Flexible Instrumente

CO2-Kapitalismus

d'Lëtzebuerger Land vom 12.06.2008

Als Nicholas Stern, der frühere Chefökonom der Weltbank, im Oktober 2006 die berühmt gewordene Stern Review on the Economics of Climate Change veröffentlichte, nannte er darin den Klimawandel „the greatest market failure the world has ever seen“. Zwanzig Monate später und knapp ein halbes Jahr nach Beginn der „Kioto-Phase“ stellt sich die Frage, ob der Kapitalismus so angepasst wurde, dass er die Senkung von Emissionen tatsächlich belohnt.

Um diesen Mechanismus in Gang zu setzen, wurde das Kioto-Protokoll seinerzeit um „flexible Instrumente“ ergänzt: Zum einen um einen Emissionshandel ähnlich dem, wie er EU-intern seit 2005 für CO2-intensive Industrien existiert, nur dass auf Welt-ebene auch die Vertragsstaaten von Kioto „traden“ können. Zum anderen um ein Joint Implementation-Verfahren (JI) für einen emissionsreduzieren­den Technologietransfer zwischen den entwickelten Industriestaaten, den der Nehmerstaat mit CO2-Quoten an den Geberstaat bezahlt. Und schließlich den Clean Development Mechanism (CDM) für Investitionen reicher Länder in Projekte in Entwicklungsländern, die dem Geber ebenfalls mit CO2-Rechten honoriert werden.

Schon am Beispiel Luxemburgs müssen jedoch erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit des Kohlenstoff-Kapitalismus für den Klimaschutz aufkommen. Seit der bevorstehende Start des EU-Emissionshandels die damalige CSV-DP-Regierung Ende 2003/Anfang 2004 zwang, Klimaschutzpolitik nicht mehr nur als Ankündigungspolitik zu betreiben, sondern im volkswirtschaftlichen und fiskalischen Zusammenhang zu sehen, gilt der Rückgriff auf die flexiblen Instrumente nicht mehr als so „unmoralisch“, wie ihn der damalige liberale Umwelt- und Entwicklungshilfeminister Charles Goerens genannt hatte, falls Klimaschutzanstrengungen daheim unterbleiben sollten. Denn anhand von Zahlen stellte das Einsparziel von minus 28 Prozent bis spätestens 2012 gegenüber dem Basisjahr 1990 sich als aus überwiegend eigener Kraft nicht mehr erreichbar dar.

Heute scheint sich jene Emissionsprognose zu bewahrheiten, die 2004 der Industriellenverband Fedil aufgestellt hatte: Bis 2012 werde Luxemburg weitaus mehr emittieren als 1990. Und so hat die Regierung bei der EU-Kommission beantragt, in Höhe von 37,3 Prozent der 1990-er Emissionen auf JI- und CDM-Projekte zurückgreifen zu dürfen. Denn bis 2012 werde man 40 Prozent der Emissionen des Landes abtragen müssen; aus eigener Kraft aber ließen sich nur 2,7 Prozent einsparen. „Luxemburg ist damit das einzige Land weltweit, das insgesamt mehr Rechte zukaufen will, als es Reduktionsverpflichtungen eingegangen ist“, sagt Dietmar Mirkes von der Arbeitsgruppe Klimaschutz der Action Solidarité Tiers Monde (ASTM). Das ist nicht nur eine Frage der Moral. Es fragt sich auch, ob das so einfach möglich sein wird. Denn laut Kioto-Protokoll dürfen Zukäufe nur „zusätzlich“ sein. Zwar argumentiert der amtierende Umweltminister Lucien Lux (LSAP) seit November 2005, die „Zusätzlichkeit“ sei nirgends beziffert. Auf der Hand liegt aber, dass, wer mehr zukauft, als er eigentlich reduzieren wollte, gegen das Kioto-Protokoll verstößt. Und obwohl die Unterzeichnerstaaten sich noch nicht auf einen Sanktionsmechanismus ge­einigt haben, könnte Luxemburg Strafgeld zahlen müssen.

Offensichtlich steht die Versuchung durch die marktbasierten flexiblen Instrumente einer zielorientierten Klimaschutzpolitik hierzulande entgegen. Einerseits sprach Premier Jean-Claude Juncker in seiner Erklärung zur Lage der Nation am 22. Mai erstmals davon, dass der schrittweise Ausstieg aus dem Tanktourismus bevorstehe. In der anschließenden Debatte wurde das Jahr 2016 als Stichdatum genannt, weil Luxemburg bis dahin seine Treibstoffakzisen an eine neue EU-Richtlinie über die Mindestbesteuerung von Energieprodukten anpassen muss (d’Land, 29.06.2007), und der Wirtschafts- und Sozialrat rechnet in seinem jüngsten Gutachten mit einem mittelfristigen Akzisen-Einnahmenausfall von 700 Millionen Euro, was fünf Trambahn-Strecken zwischen Kirchberg und Stater Gare entspricht. Andererseits insistierte Um­weltminister Lucien Lux beim EU-Umweltministertreffen am Donnerstag vergangener Woche weiterhin auf „mehr Flexibilität“ für Luxemburg in der Post-Kioto-Phase, für die nun die Spielregeln zur Lastenteilung unter den EU-27 verhandelt werden und für welche die Emissionen des Jahres 2005 die Referenz bilden: Nicht maximal drei Prozent seiner 2005-er Emissio­nen, wie es der Richtlinienentwurf der EU-Kommission vorsieht, will Luxemburg zwischen 2013 und 2020 aus Zukäufen abbauen dürfen, sondern zehn Prozent. Dabei könnte Luxemburg, falls es tatsächlich auf das différentiel seiner Treib­stoffakzisen gegenüber den Nachbarstaaten verzichten würde, seine CO2-Bilanz gegenüber 2005 um bis zu 43 Prozent verbessern.

Doch selbst einen Politikansatz in diese Richtung zu formulieren, bringen ein Jahr vor den Wahlen nur Grüne und DP fertig. Nicht aber die regierende Mehrheit, und so konnte es am Mittwoch in der Abgeordnetenkammer wegen einer von DP, Grünen und ADR eingebrachten Motion an die Regierung, sich auf EU-Ebene für die Streichung des zehnprozentigen Biofuel-Beimischungsziels einzusetzen, zu ungewohnt heftigen Diskussionen kommen, bei denen sich die für erneuerbare Energien zuständigen Minister Lux und Krecké sichtlich unwohl angesichts der Vorstellung fühlten, etwas fordern zu sollen, das, so Krecké, „den anderen“ eventuell nicht derart am Herzen liegt. Denn die anderen, das sind auch jene Mitgliedstaaten, die Lucien Lux gegenüber dem Luxemburger Wort am 6. Juni als Verbündete im Kampf für mehr Flexibilität erwähnte. Darunter aber sind vor allem New Europe-Staaten, die für sich abgeschwächte CO2-Reduktionsverpflichtungen und damit größere ökonomische Wachstums­möglichkei­ten auf Kosten der Alt-Europa-Länder mit dem höchsten BIP durchsetzen wollen. Weshalb nicht auch gegenüber Luxemburg mit dem höchsten Pro-Kopf-BIP und dem höchsten Pro-Kopf-CO2-Ausstoß in der EU?

Wenigstens bis zum Ende der Kioto-Periode im Jahr 2012 lässt sich der „Kioto-Fonds“ zur Finanzierung der Freikäufe auf dem CO2-Markt betreiben. 2007 wurde der Kioto-Fonds zu 70 Prozent aus den „Kioto-Cent“ genannten Aufschlägen auf die im Vergleich mit dem Ausland noch immer niedrigen Treibstoffakzisen gespeist, zu 30 Prozent aus der KFZ-Steuer. Den Kioto-Cent bezahlen zu 75 Prozent „Tanktouristen“. Doch: Ob die aus dem Kioto-Fonds finanzierten Projekte, überwiegend CDM-Projekte in Entwicklungsländern, dem Weltklima viel helfen, ist alles andere als sicher.

Je näher der Beginn der Kioto-Phase rückte, desto dynamischer wurde der internationale CDM-Markt, und bis Ende 2007 waren vom UNFCC, dem Klima-Büro der Vereinten Nationen, 1 600 CDM-Projekte bestätigt worden. Allerdings ergab eine Studie des deutschen Öko-Instituts im Auftrag der weltgrößten Umweltorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) im November letzten Jahres, dass aus einer Zufallsstichprobe von zehn Prozent sämtlicher CDM-Projekte nur 60 Prozent die Zusätzlichkeits-Vorschrift aus dem Kioto-Protokoll erfüllten: Die besagt, dass ein Projekt nur als CDM anerkannt werden darf, wenn garantiert ist, dass es nicht auch ohne CO2-Deal zwischen einer reichen und einer armen Nation realisiert würde. 

Ist für alle Projekte, die Luxemburg finanziert als CDM-Nutzer im großen Stil, die Zusätzlichkeit garantiert? Nein, denn Henri Haine, der Chefberater für Klimaschutz des Umweltministers, meint, dass „alle CDM-Projekte dieses Kriterium erfüllen, sonst wären sie nicht als solche anerkannt, und deshalb gehen wir dieser Frage nicht nach“. Was insofern verständlich ist, als die Regierung sich an CDM-Projekten, mit Ausnahme der schon unter Charles Goerens‘ Regie vereinbarten Sanierung einer Mülldeponie in El Salvador, bisher ausschließlich über internationale Fonds beteiligt, wie Lucien Lux Anfang Mai auf eine parlamentarische Anfrage des DP-Abgeordneten Eugène Berger hin erklärte. „Und da bekommt man als Fondsteilnehmer vom Carbon Manager eine Projektliste und kann höchstens die Mitfinanzierung eines bestimmten Projekts ablehnen“, erklärt Haine, „etwas aussuchen kann man sich nicht. Ein Fonds ist ja ein Fonds.“

„Dann aber funktioniert das Nullsummenspiel nicht, das reale Emissionen reicher Staaten gegen in armen Ländern vermiedene tauscht“, sagt Dietmar Mirkes von der ASTM. Und laut einer Studie der Stanford Law School generiere der Klima-Markt regelrecht perverse Effekte: „Chinesische und indische Kühlmittelfabri­ken kontraktieren CDM für die Vernichtung von halogenierten Fluorkohlenwasserstoffen aus ihren Beständen. Da HCFC ei­nen über 11 000 Mal höheren Treibhauseffekt haben als CO2, bringen sie enorm viele CDM-Credits ein, denn die Credits werden nach den vermiedenen Emissionen berechnet.“ Das Öko-Institut sei zu dem Schluss gekommen, dass bis Oktober 2007 rund 71 Prozent aller CDM-Credits aus solchen „industriellen“ Treibhausgasen gewonnen wurden. Das Problem dabei: „Die HCFC-Vernichtung ist so wenig aufwändig, dass die Credits 47 Mal mehr wert sind als die realen Kosten betrugen“, sagt Mirkes. „Man finanziert etwas, wozu Umweltgesetze bei vermutlich geringeren Kosten verholfen hätten. Aber vor allem zeigt es, dass das große Geld nicht dorthin fließt, wo der Klimaschutz am effizientesten ist, sondern wo die Gewinnspan­nen am größten sind.“ Ob Luxem­burg Teil dieser simplen Kapitallogik ist? Ein HCFC-Projekt sei noch auf keiner Liste eines Fonds aufgetaucht, in den der Staat investiert hat, sagt Henri Haine. Ob man ein solches Projekt ausschließen würde, kann er nicht sagen.

Doch weil Luxemburg CDM stark nutzen will – bislang wurden 53 Millionen Euro in Fonds platziert – stellt sich nicht nur die Frage nach Klimaschutzeffizienz, sondern auch die nach dem verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern durch die über die CDM-Teilnahme entscheidende interministerielle Arbeitsgruppe unter Leitung von Lucien Lux. Ganz streng zu kalkulieren scheint man dort nicht: Laut ASTM hat der Staat mehr Rechte an so genannten „Senken“ erworben, als zulässig. Kohlenstoffsenken sind zum Beispiel Wälder, da sie CO2 binden. Weil Wiederaufforstungen relativ leicht zu realisieren sind und sich schwer im Vornherein abschätzen lässt, wann even­­tuell wieder abgeholzt würde, begrenzt das Kioto-Protokoll den Unterzeichnerstaaten die Teilnahme an Senkenprojekten auf ein Prozent der Emissionen des Basisjahrs 1990. Das entspräche an die 130 000 Tonnen für Luxemburg und 650 000 Tonnen in der Fünfjahresperiode 2008 bis 2012. Allerdings hat die Regierung fünf Millionen Dollar in den Biocarbon Fund der Weltbank gesteckt, der Senken finanziert. „Zu viel“, meint Dietmar Mirkes. Die Investition in diesen Fonds im Jahr 2005 sei eine der ersten gewesen, die der Staat tätigte. Senkenprojekte seien besonders billig, noch 2006 habe der Biocarbon Fund auf seiner Homepage mit sechs Dollar pro Tonne CO2 geworben. „Ich denke, Luxemburg hat vier bis fünf Dollar pro Tonne bezahlt. Rechnet man das hoch, verfügt der Staat über rund das Doppelte an Senkenrechten als ihm zusteht.“

Voraussichtlich müsste Luxemburg, wie Italien unlängst, die überschüssi­gen Rechte verkaufen. „Das UNFCC ist da ziemlich wachsam“, sagt Mirkes. Und er kann sich nicht vorstellen, dass dem Staat ein Spekulationsgewinn winkt: „Auf Weltebene ist die Nutzung von Senkenrechten beschränkt, im EU-Emissionshandel ist ihr Einsatz untersagt. Wenn die Regierung nicht aufpasst, bleibt sie auf den Rechten sitzen.“ 

Peter Feist
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