Religiöse und Laizisten streiten, wie neutral das Fach „Leben und Gesellschaft“ sein wird. Zu Recht, denn der – kürzlich geänderte – Entwurf des Rahmenplans betonte die christliche Religion

Gedankenwerkstatt

d'Lëtzebuerger Land vom 27.03.2015

Geteilter Meinung war das Publikum am Montagabend nach der Vorstellung des neuen Fachs „Leben und Gesellschaft“. Während die einen sich daran stießen, dass der vom Ministerium gewählte „neutrale Vermittler“, der Schulexperte Jürgen Oelkers, sich in seinem Vortrag Kann man in der Schule das Zusammenleben in der Gesellschaft lernen? und Erläuterungen auf die Schweiz bezog und kaum auf die Bedenken der Konfessionslosen und Atheisten im Saal des Forum Geeesseknäppchen einging, beharrten andere darauf, Religion könnr nur durch Menschen vermittelt werden, die an Gott glaubten. Oelkers war maßgeblich an der Einführung des von Laizisten als einseitig religiös kritisierten Unterrichtsfachs „Religion und Kultur“ im Kanton Zürich beteiligt.

Immerhin konnte der Schulentwickler einen Vorgeschmack auf die verhärteten Fronten, die ihn in Luxemburg erwarten werden, mit nach Hause nehmen: Religionslehrer im Saal warfen den Laizisten „Indoktrination“ vor, während Konfessionslose das Übergewicht der Religiösen befürchteten. Das sei nicht sehr hilfreich, befand Oelkers – in dem Punkt hatte er recht. Sein Vortrag war selbst nicht immer sachlich, so verstieg sich Oelkers zu der Behauptung, Religionen hätten heute mehr Bedeutung als früher. Dabei laufen den Kirchen in Westeuropa die Gläubigen in Scharen fort und stehen Religionen nicht zuletzt wegen Missbrauchsskandalen, Finanzaffären aber auch wegen menschenverachtendem Fanatismus derzeit extrem in der Kritik. Auch die Bemerkung, dass Frankreich nie einen Religionsunterricht gehabt habe „und jetzt sehen sie, was sie davon haben“, war gewagt. Insgesamt mühte sich Oelkers zu betonen, der neue Kurs müsse erst geschaffen werden, es gehe ihm als Moderator nicht darum, das Schweizer Modell auf Luxemburg zu übertragen. Am Eindruck bei manchen der rund 400 Zuhörern, dass Religion an dem Abend eine gewisse Übermacht hatte, hatte Oelkers aber seinen Anteil. Das Bistum hatte eine Stunde vor Beginn des Vortrags bereits eine Pressemitteilung verschickt, in der sie den Rahmenplan für das neue Fach begrüßten.

Dass Laizisten eine Schwerpunktsetzung zu ihren Ungunsten fürchten, ist aber auch dem ungeschickten Auftreten des Ministeriums geschuldet. Erziehungsminister Claude Meisch (DP) betonte zwar am Montagabend, dass es sich bei der Konzeptualisierung des neues Fachs um einen ganz neuen Ansatz handele, der „partizipatorisch“ und „offen“ sei. Warum aber hielt das Ministerium den Rahmenplan dann bis Montag unter Verschluss? Nachdem am Freitag Eckpunkte des Plans im Radio 100,7 vorzeitig bekannt wurden, meldeten sich vier Ethik- und Philosophielehrer empört über den „Etikettenschwindel“ zu Wort, weil von Philosophie in dem vierseitigen Papier nicht viel zu lesen sei. Claude Meisch verordnete ihnen daraufhin, unter Verweis auf das Amtsgeheimnis, einen Maulkorb.

Dass die Ethiklehrer mit ihrem Vorwurf richtig lagen, zeigt sich nicht nur nach der Analyse des Erstentwurfs, sondern vor allem daran, dass das Ministerium nach dem massiven Aufschrei den Plan an zentralen Punkten änderte. Hieß es beispielsweise zuvor, dass das neue Fach „Schülerinnen und Schüler dazu befähigen (soll), die Bedeutung von kulturellen und religiösen Phänomenen, mit denen sie in ihrem Alltag konfrontiert werden, zu verstehen. Dies setzt vor allem (Hervorhebung d‘Land) eine Auseinandersetzung mit christlich-jüdischen und aufklärerisch-humanistischen Traditionen voraus, die beide unsere Gesellschaft maßgeblich geprägt haben“, heißt es in der am Montag der Presse vorgestellten Version jetzt „die Bedeutung von kulturellen, weltanschaulichen und religiösen Phänomen (...) Dies setzt unter anderem (...)“. Auch sind es nicht mehr nur „religiöse Textquellen“ anhand derer Kinder lernen, sondern „philosophische, historische und andere Textquellen“ finden nun ebenfalls Erwähnung. Zur Neutralität heißt es nicht mehr nur, dass die Schule eine Verpflichtung zur Neutralität habe. Hinzugefügt wurde: „Sie muss in dem Sinne eine Äquidistanz gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen einnehmen.“ Das sind zentrale Akzentverschiebungen. Minister Meisch verneinte auf der Pressekonferenz die Frage, ob dem Bistum der Rahmenplan oder diesbezügliche Vorarbeiten vorab bekannt waren. Auch LSAP-Fraktionschef Alex Bodry, der am Montagabend unter den Zuhörern war und der für seine Partei die Verhandlungen mit dem Bistum begleitet hatte, beteuerte, der Rahmenplan sei nicht Gegenstand der Diskussionen mit der Kirche gewesen. Dann aber fragt sich umso mehr, warum der Minister zunächst einen Entwurf vorlegte, der so einseitig die Rolle der (christlich-jüdischen) Religionen betonte – und warum dieser erst nach öffentlicher Kritik überarbeitet wurde. Ob diese Änderungen reichen werden, um die Befürworter eines philosophiebasierten Ethikfachs – oder, wie Oelkers sie nennt, „Freidenker“ – zu zerstreuen, wird erst zu beurteilen sein, wenn der Plan mit Inhalt gefüllt wird. Dass Oelkers Fach in der Schweiz von Konfessionslosen scharf kritisiert wurde, wies Oelkers zurück: Ein Insider habe damals Interna ausgeplaudert und sich auf eine Studie bezogen, die „methodologisch falsch“ gewesen sei, so seine Lesart.

Das tiefe Misstrauen zwischen Religions- und Ethiklehrern wurde in den vergangenen Wochen aber nicht nur dadurch genährt, dass der Rahmenplan bis zuletzt eisern unter Verschluss gehalten wurde, sondern dass die Gutachten zum Rahmenplan der beiden Experten, Daniel Bogner, Professor für Moraltheologie an der Uni Fribourg und der emeritierte Kölner Philosophieprofessor Joachim Kalcher, weiterhin nicht öffentlich zugänglich sind. So viel zur Transparenz und Partizipation. Auf die Gutachten angesprochen, behauptete der Minister vor Journalisten zunächst, diese würden ihm nicht vorliegen. Dabei hatte das Land erfahren, dass mindestens einer der Experten seine Position längst ans Ministerium geschickt hatte, allerdings offenbar ohne inhaltlich Rückmeldung bekommen zu haben. Beim Vortrag war von den anderen Experten selbst keine Intervention vorgesehen. Eine kritische Analyse der Gutachten werde in der Arbeitsgruppe geschehen, so Meisch. Joachim Kalcher war am Montagabend zugegen – als Zuhörer.

Vielleicht ist dem Minister auch deshalb so daran gelegen, dass die Stellungnahmen nicht vorab bekannt werden, weil zumindest das Kalcher-Gutachten kritisch ausfällt. Die „Leitfächer und/oder Bezugsfächer für das neue Fach blieben „im Dunkeln“. Der Autor stößt sich an der „inhaltlichen Unbestimmtheit“ des Kurses „Leben und Gesellschaft“. Immerhin: Seine Kritik, dass Philosophie und das Philosophieren mit Kindern nicht auftauchten, stimmt so nicht mehr. Im nun vorliegenden Plan hat die Philosophie einen Platz, wenngleich unklar bleibt, welchen genau, und sich die Frage stellt, wie die Bemerkung des neutralen Moderators Oelkers dazu passt, der am Montagabend die Philosophie als eine „Leitwissenschaft“ für den Lehrplan klar ablehnte. Kalcher begrüßt in seinem Gutachten den Bezug auf die Menschenrechte und die Menschenrechtserklärung. Allerdings hält das Gutachten zugleich fest: „Im vorliegenden Konzept wird der Eindruck erweckt, als seien vornehmlich die Religionen für ethische Bildung zuständig.“ Es sei eine Annahme der Religionen und eine „mehr als fragwürdige Deutung der Sachlage, dass die Erkenntnis über Religionen“, und hier zitiert Joachim Kalcher den Erstentwurf des Rahmenplans, „eine notwendige Voraussetzung für jedes tiefere Verständnis unserer Gesellschaft“ sei. Auch die Vorrangigkeit der Religionen kritisiert der Experte, die aber nach der Neuformulierung so eindeutig nicht mehr ist.

„Die Debatte, die jetzt eigentlich eröffnet sein soll, scheint schon wieder zu“, kritisierte das Bündnis der laizistischen Assoziationen nach Vorstellung des Rahmenplans am Dienstag. Sie seien bisher zu dem Rahmenplan noch nicht gehört worde, obwohl sie dies vom Minister versprochen bekamen. Vor allem, dass die Arbeitsgruppe nun unter Ausschluss der Öffentlichkeit und mit Schweigepflicht über Inhalte diskutieren sollen, findet das Bündnis nicht akzeptabel. Man sei gar nicht dagegen, dass Scdhüler Wissen über Religionen vermittelt bekommen. Das sei schon mit dem aktuellen Moralkurs der Fall. Dass nachträglich der Philosophiebezug im Plan sei, reicht ihnen nicht. Dahinter stehe eine „spezifische Optik“, so Sprecherin Monique Adam, die bezweifelte, dass der neutrale Vermittler neutral sei und wissen möchte, wer den Plan geschrieben hat. Auch forderte sie die Regierung auf, die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe bekanntzumachen, ebenso wie sämtliche Dokumente über den laufenden Stand der Diskussionen.

Ines Kurschat
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