökopartei ihre Position um fast zwei Prozent, von 12,11 auf nunmehr 14,51, ausbauen. Mit 7 496 Stimmen verbesserte Spitzenkandidat Henri Kox aus Remich sein Ergebnis noch einmal deutlich und liegt nun fast gleichauf mit  Nicolas Schmit von den Sozialisten. Auch die Grünen wissen den Trend zum Panaschieren mittlerweile zu nutzen: Dieschbourg stammt von der Lauterborner Traditions-Müllerei Dieschbourg, und Schleck ist wegen seiner Fahrradbrüder Andy und Frank kein Unbekannter. In Echternach lag die Historikerin und Germanistin Dieschbourg, die nun für die Gemeindewahlen weiter aufgebaut werden soll, sogar noch vor Kox. Schleck, großer Bruder der Fahrradbrüder Andy und Frank Schleck, vermochte indes nur in seiner Heimatgemeinde Mondorf zu überzeugen, sein Wechsel von der LSAP zu den Grünen kam wohl nicht überall gut an. Kox ist dennoch zufrieden und führt das gute Abschneiden auf „die geleistete Arbeit“ zurück. 

Neben der Tatsache, dass vermehrt neue Familien in die Region ziehen und das Thema Lebensqualität in der verkehrsbelasteten Moselregion immer bestimmender wird, haben Déi Gréng wahrscheinlich auch von der Niederlage der Liberalen profitiert. Die mussten im Osten herbe Verluste (von 19,08  auf 15,42) hinnehmen, die blaue Talfahrt ist noch nicht zuende. Auf das Gesetz der Serie, wonach bisher jeder Juniorpartner der CSV Feder lassen musste, kann sich die DP diesmal nicht berufen. Auch nicht darauf, dass mit dem Remicher Bürgermeister Jeannot Belling ein langjähriges liberales Aushängeschild im Osten nicht mehr kandidierte. Außer in Wormeldingen, wo Ex-Bürgermeister Carlo Wagner rund 27 Prozent Stimmen hinter sich scharen konnte, schwächelt die Partei selbst in Gemeinden, wo sie den Bürgermeister stellt. Für Wagner stehen die Schuldigen fest: „Man kann im Osten keinen Wahlkampf gegen Juncker machen.“ Die Attacken von Generalsekretär Georges Gudenburg gegen den Premier seien bei vielen Stammwählern schlecht angekommen, so Wagner, der die Strategie, auf junge Gesichter zu setzen, eine „totale Topeegkeet“ nennt, schließlich habe sich die Partei „stets von selbst erneuert“. Dass das auf Bürgermeisterin Maggy Nagel (Mondorf), dem Echternacher Schöffen André Hartmann, Armand Jaminet in Mertert-Wasserbillig und René Sertznig (Grevenmacher) keineswegs zutrifft, die DP-Ostmannschaft mit durchschnittlich 48,8 Jahren neben dem Zentrum die ältesten Kandidaten ins Rennen schickte,  übersieht Wagner (geb. 1953) geflissentlich. Auch, dass die vielen Zankereien und der selbstgerechte Führungsstil etwa der Mondorfer DP um Maggy Nagel, die vom Wähler mit einem Verlust von rund tausend Stimmen abgestraft wurde, nicht für die Partei gespielt haben. Carlo Wagner selbst hat auf der Oppositionsbank keine großen Akzente gesetzt: Ab und zu eine parlamentarische Anfrage zu stellen und Weinfeste zu besuchen, reicht angesichts der Strukturkrise, in der sich die Partei nicht erst seit 2004 befindet, bei weitem nicht aus. Zum Verhängnis wurden den Liberalen nicht zuletzt vermeidbare Kommunikationsfehler: Statt für den Osten, wo Politik noch stärker als anderswo durch Persönlichkeiten und lokale Gegebenheiten geprägt ist, eine Kampagne zu entwickeln, die gezielt Gesichter und Themen der Region aufgreift, zierten übergroße Konterfeis von Europakandidat Charles Goerens und Parteipräsident und Südkandidat Claude Meisch die Wahlplakate. 

Dass das Gesetz der Serie nicht uneingeschränkt gilt, beweist zudem das überraschend konstante Wahlergebnis der Sozialisten im Osten, die mit 16,23 Prozent (2004:16,52) sich noch vor den Liberalen als Zweite platzierten. Und das, obwohl LSAP-Spitzenkandidat Nicolas Schmit sich zum ersten Mal dem Wählervotum stellte, selbst nicht aus der Region stammt und noch dazu mit einer sehr jungen Liste mit lauter Politik-Neulingen (Sonja Zbinden, Tess Burton, Ben Scheuer u.a.) angetreten war. Schmit, ehemals Direktor im Außenministerium, bevor er als delegierter Minister ins schwarz-rote Kabinett berufen wurde, und selbst ohne kommunalpolitische Erfahrung, hatte seinen Bekanntheitsgrad Umfragen zufolge zuletzt deutlich steigern können. Dem „Ministerbonus“ sei dank, der auch beim Wahlergebnis zu seinen Gunsten spielte. Ben Scheuer, Sohn des Echternacher Abgeordneten Jos Scheuer, der sich aus der aktiven Politik zurückgezogen hat, erzielte mit 3 788 Stimmen als Zweiter auf der LSAP-Liste ein achtbares erstes Resultat, und könnte, sollte Nicolas Schmit als Minister in eine schwarz-rote Regierung zurückkehren, für ihn ins Parlament nachrücken. Sicher ist das aber nicht.

An Spekulationen, wonach der sozialistische Kandidat im Norden, Romain Schneider, ob seines guten Ergebnisses mit einem Ministerposten „belohnt“ werden soll, der Osten daher nur einen – schwarzen – Ministerposten „zu gut“ hätte, wollte sich Nicolas Schmit nicht beteiligen. Déi Lénk, die ihr Ergebnis gegenüber 2004 fast verdoppeln konnte, ebenso wie die neu angetretene KPL (mit 0,97 Prozent) sowie die Biergerlëscht des Ex-ADR-Abgeordneten Aly Jaerling spielen im Osten keine Rolle.

Ines Kurschat
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