Tanz

„Tanzen allein reicht mir nicht“

Simone Mousset
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 30.06.2017

Es klang zu schön, um wahr zu sein: In den 1920-er Jahren sollten Josephine und Claudine Bal mit ihren Tänzen den Luxemburgischen Volkstanz prägen. 1962 gründeten sie das „Ballet national folklorique du Luxembourg“ und tourten damit durch den Balkan, bis sie spurlos verschwanden ...

Die fabelhafte Geschichte der Bal-Schwestern ist der Fantasie von Simone Mousset entsprungen, die für ihre Performance Bal vor wenigen Wochen den Lëtzebuerger Danzpräis bekam. Die 1988 in Luxemburg-Stadt geborene Tänzerin kann es noch immer nicht glauben. Bis zur Entstehung von Bal im Rahmen ihrer Künstlerresidenz im Mierscher Kulturhaus war es ein Weg voller Selbstzweifel. Die junge Choreografin, die in Tanzgruppen mit internationalem Renommee in Russland, dem Libanon und der Ukraine tanzte, musste bei ihren Recherchen quasi bei null anfangen. Zu Beginn stand eine Selbstbefragung. Spreche man mit Menschen in der Ukraine, identifizierten sie sich mit ihrem nationalen Ballett. Es sei wie die Gallionsfigur des Landes. Was aber macht Luxemburg aus? Wie viel Schein steckt im Sein? Bei der Suche nach der eigenen Identität kam sie nicht am „Nationbranding“ vorbei. Dass das Stück sowohl eine Liebeserklärung an ihr Land wie auch ein ironisches Statement zum Marketing der Regierung geworden ist, kann nur verstehen, wer Moussets Gedankengängen folgt...

Während große Nationen wie Frankreich oder Russland auf eine lange und bisweilen prunkvolle Geschichte zurückblicken, auf die sie sich beziehen, habe Luxemburg nie ein „golden age of history“ gehabt. „Hierzulande scheint es mir manchmal so, als dächten viele, wir haben eigentlich nichts, wir sind nichts, wir sind arm an Kultur – und deshalb müssen wir uns jetzt erfinden, damit wir mehr wir werden.“ Letztlich sei es ein tief verankertes Bedürfnis, sich von anderen abzugrenzen. Doch dieses „wir“ in Abgrenzung zu „den Anderen“ sei nicht nur die Basis von Identität, sondern auch die von Kriegen. Wie kann es sein, dass diese Identifikation so stark wird, dass Menschen andere dafür umbringen? „Das finde ich so faszinierend. Nationalstolz – dass das etwas Konstruiertes ist, aber trotzdem so stark und eben so gefährlich...“ Dann habe sie sich gedacht, „wenn ihr es so sehr braucht, etwas Wichtiges zu sein, dann gebe ich Euch etwas, worauf alle Luxemburger stolz sein können!“ So habe sie die Kompanie erfunden. Niemand habe das wirklich hinterfragt, und damit seien wir im Zeitalter von „Fake News“ angekommen! Der Choreografin ging es mit Bal um die Frage, wie man ein ganzes Land manipulieren kann, indem man Nationalstolz schafft. Mit Blick auf die USA liege letztlich darin der Aktualitätswert ihres Tanzstücks. Die Menschen machten ja mit, indem sie diese Diskurse und „Fake News“ weitertragen würden.

Die lange Reflexion stand am Anfang der prämierten Choreografie. Mousset holt kaum Atem, wenn sie davon erzählt, blickt einen gerade an: selbstbewusst, aber kein bisschen divenhaft. Ihr Lebensweg klingt nicht wie der einer aufstrebenden Tänzerin. Zwar fing sie schon mit sechs an zu tanzen. Aber sie war von jeher auch von Sprachen und Theater fasziniert. Mit 13 Jahren packte sie der Ehrgeiz. Seiner Zeit besuchte sie eine Schule in Sandweiler, die auf dem System der „Royal Academy of Dance“ basierte. „Da kam so ein Kampfgeist auf. Es war eine Herausforderung für mich, das zu machen, aber auch ganz viel anderes.“ Sie nahm im Konservatorium deutsche Sprecherziehung und Theaterunterricht. Die Auslandserfahrungen haben bei der brünetten Luxemburgerin mit den feinen Gesichtszügen und den Sommersprossen sprachlich Spuren hinterlassen. Sie spricht von „challenge“ und davon, dass sie sich durch den Tanzpreis „encouraged“ fühlt.

Obwohl sie nie ein Idol hatte, verfiel sie irgendwann dem Zauber der Tanzwelt. Bis Anfang 20 hatte sie den Wunsch, Tänzerin zu werden. Heute blickt sie darauf mit einer fast abgeklärten Distanz: „Diese Welt ist manipulativ und zieht kleine Mädchen in ihren Bann. Man verliert sich schnell darin und eifert letztlich dem Klischee nach, eine große Tänzerin zu werden.“ Es werde einem eingetrichtert, dass der Moment der Performance alles wiedergutmache. Das sei eine Art Brainwashing. Deshalb müsse man wissen, was man von der Tanzwelt wolle. Sie habe früh gemerkt, dass sie nicht wusste, was sie will: Choreografieren, aufhören zu tanzen oder Sprachen... Zugleich wurde ihr die Gnadenlosigkeit der Tanzwelt bewusst, geprägt von Hierarchien und Konkurrenzdruck, denen sich jeder fügen müsse. Dabei gebe es zwar Tänzer, die einfach nur tanzen wollen, weil sie den Moment des Auftritts liebten, aber „ich bin nicht eine von denen“, weiß Mousset. Doch gerade mit dieser Erkenntnis sei es schwer, weiterzumachen.

Die Unsicherheit schuf aber auch Raum. So war ihre Arbeit beeinflusst von verschiedenen Genres: Film, Schreiben und Politischem. „Tanzen allein reicht mir nicht“, erkannte Mousset.

Erklärt das ihre Fantasie und die politische Dimension ihrer Choreografien? „Jeder, der Kunst macht oder Choreograf ist, muss wissen, warum er das macht. Es muss einen Grund geben und man habe als Künstler eine „social responsability“!“ Sie ist sich bewusst, dass sie noch ganz am Anfang steht. Und doch ist sie noch immer auf der Suche. Bal sei ein riskantes Projekt gewesen; ihr fehlte es an Referenzpunkten, lange konnte sie nicht einschätzen, ob es gut oder schlecht werden würde. Zwar siedelt sich Mousset mit ihrer choreografischen Arbeit in Luxemburg an, aber sie fühlt sich keiner Gruppe zugehörig: „Ich fühle mich allein mit dem, was ich mache.“

Gerade deshalb sei sie durch den Tanzpreis ermutigt, „ich denke, dieses Projekt wurde anerkannt, sogar so sehr, dass man mir sagt: ‚mach weiter’!“ Auf dem Höhepunkt der Arbeit an Bal war sie an dem Punkt, alles hinzuschmeißen. „Ich habe mich gefragt, ist es das wert? Der ganze Aufwand, diese ganze Quälerei! Wie kann ich es gestalten, damit es nicht schlecht wird, wie kann ich einen interessanten Gedanken durch eine Tanzform mit anderen Formen verbinden? Und wie kann ich den Tanz dabei nicht verlieren?“ Mit Bal hat Mousset angefangen, die Genres zu vermischen. Obwohl die Erzählung linear ist, kombiniert sie in dem Stück Tanz, Theater und Musik und hat so ihre eigene Tanzsprache gefunden.

Anina Valle Thiele
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