Damit junge Forscher beizeiten ihr eigenes Projekt leiten können, legte der Forschungsfonds 2010 ein Junior-Programm auf. Dieses Jahr aber wurden deutlich weniger Projekte akzeptiert

Wettbewerbsdruck

d'Lëtzebuerger Land vom 16.12.2011

Karl B.* ist Soziologe mit Doktortitel und arbeitet am Belvaler Sozialforschungszentrum Ceps-Instead. Dieses Jahr reichte er beim nationalen Forschungsfonds FNR ein Projekt zur Förderung durch das Core junior-Programm ein. Der Antrag wurde abgelehnt.

Das sei an sich nicht schlimm, sagt Karl B. Wer sich an Ausschreibungen beteiligt, müsse damit rechnen, nicht akzeptiert zu werden; der Wissenschaftsbetrieb sei nun mal „höchst kompetitiv“. Dennoch habe die Entscheidung ihn erstaunt: „Die Bewertungen, die mein Projekt erhielt, waren im Grunde positiv. Niemand kritisierte die Methodologie, die ich vorschlug. Doch am Ende hieß es, mein Vorhaben sei zu anwendungsorientiert. Eine Veröffentlichung in einem hochrangigen Wissenschaftsjournal sei da voraussichtlich nicht drin.“

Core heißt das Programm, mit dem der FNR seit 2008 Jahr für Jahr Forschungsprojekte in Bereichen finanziell unterstützt, die nach seiner Ansicht und der der Regierung in Luxemburg Priorität haben sollen. Sechs große Themengebiete sind das: erstens die Innovation im Dienstleistungsbereich, zweitens nachhaltiges Ressourcenmanagement, drittens neue Materialien, viertens die Biomedizin, fünftens die Forschung über den Arbeitsmarkt, das Bildungswesen und den Sozialschutz sowie sechstens die über Identitäten, Vielfalt und Integration in der multikulturellen Gesellschaft. Insgesamt 22 Millionen Euro standen dieses Jahr für Core zur Ausschreibung, rund 16 Millionen wurden vergeben.

Dass der FNR diese Mittel nicht vollständig vergibt, liegt schon daran, dass es dabei um „kompetitive Forschung“ geht: von den 99 dieses Jahr eingereichten Dossiers wurden nur 28 akzeptiert. Hauptbewertungskriterium ist die wissenschaftliche Qualität und Originalität. Weil die Resultate sich im internationalen Vergleich messen lassen sollen, ist der Ausleseprozess nicht gerade kurz und keineswegs national-provinziell: Jedes Vorhaben wird zunächst in einer Peer review von drei voneinander unabhängigen Gutachtern bewertet. Deren Einschätzungen gehen an ein Panel aus weiteren renommierten Gutachtern, das beim FNR zu jedem der sechs Themenbereiche zusammengerufen wird. Die Panels diskutieren die Einzelgutachten und ein Berichterstatter schreibt zu jedem eingereichten Projekt einen Synthesebericht. Darin wird empfohlen, ob es eine Förderung geben sollte oder nicht. Die abschließende Entscheidung trifft der FNR-Verwaltungsrat.

Um jungen Forschern zu ermöglichen, bereits am Anfang ihrer Laufbahn ein eigenes Projekt zu leiten, führte der FNR 2010 Core junior ein. Teilnehmen kann, wer seinen Doktorgrad noch im selben Jahr erworben hat oder spätestens sechs Jahre vor der Einreichung des Projekts. Bei Core junior gibt es einerseits weniger Geld: finanziert werden nur die Vollzeitstelle des Projektverantwortlichen selbst und noch die eines Doktoranden. Andererseits muss neben einem erfahrenen wissenschaftlichen Betreuer aus dem jeweiligen Forschungsinstitut noch ein renommierter ausländischer Mentor den jungen Forscher begleiten. Den Antragstellern für Core junior stellt der FNR in Aussicht, die Gutachter würden berücksichtigen, dass der Kandidat noch jung sei und beispielsweise noch über keine lange Publikationsliste verfügen könne. Abgesehen davon ist die Peer review genauso streng wie für die großen Core-Projekte. Und wie ein Antragsteller für ein großes Core-Projekt erhält auch der Junior die Einzelgutachten der Peer group und den Synthesebericht des Panels zugestellt.

Am Ceps-Instead ist es nicht nur Karl B., der sich wundert, im Grunde positiv bewertet, am Ende aber doch abgelehnt worden zu sein. Seine Kollegin Anna Z.* fühlt sich für ihr Sozialforschungprojekt durch die Peer review ebenfalls gut bewertet, doch am Ende wurde ihr nahe gelegt, besser „komparativ“ die Situation in einem anderen Land mit zu betrachten. Und zwei junge Landesplaner aus der Geografie-Abteilung des Ceps erhielten den Rat, ihre „eher anwendungsorientierten“ Vorhaben von einem Ministerium finanzieren zu lassen. Alle vier können die Kritiken verstehen, doch: Offenbar sei der Luxemburg-Bezug ihrer Ansätze nicht als wettbewerbsfähig genug eingeschätzt worden. „Wir forschen doch aber für die Gesellschaft“, wendet einer der Geografen ein. Ein Vergleich mit dem Ausland müsse nicht unbedingt zu international interessanteren Resultaten führen, sondern zu „anderen, mit denen sich schwerer zeigen lassen kann, was man eigentlich untersuchen wollte“, sagen die Soziologen. Und alle geben zu verstehen, dass ganz ähnlich gelagerte Projekte im vergangenen Jahr im Core junior-Wettbewerb akzeptiert worden seien. Vielleicht habe der FNR in diesem Jahr deutlich höhere Exzellenz-Anforderungen gestellt als 2010, zum Start von Core junior.

Was man vielleicht doch als enttäuschte Reaktion junger Forscher auf ihr Abschneiden ansehen könnte, reicht allerdings nicht nur über sie persönlich, sondern sogar über das Ceps hinaus, dessen Direktor Pierre Hausman ebenfalls mit Erstaunen festgestellt hat, dass diesmal von insgesamt sieben eingereichten Core junior-Projekten aus seinem Haus nur eines angenommen wurde. Auch die Uni Luxemburg sucht „wegen der niedrigen Bewilligungsrate das Gespräch mit dem Forschungsfonds“, erklärt deren Pressesprecherin Britta Schlüter.

Am Centre de recherche public Gabriel Lippmann in Beles fühlt man sich nicht betroffen, denn „bisher haben wir kaum auf Core junior zurückgegriffen“, so Direktor Fernand Reinig. Ähnlich am CRP-Santé, wo nur 2010 „ein oder zwei Junior-Projekte starteten“, so dessen CEO Jean-Claude Schmit. Dagegen spricht Marc Lemmer, der Chef des CRP Henri Tudor, von einem „ernsten Problem“: Von Tudor wurde, wie von der Uni und dem Ceps-Instead, dieses Jahr nur ein Core junior-Projekt akzeptiert – aufgestellt von der Abteilung Service Science and Innovation. Deren Leiter Eric Dubois findet, ganz ähnlich wie die Ceps-Forscher, der FNR habe dieses Jahr „seine Exzellenzansprüche erhöht“.

Die Statistik sieht ein wenig so aus: Genehmigte der FNR dieses Jahr insgsamt drei Core junior-Projekte, waren es 2010 sieben gewesen. An den Anforderungen habe sich aber nichts geändert, sagt Christiane Kaell, die Generalkoordinatorin der Forschungsprogramme des Fonds. „Die waren schon immer hoch.“ Scheitere eine Kandidatur, liege das häufig daran, dass die jungen Forscher „überambitioniert“ waren und sich zu viel vornahmen. Oder dass die Betreuer aus dem Institut ihnen nicht genug beistanden, um das Projekt „kohärent“ zu machen. An seinen Qualitätsmaßstäben lasse der FNR nicht rütteln, „auch weil wir uns mit Gremien im Ausland vergleichen müssen, die nicht den Eindruck haben sollen, wir ließen nach“.

An den Forschungseinrichtungen scheint man dagegen ein Risiko zu erkennen, dass sich der FNR mit seinen Maßstäben von der Realität im Land entferne: „Nicht nur viele Forscher sind jung, das Umfeld ist es auch“, sagt Tudor-Chef Lemmer. „Wissenschaftliche Exzellenz anzustreben, ist richtig. Aber ein Programm wie Core junior müsste den Weg dahin begleiten, statt vorauszusetzen, man sei schon am Ziel.“

Fragt sich nur, an welchen Standards sich ein „anderes“ Junior-Programm orientieren könnte. Denn was die Forscher und die Institutsdirektionen anmerken, scheint vieles zu umfassen: Die alte Frage, ob anwendungsbezogene Forschung genauso wissenschaftlich hochwertig ist wie Grundlagenforschung. Das ebenfalls nicht ganz neue Problem, in Luxemburg gewonnene Resultate aus der Sozialwissenschaft, selbst wenn sie interessant sind, in einem namhaften Journal unterzubringen, weil dessen Redaktion sich fragt: „Luxembourg, who’s that?“ Und schließlich die eher grundsätzliche Frage, ob etwa Innovationsleistungen, die ein CRP für die Industrie erbringt, nicht an ganz anderen Normen gemessen werden sollten; im Ausland gibt es für die Förderung „kompetitiver“ Projekte bisweilen zwei Schienen – eine für die Wissenschaft und eine für die Innovation.

Beim FNR weist man alle Gedanken an „Mehrgleisigkeit“ zurück. Gespräche mit den Forschungszentren und der Uni über den Core-Wettbewerb aber wird es Anfang nächsten Jahres wohl geben. Derweil begann diese Woche die Ausschreibung von Core 2012 – mit den alten Regeln.

* Namen von der Redaktion geändert
Peter Feist
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