Hart an der Grenze

In wilder Ehe

d'Lëtzebuerger Land vom 01.02.2013

Deutschland und Frankreich haben mit Pomp und Pathos den 50. Jahrestag des „Élysée-Vertrags” – also des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags – gefeiert. Vor allem haben sie natürlich sich selbst gefeiert. Ohne sie geht ja so gut wie nichts, zumindest nicht in der Europäischen Union. Wenn die beiden das glauben, ist das ja auch in Ordnung. Der Glaube versetzt bekanntlich Berge. Ob das auch für Schuldenberge gilt? Aber lassen wir das.

Der Élysée-Vertrag war und ist etwas Tolles, es gibt allerdings keinen Grund, das deutsch-französische Verhältnis zu verklären. Der Beginn dieser Freundschaft verlief alles andere als ruhig und in geordneten Bahnen. Jeder der beiden Staaten sah sich gerne an der Spitze, da wo eigentlich nur Platz für einen ist. Während die Deutschen eine enge(re) Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten anstrebten, hätten die Franzosen lieber auf eigenen Füßen gestanden, wenn sie es gekonnt hätten. Auch der Verlauf dieser fünfzigjährigen „Ehe” war nicht immer harmonisch, aber welche Ehe kann das schon von sich behaupten?

Frankreich und Deutschland, geht das überhaupt? Gerade heute, wo die einen, geblendet von geschwängerten Arbeitsmarktzahlen und geschönten Exportbilanzen, Merkels Spar-Zickzack-Kurs fast blind folgen? Und die anderen, dem „Grande Nation”-Gedanken nachtrauernd und chronische Systemschwächen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung tapfer ignorierend, Hollandes Schlafliedern wie gebannt zuhören? Es geht, weil es gehen muss, auch wenn zuletzt, bedingt durch die Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise mit ihren kleinen und großen Kollateralschäden, die Liebe zwischen unserem Traumpaar etwas erkaltet zu sein schien. Das Verhältnis kam manchmal so feurig herüber wie ein temporär stillgelegter Arcelor-Mittal-

Hochofen! Das haben auch Um-fragen bestätigt, etwa die vor kurzem vom Allensbacher Insti­-tut für Demoskopie veröffentlichte. Auf die Frage, wie das deutsch-französische Verhältnis so sei, antworteten 60 Prozent mit „(sehr) gut“ und 27 Prozent mit „(gar) nicht gut“. Dieses Ergebnis wäre in Ordnung, wenn nicht zehn Jahre vorher noch 88 Prozent der Befragten mit „gut“ beziehungsweise „sehr gut“ ge-antwortet hätten.

Die Deutsch-Französische Freundschaft (mit großem „D“ und großem „F“) gehört wiederbelebt und ausgebaut. Hierbei sollten alle mitanpacken, nicht nur Deutsche und Franzosen, auch die Nachbarländer und an erster Stelle die Luxemburger. Es gibt wenigstens zwei gute Gründe dafür: Wenn es diesen beiden Großen gut geht, und zwar nicht nur wirtschaftlich und politisch, sondern auch moralisch und zivilgesellschaftlich, dann ist das positiv für alle. Und wenn wir uns einbringen, völkerverbindend und brückenbauend, zeigen wir, dass es uns gibt und vergrößern somit die Chance, wahrgenommen zu werden. Natürlich wäre es auch für unsere deutschen und französischen Freunde gewinnbringend und zeitsparend, wenn sie gar nicht erst den Eindruck entstehen ließen, sich von anderen Ländern abgrenzen und sich für etwas Besseres halten zu wollen.

Der französische Präsident wollte anscheinend einen neuen „Élysée-Vertrag“. Die Bundeskanzlerin hat wahrscheinlich an all die anderen internationalen Verträge gedacht, die in naher Zukunft überarbeitet und neu verhandelt werden müssen, und deshalb dem (den) Franzosen eine Absage erteilt. Es gab also keinen neuen Ehevertrag, sondern eine Erklärung, mit vielen Punkten. Eine wilde Ehe halt, mit Regeln und Leitplanken, in der Fremdgehen auch weiterhin möglich bleibt.

Claude Gengler
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