Im Hauptabendfernsehprogramm

Tote Frauen

d'Lëtzebuerger Land vom 13.03.2015

Geschlagene, gezwickte und hart gefickte Frauen haben ja bekanntlich derzeit Hochkonjunktur im christlichen Abendland. What else, was gibt es noch im Angebot?

Aah ja, tote Frauen. Die sind enorm beliebt. Und zwar nicht nur in speziellen, auf besondere Bedürfnisse spezialisierten Kreisen. Nein, beim sich vermutlich mehrheitlich als normal einstufenden Hauptabendfernsehprogrammpublikum. Bei Menschen, die zur Prime time fernsehen, in Krimis, keinen besonders schlimmen, jugendfreien. Sie spielen sich in Moorlandschaften ab, im Ruhrgebiet, am Rialto. In der Kulturszene, unter wortkargen Bergbauern. Sie spielen sich unter schwermütigen Schweden, trüben Türken oder unter Italienern ab, die sich wie Deutsche bewegen. An irgend einem netten Ort, der sich ein bisschen in Szene setzen will, touristisch.

Die Story ist mehr oder weniger komplex, spannend, die Kommissare sind wie Kommissare halt sind, verpennt, zynisch, einsam. Die Opfer sind weiblich. Dazu eher jung und eher hübsch. Meist liegen sie dekorativ in einem Waldstück; der Frühling liegt in der Luft und es gibt die ersten Blümchen. Ein Hund bellt spitz auf, ein Spaziergänger schreckt zurück. Schon kommen die müden Kommissare angestapft, oder auch Kommissarinnen, und schauen. Ein bisschen betroffen, kurz.

Dann liegen die toten Frauen in einem Raum mit Fliesen, ein Laken wird zurückgeschlagen und die leichenblasse Leiche begutachtet. Aha, Blutergüsse, Würgemale, Spermaspuren, sonst noch was?, scherzt der Pathologe. Die Patholog_innen sind immer Scherzkekse, was aber nicht pathologisch ist. Meist lädt der Pathologe, während er die Gummihandschuhe über- oder abstreift, die Kommissarin zum Essen ein.

Es kann auch eine Pathologin sein, alle Geschlechter sind vertreten im Reigen der Mitarbeiter, es geht sehr divers und pädagogisch zu in diesen Krimis. Nur bei den Leichen, da sind sie stockkonservativ.

Da ist es wie immer schon.

Es geht nichts über eine tote Frau. Egal, ob gelust- oder geehrenmordet wird oder stinkbanal geehemordet. Oder ob gar motivlos gehauen oder gestochen wird, der Täter leidet vermutlich an Feminophobie, sicher wegen der Mutter. Vielleicht war die tote Frau ja eine Karrierefrau oder eine Nutte. Egal, sie musste dran glauben. An was oder wen? Darüber können wir dann grübeln, wir Frauen in unserer freien Gesellinnenschaft. Warum Krimi-Liebhaber_innen so von weiblichen Menschenopfern angetan sind. Oder sollen wir uns was drauf einbilden, es ist vielleicht ein Kompliment.

Beim leider ausgestorbenen Bullen von Tölz und seiner Mutter selig hätte es so etwas jedenfalls nicht gegeben. Da waren, ich gestehe, so verlockend klingt das auch wieder nicht, die Leichen vorwiegend Männer mit Bäuchen, Buchhalter, Nikoläuse, Altbauern. Seiner Mama wäre was anderes auch gar nicht ins Haus gekommen, höchstens ausnahmsweise.

Tote Frauen sind aber nicht nur im Abendprogramm ein Renner. Sie waren immer schon Bestsellerinnen. Wie schön war doch Ophelia, so tot, so schön, so schön tot. Weibliche Leichen waren ja auch meistens ästhetisch ansprechend und starben wesentlich stilbewusster als die Männer, die nicht mal beim Sterben über Manieren verfügten. Sie wurden nicht unappetitlich in Schlachten hingemetzelt oder albern beim Duell durchbohrt. Vielleicht sanken sie durch einen Dolch, der, o Frevel, in den jungfräulich weiß verhüllten Busen gesenkt wurde, darnieder. Sie hauchten ihre Seele aus und der Kunstgenießer erschauerte wonniglich. Gemeuchelt durch die Hand des Unholds lagen sie hold in Schneewittchensärgen. Hin und wieder trieb sie auch ein unbarmherziges Schicksal, meist die Männer, ins Wasser. Dafür besangen und bedichteten die Männer sie dann schmachtend, sprachen sie vor lauter Begeisterung gar heilig. Sie waren richtige Tote-Frauen-Fans.

Für eine Leiche ist das Attribut weiblich also extrem karrierefördernd. Aber auch Jugendliche und Kinder sind sehr beliebt, mindestens genau so. Eine Sorte Frauen aber hat es im Ranking immer schwer. Ob lebendig oder tot: Alte Frauen. Die sind nicht mal als Leichen attraktiv.

Das könnte allerdings sehr belebend auf sie wirken.

Michèle Thoma
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