Luftfahrt und EU-Emissionshandel

Ade, Schmutzfink

d'Lëtzebuerger Land du 03.07.2008

Sie fliegen wieder. Die B-747-200 von MK-Airlines. Im Juni hatte die Gesellschaft des Südafrikaners Mike Kruger ihre Flotte am Boden lassen müssen. Der Firma, die auch am Flughafen Luxemburg aktiv ist, drohte die Insolvenz. Nun hat man neue Investoren gefunden, die neue Flugzeuge kaufen wollen. Nicht dass die abgelegten Flugzeuge der Cargolux nicht mehr flugtauglich seien. Das Geschäftsmodell von MK – mit bei der Anschaffung günstigen, weil al­ten, Flugzeugen Fracht aus Schwellen- und Entwicklungsländern nach Europa transportieren – geht nicht mehr auf. MK wurde ganz einfach von der Aufwärtsentwicklung der Kerosinpreise überrollt. Auch andere Airlines mit veralteten Flotten kämpfen ums Überleben. Die Kerosinpreise haben sich in den vergangenen fünf Jahren verdreifacht. Wer da viel Sprit braucht, kann trotz Treibstoffzuschlag nicht mehr mit der Konkurrenz mithalten.

Das ist das Umfeld, in dem sich vergangene Woche Europaparlament und Ministerrat einig wurden über den Vorschlag der Kommission, die Luftfahrt ins europäische Treibhausgasemissionshandelssystem einzubeziehen. Was der Luftfahrtbranche in der augenblicklichen Situation sauer aufstößt. Die europäischen Regierungen hätten die Orientierung verloren, stänkerte der internationale Luftfahrtverband IATA. Mit Tunnelblick in den Emissionshandel zu rennen, sei keine Lösung, so der Verband weiter. Dieses Gezeter kann man aber ziemlich eindeutig als lobbyistisches Rückzugsgefecht werten. Denn der Kompromiss, auf den sich Rat und Parlament geeinigt haben, ist keineswegs so umweltfreundlich ausgefallen, wie es sich das Parlament gewünscht hatte. Und durch die hohen Treibstoffpreise findet derzeit – siehe Beispiel MK – ohnehin eine Art Bereinigung der Branche statt, für die sie keinesfalls übereifrige Politiker verantwortlich machen könnte.

Wie sieht der Kompromiss nun aus? Ab 2012 muss sich das Flugwesen am Emissionshandelssystem (ETS) beteiligen. Alle Flüge in die EU und aus der EU sind betroffen, also auch die von nicht-europäischen Gesellschaften.Die Referenzjahre sind 2004-2006. Für das Jahr 2012 wird für die gesamte Industrie ein Obergrenzwert von 97 Prozent der Emissionen der Referenzjahre festgelegt, für die Periode von 2012 bis 2020 liegt die Obergrenze bei 95 Prozent. Davon erhalten die Luftfahrtgesellschaften 85 Prozent gratis zugeteilt, 15 Prozent müssen sie ersteigern. Wobei in Zukunft, abhängig davon, wie der Emissionshandel für andere Industriezweige reformiert wird, die Obergrenze nach un­ten, und der Anteil der zu ersteigern­den Zertifikate nach oben revidiert werden kann. Zwecks Verteilung der Zertifikate werden Benchmarks und be­rechnet werden, wie viel CO2, die am System beteiligten Gesellschaften, entweder pro Tonne Fracht oder pro Passagier (100kg mit Gepäck) auf den Kilometer bezogen, ausstoßen. Einen wichtigen moralischen Sieg errang das Parlament, das eigentlich strengere Regelungen gefordert hatte: Flüge von Staats- und Regierungschefs kön­nen nicht, wie ursprünglich vorgeschla­gen, vom System ausgeklammert werden.

Die Association of European Airlines (AEA) beziffert die drohenden Zusatzkosten für den Zertifikatezukauf  auf fünf Milliarden Euro. Allein für das Jahr 2012 und ausgehend von ei­nem Preis von 30 Euro pro Verschmutzungsrecht. Höchstens 30 Pro­zent von diesen Mehrkosten könn­ten die Fluggesellschaften davon an ihre Kunden weiterreichen, sagt eine von der Branche bei Ernst and Young in Auftrag gegebene Studie. In ihrer Impaktstudie war die Kommission davon ausgegangen, alle Kos­ten könnten problemlos weitergege­ben werden, auf Flugtickets würde dies je nach Strecke zwischen vier und 40 Euro ausmachen. Nur wenn das System global gültig sei, könne es greifen, ohne dass es zu Wett­be­werbs­verzerrungen kommt, bemängelt da­gegen die Luftfahrt. Diese Forderung kennt man auch aus anderen Branchen. Allerdings war von den Autoren von Kyoto tatsächlich ein Emissionshandelsystem unter Auf­sicht der UN-Organisation Civial Avi­ation Organisation (IACO) an­gedach

t. Aber mehr als denken ist dort bisher nicht passiert, weshalb die EU-Kommission die Eigeninitiative ergriff. Dabei können sich Fluggesellschaften gegenüber anderen Industrien eigentlich nicht zuviel be­schweren. Immerhin gibt es für sie den Benchmark, auf den die Stahlkocher, Emissionshändler der ersten Stunde, bis 2013 warten müssen. Würden die Verschmutzungsrechte auf Basis der historischen Emissio­nen verteilt, würden die Schmutzfinke bevorzugt: 85 Prozent von viel Dreck sind mehr als 85 Prozent von weniger Dreck. Die Ansicht, dass dies unsinnig ist, hat sich auch in Brüssel durchgesetzt.

Daher sind die „sauberen“ Airlines erst einmal im Vorteil. Dazu wird auch die Cargolux gehören. Besonders, da sie ab nächstem Jahr mit der Flottenerneuerung beginnt. Dann erhält sie den weltweit ersten der B747-8F, dem Nachfolgermodell der 747-400F, die sie aktuell fliegt. Allein dadurch werde die Gesellschaft ihre CO2-Emissionen bis 2015 um 16 Prozent senken können, heißt es im Jahresbericht 2007. Über 40 Prozent liegt der Anteil des Treibstoffs in ihrer Kostenaufstellung, erklärt Jeannot Erpelding, Sprecher von Cargolux. Die Ausgaben für Treibstoff stie­gen 2007 im Vergleich zum Vorjahr um fast acht Prozent, obwohl weniger davon gebraucht wurde. Bei Margen von um die fünf Prozent gibt es nicht viel Spielraum, um Treibstoffpreiserhöhungen zu verdauen, ohne sie an den Kunden weiterzureichen. Zurück zum Beispiel MK: Ihre Flugzeu­ge kosten durch ihren höheren Verbrauch auf der Strecke Luxemburg Hongkong, so schätzen Experten, 80 000 Euro teuerer als die der Cargolux. Deswegen begrüßt das Luxem­burger Unternehmen verständlicher­weise prinzipiell solche Maßnahmen, die dazu beitragen, die Forschung voranzutreiben, damit der Kerosinverbrauch sinkt. Deswegen habe, so Erpelding, die Branche sich auch da­für eingesetzt, dass die Einnahmen aus den Versteigerungen wieder zurück in die Luftfahrt fließen müssen. Technische Neuerungen im Flugzeugbereich sind kostenintensiv und langwierig. Ob dies so passieren wird, oder ob am Ende nicht aber andere Transportmittel von den Geldern pro­fitieren könnten, scheint nach dem aktuellen Kompromisstext aber nicht eindeutig.  

Dass durch den Emissionshandel Mehr­kosten auf die Firma zukommen, steht für Erpelding fest. Wie viel, kann er derzeit nicht sagen, da sich die Parameter mit dem neuen Kompromiss zwischen Rat und Parlament letzte Woche wieder verändert haben. Hinzu kommt: Der Bench­mark, der Richtwert kann erst errechnet werden, wenn sich alle Airlines, die auch 2012 noch in Europa fliegen wollen, sich zum System angemeldet haben und ihren Verbrauch mitgeteilt haben. Ohne Richtwert, mit dem man sich vergleichen kann, lässt sich schwer vorhersagen, wie teuer einen das Sys­tem zu stehen kommt oder nicht.

An und für sich hat die Cargolux wohl durch ihren Flottenpolitik eine gute Vorarbeit geleistet, ob aber der Wettbewerbsvorteil erhalten bleibt, den die neuen Flieger durch ihre technische Überlegenheit bieten sollten, oder ob die Investitionen überhaupt ausreichen, um die durchs ETS entstehenden Mehrkosten zu decken, steht wohl auf einem anderen Blatt. Zugute kommt der Frachtgesellschaft natürlich auch, dass sie vor allem lange Strecken absolviert, denn sind die Flieger erst einmal in der Luft, wird der Verbrauch gedrosselt. Ebenso positiv wirkt sich der hohe Ladefaktor aus, der vergangenes Jahr bei rund 73 Prozent lag. 

Für die Luxair sieht das weniger güns­tig aus, auch wenn ihre Flotte mit ei­nem Altersdurchschnitt von 4,5 Jahren ebenfalls relativ jung ist. Unternehmenssprecher Marc Gerges zufolge, kann keine auch nur halbwegs konkreten Berechnungen über den Impakt der Maßnahme auf die Passagierlinie nennen. Deren Ladefaktor ist – Feriencharter ausgenommen – problematischer und wird sich deswegen unvorteilhaft auf die Emissionsrechnung ausüben. Genauso negativ ist für die Luxair, dass sie vor allem auf kurzen Strecken unterwegs ist, über Flughäfen wie Frankfurt Schleifen dreht und dabei unnötig Kerosin verbraucht. Somit sind die Billigflieger einer Luxair gegenüber gleich zweimal im Vorteil. Einmal durch ihre Flugticketpolitik, die dafür sorgt, dass ihre Flüge besser ausgelastet sind. Zweitens kennen die meist abgelege­nen Flughäfen, die sie nutzen, nicht die gleichen Stauprobleme, wie die von Linienfliegern angeflogenen. Und: Eine Ryanair wird keinerlei Bedenken haben, eine unrentable Strecke schnellstmöglich einzustellen. Das vage worst case scenario das es bei der Luxair gebe, gesteht Gerges ein, sehe nicht besonders gut aus.

Kommende Woche wird das Europaparlament den Kompromiss absegnen, dann geht der Text zurück in den Ministerrat. Darüber, wie effizient die beschlossenen Maßnahmen tatsächlich sein werden und ob der EU erheblicher Krach mit Drittstaaten ins Haus steht, gibt es ebenfalls noch Wortgefechte zwischen Industrie und Politik. Die aktuelle amerikanische Regierung ist, das hat sie mehrmals verdeutlicht, der Sache feindlich gesinnt. Jeannot Erpelding erklärt warum. Eine American Airlines, die von Los Angeles direkt nach Frankfurt fliegt, muss, da sie in Europa landet, Emissionsrechte auf dem gesamten Flug zahlen. Und das, obwohl sie sich nur den geringsten Teil der Strecke in europäischem Luftraum bewegt. Da könnte eventuell ein Zwischenstopp in Casablanca interessant werden, oder eine Landung in der Schweiz. Der Rapporteur im EP, der Konservative Peter Liese, glaubt allerdings nicht daran, dass viele Airlines auf diesem Weg einer Landung auf europäischem Boden entgehen könnten oder einen Zwischenstopp einlegen würden, um den letzten Flug vor Eintritt in die Union zu verkürzen. Außerdem, sagte er kürzlich in einem Interview, sei er davon überzeugt, dass die nächste amerikanische Regierung, egal, ob konservativ der demokratisch, der Sache viel positiver gegenüber stehe.

Cargolux fürchtet daneben eine Wett­bewerbsverzerrung auf einer andere Ebene. Da sie als Luxemburger Gesellschaft nur Luxemburger Flugrechte nutzen darf, müssen die Routen so geplant werden, dass in jeder Runde das Flugzeug einmal in Luxemburg aufsetzt, also gezwungenermaßen innerhalb der EU. Sie kann zum Beispiel keine Waren zwischen Hong­kong und Melbourne und wieder zu­rück transportieren, ohne einen Um­weg über Findel zu nehmen. Auf sol­chen fernen Routen wird die Konkurrenz aus Drittstaaten geringere Kosten haben. Ein weiteres Problem stellt dabei die so genannte „fünfte Freiheit“, die es Gesellschaften erlaubt, bei Zwischenstopps nicht nur Ware abzuladen, sondern auch neue an Bord zu nehmen. Eine sehr wertvolle Freiheit, die eine rationalere Nutzung und bessere Auslastung der Flugzeuge erlaubt, die aber nicht automatisch im Paket enthalten ist, wenn ein Land Flugrechte an ein anderes verteilt.

Nicht zuletzt regt die Luftfahrt die Fragmentierung des europäischen Flugraumes auf. Jedes Land bestimmt über seinen eigenen Luftraum, mit eigenen Lotsensystemen. Im Zickzack auf Umwegen müsse deswegen geflogen werden, Gäbe es endlich den einheitlichen Europäischen Flugraum, könnten 12 Millionen Tonnen CO2 jährlich gespart werden und, wie 2007 geschehen, kumulierte 21 Millionen Minuten Verspätung, sagt die IATA. Das würde auch die Passagiere freuen.

Michèle Sinner
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