Karl Marx und Luxemburg (6)

Die neue Luxemb. Zeitung

d'Lëtzebuerger Land du 08.11.2019

Im Brüsseler Exil Mitte der Vierzigerjahre des 19. Jahrhunderts bemühten sich Karl Marx, Friedrich Engels und ihre Mitstreiter, die Arbeiterbewegung aus dem von Polizei und Justiz aufgezwungenen Untergrunddasein zu befreien und ihre Anhängerschaft zu vergrößern. Außerdem wollten sie den Einfluss von Joseph Proudhon (1809-1865), der Früh- und „Wahren Sozialisten“ bekämpfen, die sie für unwissenschaftliche Spinner hielten.1

Aus beiden Gründen brauchten sie wieder dringend eine Zeitung, mit der sie ihren Standpunkt verteidigen konnten. Die Zeitungen, in denen sie bis dahin geschrieben hatten, waren verboten, eingestellt oder zur Änderung ihrer politischen Ausrichtung gezwungen worden. Ihr Bemühen galt einer „von Marx und Engels in Brüssel 1845 bis Frühjahr 1846 geplanten Publikation zur Propaganda der kommunistischen Ansichten […]. Für das Vorhaben wurde im Laufe der Zeit verschiedene Erscheinungsmöglichkeiten ins Auge gefasst. Zur Teilnahme daran hatten sie ihre Freunde Bernays, Bürgers, Daniels, Harney, Weitling und Weydemeyer aufgefordert.“2

Mitte Januar 1846 erhielt Karl Marx Besuch von ­Joseph Weydemeyer (1818-1866), einem ehemaligen Artillerieoffizier aus Münster in Westfalen, der zu den Kölner Kommunisten gehört und sozialpolitische Korrespondenzen für die Trier’sche Zeitung geschrieben hatte. Mit 27 Jahren hatte er 1845 die Armee verlassen, um Redakteur in Trier zu werden. „Im Mai 1845, als Weydemeyer allem Anschein nach in Trier eintraf, stand die Zeitung bei den Behörden in dem Ruf, einer ‘radikal-sozialistischen in den Kommunismus übergehenden’ Tendenz nicht fernzustehen.“3 Doch die Trier’sche Zeitung hatte ihm bald wegen seiner zu radikalen Ansichten gekündigt, und in der zweiten Januarhälfte 1846 verließ er Trier wieder.4 Einer seiner ersten Besuche galt Marx in Brüssel.

Zwei Wochen nach Weydemeyers Ankunft erhielt Marx am 30. Januar 1846 Post aus Köln von Roland Daniels. Roland Daniels (1819-1855) war ein junger Armenarzt in Köln, der 1844 während seiner Stu­dienzeit in Paris Karl Marx und wenig später in Liège dessen Luxemburger Mitstreiter Victor Tedesco kennengelernt hatte.5 An den Rand seines Briefs hatte Daniels geschrieben: „Wir haben vor das Volksblatt eingehen zu lassen resp. übergehen zu lassen in die neue Luxemb. Zeitung.“6 Das 1845 in Köln gegründete Allgemeine Volksblatt musste Anfang 1846 aus Geldmangel eingestellt werden.

Offenbar war es Weydemeyer, der Kontakt zu den Leuten unterhielt, die die von Daniels gemeldete Neue Luxemburger Zeitung herausgeben wollten. Als Journalist im benachbarten Trier musste ­Weydemeyer einen Eindruck von der Politik und Presse im benachbarten Luxemburg gewonnen und vielleicht sogar Kontakte zu dortigen Journalisten, Druckern oder liberalen Politikern geknüpft haben, da die Trier’sche Zeitung auch über Luxemburg berichtete. Er schrieb am 13. Mai 1846 aus Schildesche an Friedrich Engels und Philippe-Charles Gigot in Brüssel: „Mein Luxemburger Freund hat Nichts mehr von sich hören lassen; mit einem kleinen Danksagungsschreiben für seine freundlichen Bemühungen werde ich mich vollends von ihm verabschieden.“7 Einen Tag später meldete er auch an Karl Marx: „Bitte, laß’ mich nicht zu lange auf Antwort warten; denk’ auch an den Brief an Meyer. Von Luxemburg nichts Weiteres; hast Du noch keine Nachrichten über Limburg?“8

Damit endete der Versuch nicht nur der rheinischen Kommunisten, sondern wohl auch des Kommunistischen Korrespondenzkomitees um Karl Marx, ihre Ideen mittels einer in Luxemburg herausgegebenen Zeitung zu verbreiten, die vor allem in Preußen verkauft oder dorthin geschmuggelt werden, vielleicht sogar deutsche Handwerker und Intellektuelle in Paris, Brüssel und London erreichen sollte. Die Idee war nicht abwegig. Denn ein Jahr zuvor, 1844, hatten Luxemburger und preußische Katholiken die Luxemburger Zeitung gegründet, die in Trier und dem Rheinland als Kulturkampforgan gegen den evangelischen preußischen Staat verbreitet werden sollte. Die Luxemburger Zeitung war ein halbes Jahr lang die erste Tageszeitung in Luxemburg, bis sie am 15. Juni 1845 der Zensur erlag. Ihr Herausgeber und Redakteur, Ernest Grégoire (1802-?) aus Charleville, sollte im März 1848 einer der Anführer der bei Risquons-Tout geschlagenen Militärexpedition sein, die die belgische Monarchie stürzen wollte, und in deren Folge Victor Tedesco zum Tode verurteilt worden war.9

Ein Jahr nach dem Ende der Luxemburger Zeitung gab es tatsächlich Pläne, eine zweimal wöchentlich erscheinende, zweisprachige Neue Luxemburger Zeitung/Nouveau Journal de Luxembourg zu gründen. Anders als ihre ultramontane Vorgängerin sollte sie ein linksliberales Blatt sein. Die Idee stammte von zwei jungen Rechtsanwälten, Emmanuel Servais (1811-1890) und Charles Munchen (1813-1882).

Als junger Mann war Emmanuel Servais um 1830 nach Paris gezogen, „où les émeutes l’intéressaient au plus haut degré et où il fit partie – il est vrai pendant quelque temps seulement – de la Société des Droits de l’Homme. […] Ayant pris fait et cause pour la Révolution belge, il se fit inscrire en 1833 au Barreau d’Arlon ‘dans des circonstances très favorables pour un débutant‘ […]. Servais fonda avec Victor Tesch le bi-hebdomadaire ‘L’Echo du Luxembourg’ auquel collaboraient également les hommes de loi Charles Metz et Georges Wurth.“10 Nach der Abtrennung des Großherzogtums von Belgien kehrte Servais nach Luxemburg zurück, schrieb sich, nun nicht ohne Schwierigkeiten, als Rechtsanwalt ein und wurde Abgeordneter. „A l’Assemblée des Etats, dont la première session eut lieu en juin 1842, Servais teinté d’un libéralisme assez violent et vaguement révolu­tionnaire, représentait le canton de Mersch avec ­Théodore Pescatore et Cl. Clément.“11 Der in Echternach geborene Charles Munchen arbeitete als Rechtsanwalt mit Emmanuel Servais zusammen.

Ende 1846 reichte der Drucker Gaspard Rodenborn (?-1855) einen Antrag ein, um ab dem 1. Januar 1847 die Neue Luxemburger Zeitung herausgeben zu dürfen. Davon berichtete das Diekircher Wochenblatt am 2. Januar 1847: „Jetzt beabsichtigen zwei Advokaten, angesehene Leute – die deutsche Gesinnung des Einen wird sehr gerühmt – ein Oppositionsblatt zu gründen, dessen Losung Opposition gegen die Mißbräuche, z. B. Nepotismus, Wucher, u. dgl. werden soll. Zugleich erscheint der Echternacher Grenzbote, der zwar der Kirche und dem Staate die Hand reicht, aber allerlei sozialistische Ideen blicken läßt, und es auf die ‚hammelfeisten Liberalen‘ gemünzt hat. Er wird Korrespondenzen in beiden Sprachen aufnehmen. Endlich hat sich ein ehrenwerther Katholik vorgenommen, ein fünftes Blatt erscheinen zu lassen, welches die Rechte der Kirche vertreten soll.“ Das „fünfte Blatt“ sollte das ein Jahr später gegründete Luxemburger Wort werden.

Doch eine Woche später, am 9. Januar 1847, musste das Diekircher Blatt melden: „Dem Vernehmen nach soll der neuen ‚Luxemburger Zeitung‘, welche am 1. d. M. in deutscher und französischer Sprache erscheinen sollte, die Concession vorenthalten werden; dieselbe ist wenigstens wider Erwarten bis jetzt ausgeblieben. Das wäre zu verwundern und wirklich Schade, denn die beiden Redacteure, die Herrn Advokaten München und Servais, welche an der Spitze stehen, und denen sich schon tüchtige Mitarbeiter angeboten haben, sind freisinnige und mit unsern Zuständen genau vertraute Männer, die kein Blatt vor den Mund zu nehmen pflegen.“

„Doch da der Gouverneur laut Order des Königs keine neue Zeitung zulassen durfte“12, verbot die Regierung das Erscheinen der Zeitung nicht, sondern machte es unmöglich, indem sie keinen für die Vorkontrolle ihrer Artikel verantwortlichen Zensor ernannte. Daraufhin interpellierte Emmanuel Servais am 15. Juni 1847 in der Ständeversammlung Gouverneur de la Fontaine: „Un journal devait y être publié, l’éditeur ne croyait pas avoir besoin d’une concession de la part du Gouvernement, puisqu’il n’existe aucune loi en vigueur dans le Grand-Duché qui impose cette obligation. Lorsque le prospectus fut publié, le Gouvernement exigea que les rédacteurs du journal à créer fussent désignés. L’éditeur obtempéra à cette demande; cependant 5 ou 6 mois se sont écoulés depuis lors, sans qu’il ait obtenu aucune réponse.“13

Aus der erhaltenen Korrespondenz geht nicht hervor, wer Joseph Weydemeyers „Luxemburger Freund“ war, der im Vormärz Beiträge von Autoren des Kommunistischen Korrespondenzkomitees in der Neuen Luxemburger Zeitung gedruckt hätte. Emmanuel ­Servais wurde später Staatsminister; Charles Munchen gab in der Revolution von 1848 die erste satirische Zeitung des Landes heraus, L’Arlequin; Gaspard Rodenborn wurde der erste verantwortliche Herausgeber des klerikalen Luxemburger Wort und Michel Behrens (1807-1858) dessen Drucker.

Während die gescheiterte Neue Luxemburger Zeitung sich um demokratische Belange kümmern wollte, konnte am 3. Januar 1848 in Echternach Der Grenzbote erscheinen, der auch soziale Anliegen hatte und in seiner ersten Ausgabe bekannte: „Und dennoch hat der ‚Grenzbote‘ keine Scheu vor dem Namen Socialist, […] Der ‚Grenzbote‘ glaubt an die Nothwendigkeit einer socialen Umgestaltung: der vierte Stand fordert seine Rechte und wie der dritte einst, so wird er sie auch erlangen. Und wer gehört zum vierten Stande, zum Proletariate? Alle diejenigen die mit geistigen, sittlichen und körperlichen Kräften in der Werkstätte des täglichen Erwerbes für die tägliche Existenz arbeiten.“

Der Grenzbote veröffentliche in seinen Ausgaben vom 7., 10. und 21. Januar 1848 eine der ersten Sozialtheorien der Luxemburger Geschichte: „Der Besitz, der materielle Besitz gibt alle Rechte; dem Besitz gilt jeder Gunst; dem Besitz gebührt aller Vorzug. Wer nicht besitzt hat keine Ansprüche im Leben, selbst die Gerechtigkeit ist für ihn zu theuer. […] Die Sclaverei hat aufgehört und ist ein anderes geworden, nämlich Feudalität; auch diese ist nicht ewig gewesen, und der Individualismus des Capitals ist als nothwendige Entwicklungsstufe an ihre Stelle getreten; soll er nun ewig sein?“ Deshalb komme es zur „gesetzlich geregelten Production, der natürlichen Verbrüderung oder Association zwischen Capital, Fähigkeit, Fertigkeit und Kraft. […] Die Periode der industriellen Arbeiterherrschaft wird eintreten und im Laufe der Zeit zu einer Tyrannei über den Ackerbau sich empor schwingen“ bis zur „Association des Grundbesitzes und Abschaffung des Erbrechtes“.

Die von den „Wahren Sozialisten“ der Trier’schen Zeitung, den Frühsozialisten Charles Fourrier (1772-1837) und Louis Blanc (1811-1882) beeinflusste Artikelfolge stammte wahrscheinlich aus der Feder des Echternacher Lehrers Mathias Hardt. Nach 60 Ausgaben und dem Ende der Revolution fusionierte Der Grenzbote am 28. Juli 1848 mit dem Volksfreund. Auch eine Verbindung ­Weydemeyers zu Matthias Hardt, der die Trier’sche Zeitung kannte, zu dem aus Trier stammenden Grenzboten-­Herausgeber und Drucker Franz Schoemann, der seit 1837 in Arlon arbeitete, oder zu deren Geldgeber, Karl Christian Andreas Müller, konnte bisher nicht nachgewiesen werden.

Aber Karl Marx hatte sowieso das Interesse verloren. Friedrich Engels konnte am 24. Mai 1848 zufrieden an Emil Blank in London melden: „Lieber Emil Vorigen Samstag bin ich hieher nach Cöln gekommen. Die Rheinische Zeitung wird am 1. Juni erscheinen. Um aber nicht sofort auf Hindernisse zu stoßen müssen wir vorher einige Arrangements in London treffen, die wir, 5 da kein Andrer da ist, Dir zu übertragen so frei sind. […] Das nöthige Capital für die Zeitung ist zusammen. Alles geht gut, es handelt sich nur noch um die Journale, dann können wir anfangen.“14 Am 1. Juni 1848 erschien unter Chefredakteur Karl Marx die erste Nummer der Neuen Rheinischen Zeitung. Organ der Demokratie. Nach knapp einem Jahr wurde sie verboten, Karl Marx musste zurück ins Exil.

1 d’Lëtzebuerger Land, 24.8.2018

2 Marx-Engels-Gesamtausgabe (Mega)2, III1, S. 853

3 Karl Obermann, Joseph Weydemeyer. Ein Lebensbild, Berlin, Dietz, 1968, S. 35

4 Karl Obermann, S. 59-60

5 Roland Daniels, Mikrokosmos, Frankfurt a.M., Land, 1988, S. 193

6 Mega2, III.1, S. 500

7 Mega2, III.2, S. 189

8 Mega2, III.2, S. 194

9 d’Lëtzebuerger Land, 12.4.2019

10 Jules Mersch, Biographie nationale, XXme fascicule, Luxembourg, 1972, S. 473-474

11 Jules Mersch, S. 479

12 Gast Mannes, Josiane Weber, Zensur im Vormärz (1815-1848) Literatur und Presse in Luxemburg unter der Vormundschaft des deutschen Bundes, Bibliothèque nationale Luxembourg, 1998, S. 64-65

13 Compte-rendu des séances des États du Grand-Duché de Luxembourg, 15 juin 1847

14 Mega2, III.2, S. 155

Romain Hilgert
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