Ausstellung

Lichtmalerei

d'Lëtzebuerger Land vom 30.06.2017

Einen maßgeblichen Beitrag zur Würdigung der Fotografie als Kunstform leistete die Pionierarbeit Edward Steichens, von dem 44 Fotografien derzeit im Dialog mit Malerei und Skulptur seiner Luxemburger Zeitgenossen unter dem Titel Time Space Continuum in der Villa Vauban zu sehen sind. Wird der Name Edward Steichen meist mit der von ihm kuratierten Ausstellung The Family of Man in Verbindung gebracht, kommt in dieser Sammlung, die die Photothèque der Stadt Luxemburg 1980 erstanden hat, seine eigene fotografische Arbeit zur Geltung.

Der dialogische Aufbau der Ausstellung entspricht Steichens interdisziplinärem Hintergrund. Er ließ sich zum Lithografen ausbilden und studierte in Paris Malerei, ehe er sich ab 1895 autodidaktisch der Fotografie widmete. Mit den Grenzen des als kunstlos angesehenen Mediums wollte sich der Anhänger des Pictorialismus nicht zufriedengeben. Er inszenierte impressionistische Motive und wählte, etwa mit dem Gummidruck, Reproduktionsverfahren, die seine Bilder der Malerei annäherten. Erklärtes Ziel war die Anerkennung der Fotografie als vollwertige Kunstform im Austausch mit anderen Gattungen.

Einem Austausch zwischen Steichen und dem Bildhauer Auguste Rodin wird in der Villa Vauban Rechnung getragen. Steichens Fotografien des Künstlers und seiner Skulpturen steht eine Replik von Rodins Denker gegenüber. Zwar passt der Franzose Rodin nicht ganz in das Ausstellungskonzept, doch basiert dieser Dialog auf einem freundschaftlichen Verhältnis. Zu den Luxemburger Künstlern wie Jean Schaack, Dominique Lang oder Frantz Seimetz können, abgesehen von geografischer Herkunft und zeitlicher Koexistenz, keine direkten Bezüge nachgewiesen werden.

Nicht direkt ersichtlich ist denn auch die Vergleichsebene zwischen Seimetz’ Aktmalereien und Steichens abstrakt fotografiertem Torso mit Weidenvase. Ebenso weist Seimetz’ Rügener Meer von 1900 außer der landschaftlichen Thematik augenscheinlich keine Ähnlichkeiten mit Steichens düsterer Aufnahme des Lake George aus dem Jahr 1903 auf. Es sind weniger die Motive selbst als deren Reproduktion, die den Dialog ermöglichen. Die körnigen, kontrastreichen Fotografien aus Steichens pictorialistischer Phase sind gekennzeichnet von fließenden Konturen und geringer Schärfe, wodurch sie sich stilistisch den Malereien angleichen.

Auf inhaltlicher Ebene hingegen funktioniert das Zusammenspiel im Nebenraum, wo etwa Lily Undens großformatiges Stillleben eines ausladenden Rosenstraußes in einer bauchigen Vase gegenüber Steichens ähnlich üppigen Details der Heavy Roses hängt, einer Fotografie, die stellvertretend für die vielen Blumenmotive des passionierten Pflanzenzüchters steht. Kontrastierende Posen bilden Claus Citos Skulptur Die Zögerliche mit verschränkten Armen in kauernder Haltung und Steichens expressive Aufnahme von Thérèse Duncan, die Arme über dem Kopf verschränkt, in der griechischen Landschaft tanzend.

Ohnehin bietet die Ausstellung großartige Einblicke in Steichens Arbeit als Porträtfotograf der Vogue in den 20ern und 30ern. Den Aufnahmen von Theodore Roosevelt oder Gerhard Hauptmann fehlt der abstrahierende Look seiner früheren Arbeiten; stattdessen weisen sie mit durchdachter Lichtführung und kunstvoll inszenierten Posen stilprägende Elemente der Studiofotografie auf. Findet man in den Gemälden Pierre Blancs oder Jean Schaacks subtil-nüchterne Posen und Gesichtsausdrücke, wirken Steichens spannungsreiche Inszenierungen avantgardistisch und expressiv, wenn etwa Charlie Chaplin vor seinem überlebensgroßen Schatten posiert oder Marlene Dietrich, den Federhut ins Gesicht gezogen, mit filmischer Dramatik im blumigen Setting posiert. Deutlich wird hier, mit welcher Kunstfertigkeit sich die inzwischen größtenteils zum Massenprodukt verkommene Modefotografie einst von anderen fotografischen Formen absetzte.

Doch auch Steichens kommerzielle Arbeit, wie die Werbekampagnen für Eastman Kodak oder New York Central Railroad, finden sich in der Kollektion. Diese Bilder aus den Dreißigerjahren sowie seine spätere Arbeit für die US Navy unterscheiden sich nun gänzlich von den Unschärfen der frühen Jahre. Die Ausstellung bietet primär einen exzellenten Überblick über die verschiedenen Schaffensphasen Steichens. Die Malereien sind als zeitgenössischer Bezugsrahmen ergänzender, fast schon illustrierender Natur und verdeutlichen die Kunstfertigkeit der Fotografie Steichens.

Jean Schaacks Selbstporträt mit Pinsel und Palette bringt diesen Anspruch direkt zu Beginn des Rundgangs ins Spiel. Ein Selbstporträt Steichens aus dem Jahr 1903, das leider nicht Teil der Sammlung ist, hätte hier einen idealen Verweis auf Steichens Selbstverständnis geboten. Darauf zu sehen: der Fotograf als Lichtmaler mit Pinsel und Palette.

Time Space Continuum – Photographies d’Edward Steichen en dialogue avec la peinture; bis 15.04.2018 in der Villa Vauban; Öffnungszeiten: mo.-so. 10-18 Uhr, mi. bis 21 Uhr, dienstags geschlossen; Eintritt fünf Euro; weitere Informationen: http://villavauban.lu

Boris Loder
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