Wie erfolgreich gegen den Terror kämpfen?

Mauern, Spione, Kontrollen und Strafen

d'Lëtzebuerger Land vom 08.04.2016

Mit Sympathie für die Opfer einerseits und selbstgerechtem Spott auf der anderen Seite reagierten Politiker in Israel auf die Terroranschläge in Ankara, Paris und zuletzt in Brüssel. Auf jeden Fall könne Israel von Hilfe sein beim Kampf gegen den islamistischen Terror, meint der Sicherheitsexperte Eran Lerman vom Begin-Sadat Zentrum für Strategische Studien in Tel Aviv, nur müsse man dort „die Realität verinnerlichen, dass Europa sich in einem Krieg befindet“.

Geradezu mit Zynismus kommentierte Israel Katz, Minister für Nachrichtendienste und Verkehr, dass „Belgien nicht in der Lage sein wird“, gegen Terror zu kämpfen, solange die Leute dort „weiter Schokolade essen, das Leben genießen und als großartige Liberale auftreten, ohne die Tatsache zu realisieren, dass einige der Muslime, die dort sind, Terroranschläge organisieren“.

Dabei befindet sich Israel selbst noch weit entfernt vom Ziel von einer Lösung für das noch relativ neue Phänomen im eigenen Land der „Lone-Wolf-Intifada“, die zumeist mit Messer verübten Angriffe von palästinensischen Einzeltätern, die seit September 30 Opfer forderten. Israel schottet sich ab gegen den muslimischen Extremismus. Entlang der Waffenstillstandslinie von 1967 und rings um den Gazastreifen sollen Trennzäune und Mauern die palästinensische Hamas fernhalten, an der ägyptischen Grenze und auf den Golanhöhen den so genannten Isalmeischen Staat und andere radikale Gruppen. Der Schabak, Israels Inlandsnachrichtendienst, setzt auf seine Spitzel, auf Verhöre und Abhöranlagen. „Gute Geheimdienste sind teuer“, räumt Lerman ein, der selbst über 20 Jahre lang dem militärischen Abwehrdienst angehörte, aber sie ermöglichten es, „freien Gesellschaften in Sicherheit zu leben“.

Terror ist in Israel seit Jahrzehnten Alltag. Wachposten an der Einfahrt zu öffentlichen Parkhäusern, die danach fragen, ob man eine Waffe bei sich hat, und dazu auffordern, den Kofferaum zu öffnen, gehören dazu. Fast alle Bürohäuser, Theater, Kinos, Bibliotheken, Restaurants, Supermärkte und Krankenkassen sind bewacht. Ein generelles Umdenken und „Erwachen“ angesichts der Terrorgefahr hält auch Pini Schiff, ehemals Sicherheitschef am Flughafen Ben Gurion, in Europa für überfällig. Der Flughafen unweit von Tel Aviv gilt als einer der sichersten weltweit. Schon an der Auffahrt zum Flughafengelände stoppen Sicherheitsleute jeden einzelnen Wagen, wechseln mit den Insassen ein paar Worte und lassen sich im Zweifelsfall die Papiere zeigen. „Das System von Sicherheitszirkeln ermöglicht es, einen verdächtigen Passagier schon sechs Kilometer vor dem Terminal abzufangen“, erklärt Schiff in der Jerusalem Post. Besonders effektiv sei das Prinzip des „Profiling“. Der Sicherheitsapparat ginge dabei davon aus, dass „99,9 Prozent der Passagiere keine Terroristen sind“. Sämtliche Fahrgäste zu kontrollieren, sei Zeitverschwendung.

Araber, Alleinreisende und Männer bergen statistisch betrachtet das größte Gefahrenpotenzial, und die Aufmerksamkeit der Wachleute konzentriert sich auf die Schnittmenge der drei Gruppen. Frauen mit Kleinkindern oder ältere jüdische Israelis werden durchgewunken. „50 Jahre Erfahrung“, so schreibt der Geheimdienstexperte Jossi Melman in der Jerusalem Post, führten zu dem Ergebnis „einer holistischen Sicherheitsdoktrin“.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, der sich beeilte den Regierungen in Ankara, Paris und Brüssel seine Solidarität zu bekunden, vergleicht zwischen IS und Hamas, die, wie er sagt, beide „einzig vom Hass getrieben sind“. In einem Interview mit der deutschen Tageszeitung Die Welt appellierte Netanjahu, Israel, „der einzigen Kraft im Nahen Osten“, die den Islamisten „die Stirn bietet“, den Rücken zu stärken. Wissenschaftsminister Ofir Akunis zog gar eine Verbindung zwischen den Anschlägen in Brüssel und Europas Israelpolitik. Während „Tausende islamistische Terrorzellen“ heranwuchsen, so schrieb Akunis auf seiner Facebook-Seite, habe Europa nichts besseres zu tun, als „dummerweise Israel zu verurteilten und Produkte (aus Siedlungen) zu kennzeichnen“.

Ganz anders sieht es Gideon Levy, linkspositionierter Reporter für palästinensische Angelegenheiten von Haaretz, der bei der Debatte, was Europa von Israel lernen kann, daran erinnert, dass „Terror nicht gleich Terror ist“. Während der IS „weder für die Ziele noch die Methoden irgendeine Legitimation genießt“, sei der palästinensische Terror „in der Methode zwar kriminell, aber in der Sache gerechtfertigt“.

Bislang zeigen sich Armee, Polizei und Geheimdienste bei der Bekämpfung der „Lone-Wolf-Intifada“ deutlich überfordert. Die Welle der Überfälle reißt nicht ab. Dabei riskiert jeder Angreifer den nahezu sicheren Tod. Über 200 Palästinenser starben seit September bei Zwischenfällen und Demonstrationen. Israels Sicherheitskräfte fackeln nicht lange, bevor sie zum Revolver greifen. In diesen Tagen macht der Fall eines Soldaten Schlagzeilen, der einen bewusstlos am Boden liegenden Palästinenser mit gezieltem Kopfschuss tötete. Der Soldat muss sich wegen Totschlags vor Gericht verantworten. Rechtsnationale Politiker nannten ihn einen „Helden“ und solidarisierten sich, wie Bildungsminister Naftali Bennett, Chef der Siedlerpartei „HaBayit Hayehudi“ mit der Familie des Todesschützen.

Vor der Altstadt Jerusalems beobachtete die Fotografin Debbie Hill einen Palästinenser, der die Hände vor sich ausstreckte, um zu demonstrieren, dass er kein Messer bei sich trägt. „Es ist für uns nicht leicht, aber für sie (die Palästinenser) auch nicht“, sagt Hill. Das Mossawa Center, das sich um Rechtsbeistand für arabische Bürger in Israel kümmert, berichtete von einer „Verdopplung“ der Übergriffe gegen Araber. Einer aktuellen Umfrage zufolge fürchten sich 85 Prozent der arabischen Staatsbürger vor einem weiteren Anstieg von Übergriffen und Rassismus. Schon jetzt fürchteten 78 Prozent, in Einkaufszentren zu gehen, berichtet das israelisch-arabische Nachrichtenportal Bokra.net.

In einem Kommentar in der Haaretz mahnt Avirama Golan Europa vor neuem Rassismus gegen die Muslime. Das „logische“ und „einfachste Mittel“, so schreibt Golan, sei „die Schwächung des IS, indem man seine Finanzierung durch die großen Banken in Europa stoppt und damit die Fähigkeit der Bewegung, Waffen zu kaufen, austrocknet“.

Susanne Knaul
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