Nach dem Klimagipfel von Kopenhagen

Von der Tri- zur Multipartite

d'Lëtzebuerger Land du 24.12.2009

Claude Wiseler und Marco Schank (CSV) sind enttäuscht vom Kopenhagener Klimagipfel, berichten sie am Montag danach der Presse. „Wir hatten größere Ambitionen.“ Doch dann kündigen sie an, nächstes Jahr werde für Luxemburg ein „Klima- und Nachhaltigkeitspakt“ abgeschlossen. Sie tun das, obwohl Wiseler dem parlamentarischen Nachhaltigkeitsausschuss erklärt hatte, man werde den Gipfel und das EU-Umweltministertreffen am 22. Dezember abwarten, ehe über nationale Politik gesprochen würde. Kann der „Pakt“ dann viel mehr sein als eine Ankündigung?

Das wird unter anderem davon abhängen, wie die Regierung sich die Erfüllung von Klimaschutzzielen vorstellt, die für Luxemburg noch verschärft wären gegenüber dem 2008 von der EU verabschiedeten Klima- und Energiepaket. Es regelt, wie die Union ihr einseitiges Ziel erfüllen soll, bis 2020 ihren CO2-Ausstoß um 20 Prozent gegenüber 1990 zu senken, ganz egal, ob andere Staaten mitziehen oder nicht. Luxemburg muss im Rahmen des Pakets seine Emissionen um 20 Prozent gegen-über dem Referenzjahr 2005 senken. CSV und LSAP haben im Koalitions-abkommen festgehalten, sollte die EU ihr 20-Prozent-Ziel auf 30 Prozent anheben, werde Luxemburg sich ein „identisches“ Ziel setzen.

Für einen der größten Pro-Kopf-Emittenden der Welt ist das ein nobles Versprechen, und interessanterweise war Premier Jean-Claude Juncker auf dem EU-Ratstreffen am 10. und 11. Dezember einer jener Regierungschefs, die wollten, dass die EU in Kopenhagen ohne Vorbedingungen 30 Prozent geboten hätte. Der Vorschlag fand allerdings keine Mehrheit, und auch in Kopenhagen wurde Europa sich über die 30 Prozent nicht einig.

Zu erwarten wäre jedoch, dass die Luxemburger Regierung über einen Fahrplan für mehr nationalen Klimaschutz verfügt, wenn ihr Premier sich derart engagiert. „Wir haben in Kopenhagen nicht gebremst“, sagt Claude Wiseler, und verweist auf die Erklärungen Junckers.

Was Wiseler und sein delegierter Minister am Montag der Presse erklären, könnte heißen, dass man sich ein Großherzogtum mit einem drastisch verringerten CO2-Aufkommen vorstellen will. Thematisieren soll der „Pakt“ so ziemlich alles, was emis-sionsrelevant ist. Marco Schank zählt auf: „Mobilität, Wohnungsbau, Klima, nachhaltige Entwicklung, alles, was mit Energie zu tun hat, Forschung und grüne Jobs.“ Bis zum Herbst kommenden Jahres wollen die beiden Minister zunächst in Arbeitsgruppen „Débats multipartites“ führen lassen, anschließend mit der ganzen Gesellschaft diskutieren und mit Ausstellungen und Events „nah beim Bürger sein“. Nicht zuletzt, damit der besser versteht, dass der Weg zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit nicht nur über Anreize, sondern auch über Zwangsmaßnahmen führt. Prinzipiell sei nichts „tabu“, auch kein Eingriff ins Fiskalsystem.

Dieser Punkt ist allerdings besonders spannend. Denn es herrscht Krise, es gilt zumindest noch bis Ende kommenden Jahres Anti-Krisen-Politik, und bis April soll die Tripartite über den Defizitabbau im Staatshaushalt befinden und vielleicht auch über einen „selektiveren“ Sozialstaat. Noch aber beruht Luxemburgs Wachstumsmodell stark darauf, dass Einnahmen aus indirekten Steuern, und darunter zu einem Großteil CO2-relevante Tank-akzisen, einen hohen Fiskalisierungsgrad der Sozialversicherung finanzieren. Die dadurch niedrigen Lohnnebenkosten gehen irgendwie auch zu Lasten des Klimas. Da wäre es nicht so albern zu fragen, ob die beiden „Superminister“ nicht auch das Pensionssystem reformieren sollten. Eines ist ziemlich sicher: Da es nach Kopenhagen keinen international verbindlichen Reduktionsrahmen gibt, werden auch die Luxemburger Unternehmer Klimaschutz mit Standortnachteilen in Verbindung bringen.

Doch wie verhindert werden soll, dass die Tripartite, die immerhin laut Premier „die Entscheidungen treffen“ soll, wie es „weitergeht“ bis 2014, keine vollendeten Tatsachen schafft, ehe die Klima-Multipartite ihre letzten Berichte verfasst haben wird, können Wiseler und Schank nicht sagen. Wiselers Hoffnungen ruhen ganz auf Jean-Claude Juncker: „Er ist sich des Klimaproblems bewusst.“

Inwiefern dieser Ansatz fragwürdig ist, wird sich bereits im kommenden Frühjahr zeigen. Ganz abgesehen davon hat Luxemburg sich, wie es scheint, ein paar Hintertüren offen gehalten, damit der Klimaschutz auch künftig nicht zu viel kostet.

Dass seine Beiträge zu den Fonds, die den ärmsten Entwicklungsländern und den von den Auswirkungen des global warming besonders betroffenen Staaten zugute kommen sollen, zusätzlich zur öffentlichen Entwicklungshilfe gezahlt werden, soll gelten, falls ein gerechter Lastenausgleich innerhalb der EU gefunden wird: Würden Mitgliedstaaten, deren Entwicklungshilfe 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens nicht übersteigt, sich ihrer Veranwortung entziehen, werde Luxemburg seine 0,93 BNE-Prozent gegen den Klimafondsbeitrag aufrechnen, wiederholt der Nachhaltigkeitsminister.

Möglichkeiten zum preiswerten Einkauf von Emissionszertifikaten will die Regierung sich ebenfalls offen halten: Claude Wiseler schließt nicht aus, dass Luxemburg ab 2013 Emissionsrechte aus so genannten Assigned Amount Units nutzen könnte.

Mit den AAU hat es eine besondere Bewandtnis. Jede steht für eine Tonne „hot air“. Das sind Minderemissio-nen, die vor allem ehemaligen Ostblockstaaten dadurch entstanden sind, dass im Kioto-Protokoll 1990 als Referenzjahr gilt, in den Jahren danach jedoch die Schwerindustrie von Russland, der Ukraine oder Polen zusammenbrach. Vom ökonomischen Niedergang der Ex-DDR profitierte auch die Klimabilanz Gesamtdeutschlands, doch die Emissionen in Osteuropa sanken so stark, dass, Schätzungen zufolge, Russland bis 2012 noch um 30 Prozent mehr emittieren könnte als derzeit, die Ukraine um 50 Prozent mehr.

Das Kioto-Protokoll erklärt AAU unter gewissen Bedingungen für handelbar. Unter anderem müssen die Erlöse der Finanzierung „grüner Projekte“ dienen. Mit den EU-Erweiterungen ab 2004 gelangten AAU auch ins unionsinterne System. Ab 2013 sollte damit Schluss sein, fand die EU-Kommission schon ehe sie das Klimapaket für 2008 schnürte und setzte für alle Mitgliedstaaten 2005 als neues Referenzjahr fest. Polen, dessen AAU-Volumen als das nach Russland und der Ukraine dritthöchste gilt, erhielt zum Ausgleich ein schwaches CO2-Reduktionsziel für 2020 sowie Ausgleichszahlungen bewilligt.

Beim EU-Umweltministertreffen am 21. Oktober in Luxemburg aber geriet dieser Deal ins Wanken. Man habe darüber keine Position für Kopenhagen, erklärte die Sprecherin von Umweltkommissar Dimas nach dem Ratstreffen dem Pressedienst euractiv. In Kopenhagen jedoch verlangten Russland und die Ukraine ebenfalls, ihre „hot air“ weiterhin anbieten zu können. Um Polen und andere neue EU-Staaten bildete sich eine Sperrminorität unter den Umweltministern. Die Grünen hatten Mitte letzter Woche kolportiert, Luxemburg habe deren Position unterstützt, was Claude Wiseler von Kopenhagen aus dementierte.

Dass er am Montag so verstanden werden will, dass es für einen Handel mit AAU auch nach Kioto Grenzen geben, Transparenz und green investment schemes weiterhin vorgeschrieben sein sollten, dementiert nicht nur das Dementi. Schätzungen zufolge liegen in der EU derart viele Heiße-Luft-Einheiten vor, dass es acht Prozent der Emissionen der Union insgesamt entspricht. Sollten sie nach 2012 tatsächlich bestehen und handelbar bleiben, könnte die EU gar nicht anders, als schon ihr einseitiges Emissionsziel von minus 20 Prozent drastisch zu erhöhen und die Ziele der Mitgliedstaaten ebenfalls.

Fragt sich nur, ob Luxemburg davon schon ausgeht: In diesem Fall brauch-te sich die heimische Klimapolitik gar nicht so sehr zu ändern, und es gäbe sogar bis 2020 eine potenzielle Möglichkeit mehr, um sich im CO2-Handel zu bedienen.

Peter Feist
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