David Cameron und Europa

Don Quichotte lebt

d'Lëtzebuerger Land du 03.04.2015

Der britische Premierminister David Cameron kämpft bei der kommenden Unterhauswahl im Mai um sein politisches Überleben. Um noch einmal zu gewinnen, hat er versprochen, keine dritte Amtszeit anzustreben. Wie so oft bei David Cameron erschließt sich die Logik, die ihn umtreibt, nicht jedem. Geboren 1966 ist er noch viel zu jung, um sich über seine Nachfolge Gedanken machen zu müssen. Soll man also einen Politiker vor allem deshalb in eine zweite Amtszeit wählen, damit er einem beim dritten Mal erspart bleibt? Die oft verquere Logik von David Cameron gilt auch für seine Politik gegenüber der EU. Hier will er sich durchsetzen, indem er sich im Vorfeld von Verhandlungen jede Kompromissmöglichkeit verbaut.

David Cameron beteuert immer wieder, dass er für die Europäische Union sei, bloß nicht für diese. Er möchte nach eigener Aussage in eine EU zurück, wie sie in den 1980-er Jahren bestand, als Margaret Thatcher noch heute gültige Rabatte auf britische Beiträge und den Gemeinsamen Markt aushandelte. Am Ende dieses Weges stand der Vertrag von Maastricht, den auch Großbritannien, wie alle anderen Verträge seitdem, ratifiziert hat. Dieser Vertrag gründete die Europäische Union (vorher Europäische Gemeinschaften) und legte sich auf eine Wirtschafts- und Währungsunion fest.

So weit wollte Thatcher nie gehen. Ihre feindliche Haltung gegenüber der deutschen Wiedervereinigung und ihre Abwehr gegen jeden weiteren Integrationsschritt haben dazu beigetragen, dass sie 1990 von der eigenen Partei abgesetzt wurde. Das könnte David Cameron heute nicht mehr passieren, zumindest nicht aus diesen Gründen. Schon 2005 bei seiner Bewerbung um den Parteivorsitz der Tories spielte er die antieuropäische Karte und versprach, die Europaabgeordneten seiner Partei aus der Fraktion der föderalistisch gestimmten Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament herauszulösen. Was lange als eine bloß populistische Forderung galt, hat er 2009 gegen großen Widerstand der konservativen britischen Europaabgeordneten durchgesetzt. Im Wahlkampf 2010 versprach er den Briten, ein Referendum über den Verbleib in der EU durchzuführen, sollte er Regierungschef werden. Seit zehn Jahren hat er konsequent die britische Europaskepsis gefördert, aus Überzeugung, aber auch weil es ihm nützlich schien.

In David Camerons Reden ist Europa immer ein Anderes, zu dem das Vereinigte Königreich nicht gehört, sondern mit dem es nur zusammenarbeitet, weil es mit ihm schicksalhaft verbunden ist. David Cameron ist strikt für ein Europa, in dem die Regierungen unter sich aushandeln, was sie gemeinsam tun beziehungsweise nicht tun wollen. Die britische Souveränität darf um keinen Preis angetastet werden. Er und seine Anhänger haben den Grundgedanken europäischer Politik weder verstanden noch verinnerlicht. Der Verzicht auf Souveränität, wo es notwendig ist, war und ist der Kern europäischer Politik seit Robert Schuman.

Die Welt hat sich seit 1950 grundlegend gewandelt und verändert sich in rasendem Tempo weiter. Vor diesem Hintergrund erscheint das Wollen und Wünschen in Sachen britischer Souveränität mehr und mehr wie der Kampf des Don Quichotte gegen Windmühlen. David Cameron läuft Gefahr, zu einem Politiker „von der traurigen Gestalt“ zu werden. 2013 benannte er in einer Rede zu Europa drei wichtige Herausforderungen: Erstens die Eurokrise meistern, zweitens die europäische Wettbewerbsfähigkeit sichern und drittens die wachsende Kluft zwischen der EU und ihren Bürgern schließen. Mit dem Krieg in der Ukraine ist die europäische Sicherheit inzwischen als vierter Punkt hinzugekommen. In all diesen Punkten ist die Rückverlagerung von Souveränität der falsche Weg und zum Scheitern verurteilt. Es bleibt den Europäern nur der Weg nach vorne, hin zu mehr Föderalismus, wollen sie im 21. Jahrhundert ihr Schicksal selbst bestimmen.

Schaut man so auf die Sache, wird plötzlich klar, dass der britische Premierminister kein Sonderfall, sondern eine Normalität unter den Staats- und Regierungschefs ist. Niemand von ihnen will freiwillig Souveränität abgeben. Alle tun dies nur, wenn ihnen, bildlich gesprochen, das Messer an der Kehle sitzt. Das hat die Entwicklung seit 1950 überdeutlich klargemacht. Cameron ist so gesehen nur noch ein besonders ungeschicktes Beispiel eines Regierungschefs, der zuhause den Wählern vorgaukelt, es gebe einen souveränen Weg zur Meisterung aller Probleme, statt ihnen den reinen Wein einer manchmal vielleicht bitteren Erkenntnis einzuschenken. Vielmehr gilt der alte Sponti-Satz: „Nur gemeinsam sind wir unausstehlich.“ Das muss Europa sein, wenn es sich behaupten will. Darauf zu vertrauen, dass sich Staats- und Regierungschefs bei jedem Problem zusammensetzen und am Ende die Vernunft siegt, darüber kann man so herzlich lachen wie über Don Quichotte von der Mancha. Das gleiche gilt für David Camerons Vorstellung, er könne bis 2017 seine Forderungen in der EU durchsetzen und die EU-Verträge bis dahin entsprechend ändern. Sein Referendum wird, sollte es jemals stattfinden, im Wesentlichen eine Abstimmung über die EU sein, wie sie heute ist.

Christoph Nick
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