Ab 2017 müssen Grundschullehrer ein berufsbegleitendes Praktikum absolvieren. Es soll gegen den Praxisschock helfen

Auf Bewährung

d'Lëtzebuerger Land du 27.03.2015

Das Gesetzespaket, das der Regierungsrat am vergangenen Donnerstag verabschiedete, ging im allgemeinen Tumult um die School-Leaks nahezu unter. Doch wenn die Abgeordneten es verabschieden, wird sich die Lehrerausbildung fundamental ändern. Erstmals muss dann ein Grundschullehrer im Anschluss an sein vierjähriges Grundstudium ein dreijähriges berufsbegleitendes Praktikum absolviert haben, bevor er oder sie endgültig im Staatsdienst aufgenommen werden. Bisher gab es zwar auch eine zweijährige Vorbereitungszeit, sie aber existierte vor allem auf dem Papier. Eine regelrechte Betreuung für den Berufseintritt gab es nicht.

„Wir wollen keine zweite Ausbildung. Es geht darum, angehende Lehrer bei ihrem Berufseinstieg zu unterstützen“, betont Camille Peping, Direktor des Lehrerbildungsinstituts Ifen in Mersch, das den neuen Stage organisiert. „Das macht nur Sinn, wenn der Stage dem Lehrer etwas zusätzlich bringt“. Mehrere Arbeitsgruppen am Ifen brüten über den Inhalt des dreijährigen Berufspraktikums. Dessen Struktur steht: Der Berufsanfänger beginnt, mit dem Unidiplom in der Tasche, an einer Schule. Er bekommt zudem einen Lehrerkollegen zur Seite gestellt, der ihm in den zwei nächsten Jahren als Berater dient. Daneben besucht er Unterstützungskurse des Ifen. Darunter Pflichtkurse wie Verwaltungsrecht oder den Umgang mit Portfolios, aber auch fakultative, individuell wählbare Kurse zu unterschiedlichen pädagogischen Schwerpunkten, wie Sprachenunterricht, Teamteaching, Elterngespräche, Partizipation, Inklusion oder Demokratie.

Das ist ein Schwachpunkt der universitären Ausbildung: Obwohl der Bachelor der Erziehungswissenschaft bereits von drei auf vier Jahre verlängert wurde, reicht die Zeit kaum, um Lehrer umfassend auf den Beruf vorzubereiten, in anderen Ländern führt ein sechsjähriges Master-Studium in den Lehrerberuf. In Luxemburg deckt der Bachelor theoretisch alles ab: vom Précoce bis zum Préperatoire und sogar die Éducation différenciée. Dass das nicht wirklich gehen kann, dass da Blindflecke bleiben, ist wenig überraschend: Fünfjährige ans Luxemburgische heranzuführen, verlangt andere Fertigkeiten als Teenager mit Lernschwierigkeiten zu unterrichten. Die Uni legt das theoretische und das praktische Fundament für ein Berufsbild, das heute „der reflexive Praktiker“ genannt wird. Gemeint ist eine Lehrerin, die sich und ihren Unterricht hinterfragt, die quasi nie auslernt, sondern ihre Praxis an den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Berufs ausrichtet. „Auf diesem Leitbild baut auch der Stage auf“, sagt Marc Bodson, selbst viele Jahre Lehrer einer Teamteaching-Projekts an der Grundschule in Bridel, bevor er zum Instituteur ressource weiterschulte, um Schulen bei ihrer pädagogischen Entwicklung zu beraten. Heute ist der Lehrer mit dem freundlichen Lächeln an der Uni Luxemburg in der Lehrerausbildung tätig. Als Ausbilder, der insbesondere die Praxiswochen der Studenten betreut, hat Bodson einen Überblick, was an der Uni läuft und weiß einzuschätzen, was Studenten im Stage benötigen. Obwohl die Lehrerausbildung schon recht praxisorientiert ist, – sie sieht insgesamt 32 Wochen Pratika vor – ergeht es den meisten Lehreranwärter, kaum dass sie „frei“ unterrichten, nicht anders als ihren Kollegen in anderen Ländern: Sie stellen fest, dass zwischen Theorie und Praxis oft eine Lücke klafft. Generell scheinen angehende Luxemburger Lehrer im ersten Berufsjahr über ihre Berufswahl zufrieden, aber viele berichten auch, dass sie nicht immer so unterrichten wie an der Uni gelernt, oft aus Zeitgründen.

Genau da soll das Praktikum ansetzen: Mit dem Conseiller pédagogique, der als lokaler Mentor funktioniert, hat die angehende Lehrerin jemanden an der Seite, der ihr Tipps und Hilfen an die Hand geben kann. Dabei bleibt es nicht: In Studieneinheiten zu Themen wie Hospitation oder Portfolio tauschen sich die angehenden Lehrer mit Kolleginnen aus, besprechen Situationen, die sie im Unterrichtsalltag als konflikthaft und schwierig erlebt haben und lernen, diese professionell zu lösen. Darüber hinaus sollen bestimmte Schlüsselkompetenzen, etwa die Alphabetisierung mehrsprachiger Kindern unterschiedlicher Herkunft oder differenzierte Unterrichtsmethoden, trainiert werden. „Es geht darum, schwierige Alltagssituationen zu analysieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen“, erklärt Diane Marx. Marx ist Diplom-Pädagogin, hat auch als Institutrice ressource gearbeitet und betreut junge Lehrer im Uni-Praktikum.

Damit das gelingen kann, braucht es außer erfahrenen Ausbildern mit unterschiedlicher Expertise, deren das Ifen zahlreiche hat, geschulte Conseillers pédagogiques. Das sollen erfahrene Lehrer sein mit einigen Jahren Unterrichtspraxis, die Weiterbildungen zu unterschiedlichen Themen besucht haben. Noch gibt es den Posten nicht, der Gesetzentwurf muss noch der Abgeordnetenkammer vorgelegt werden. In der universitären Ausbildung ist sein Pendant, der Formateur de terrain, bereits seit Jahren Realität; der Conseiller pédagogique soll die Kontinuität während des Berufseintritts sichern. Da liegt es nahe, dass es personelle Überschneidungen geben kann. Schon jetzt arbeiten einige der rund 180 Formateurs de terrain in den Konzeptgruppen zum Stage mit. Ihr Input ist entscheidend, damit es nicht zu inhaltlichen Überschneidungen kommt, wie die Gewerkschaften befürchten. Deshalb ist es wichtig, dass der pädägogische Berater vernetzt ist und über den schwierigen Transfer zwischen Theorie und Praxis genau Bescheid weiß.

Der Berater beobachtet, begleitet und gibt aber nicht nur Tipps. Er soll den Lernprozess des Berufsanfängers kritisch begleiten und seine Leistungen bewerten. Drei Mal im Jahr muss sich der Lehrer einer Evaluation stellen, bei der der Tutor mit ihm seine Stärken und Schwächen diskutiert und gegebenenfalls Unterstützungsmaßnahmen empfiehlt. Der alte Examen-concours entfällt. Zum Ende des Praktikums soll der Junglehrer statt dem Mémoire eine Version „light“ schreiben, eine Abschlussarbeit von rund 20 Seiten, in der sich der Berufsanfänger kritisch mit seinem Parcours auseinandersetzt. Eine Jury aus Inspektorat, Ausbilder und Berater benotet diese. Viel zu viel, finden Gewerkschaften und Studierende, die gegen die Vermischung der beiden Rollen als Berater und Prüfer sind. Die Evaluationsprozedur wurde in der Arbeitsgruppe kontrovers diskutiert, in anderen Ländern wie der Schweiz sind die Funktionen streng getrennt. Das aber würde bedeuten, dass weitere externe Experten zum Praktikum hinzugezogen werden müssten – was den mit vier Millionen Euro veranschlagten Zusatzkosten bis 2019 noch teurer machen würde.

„Der Conseiller pédagogique kann auch Fürsprecher sein“, versucht Diane Marx die Sorge vor zu viel Prüfungsstress zu zerstreuen. Immerhin kennt er den Werdegang seines „Schülers“ gut. In Unterredungen mit den Gewerkschaften hatte Bildungsminister Claude Meisch versprochen, die Evaluationen, die an Stelle des Staatsexamen treten, dienten nicht dem Aussieben, sondern der Bewertung eines Lernprozesses – so wie das bei den Kindern in der Grundschule der Fall sei. An deren Ende steht die Zulassung zum Staatsdienst. Das aber steht so nicht im Gesetz; dass Prüfungen, die eigentlich als Lernstandanzeige gedacht sind, schnell zum Ausleseinstrument werden, zeigt der Streit um die Orientierung auf die Sekundarstufe. Bisher tut sich das luxemburgische Bildungssystem mit einer prozesshaften Evaluierung extrem schwer, wie die Erfahrungen aus der Grundschule belegen, wo sich viele Eltern aber auch Lehrer sogar Zensuren zurückwünschen. Immerhin: Wenn sie selbst so bewertet würden, könnten Lehrer vielleicht den pädagogischen Wert der formativen Evaluation besser einschätzen.

„Die Prüfungen dürfen die Arbeit des Lehrers in der Klasse nicht beeinträchtigen. Das wäre kontraproduktiv“, warnt auch Marc Bodson. Im Fokus der Lehreraufmerksamkeit müsse der Schüler und seine Bedürfnisse stehen und nicht die Sorge um die eigene Zensur. Ob das gelingen wird, wird sich zeigen, wenn die ersten Junglehrer ihren Stage absolviert haben. Das wird voraussichtlich aber nicht vor 2019-2020 der Fall sein.

Ines Kurschat
© 2023 d’Lëtzebuerger Land