Laut einer Studie für die Grünen im Europaparlament ist Luxemburg die großzügigste Steueroase für multinationale Firmen in der EU

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d'Lëtzebuerger Land du 08.02.2019

Die neue grüne Abgeordnete Tilly Metz hat ein großes Mitteilungsbedürfnis auf der Internetseite der Firma Facebook. In den vergangenen 14 Tagen berichtete sie dort von ihrem Sonntagsspaziergang, von Schauspielerinnen, Tierschützern, Schecküberreichungen, Gemeindepolitikern, parlamentarischen Referentinnen, Unterschriftensammlungen und Neujahrsempfängen. Nur die Tatsache, dass ihre grüne Fraktion im Europaparlament am 22. Januar eine Studie Effective Tax Rates of Multinational Entreprises in the EU vorgestellt hatte, in der Luxemburg der Spitzenplatz eingeräumt wird, war ihr keine Erwähnung wert.

Die Fraktion der Grünen/Europäische freie Allianz im Europaparlament, zu der auch déi Gréng gehören, hatte die Studie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wie groß in einzelnen Staaten der Unterschied zwischen dem Nominal- und dem Effektivsteuersatz multinationaler Unternehmen ist, zwischen den gesetzlichen Steuersätzen auf dem Papier und den am Ende tatsächlich von multinationalen Unternehmen gezahlten Steuern. Hierzulande haben Unternehmensberater den Politikern den Namen „taux d’affichage“ erfunden für den nominalen Steuersatz im Unterschied zum effektiven Steuersatz, der nach Abschreibungen und „fiscal engineering“ tatsächlich gezahlt werden muss.

Bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren waren Steueroasen eher ein Thema für Journalisten und Drittweltvereine als ein Studienobjekt von Volkswirten. Seither hat die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen zum Thema sprunghaft zugenommen, auch wenn es hierzulande ein Tabu bleibt. Eine Studie Zur Debatte um Steueroasen. Der Fall Luxemburg, in der das Wort „Ruling“ nicht einmal vorkam, hatte der Cercle des ONG auf Druck der Regierung 2009 binnen weniger Tage zurückgezogen.

Um Munition im Kampf gegen verschiedene Steueroasen zu sammeln, hatte die grüne Fraktion im Europaparlament dem jungen tschechischen Wirtschaftswissenschaftler Petr Janský den Studienauftrag erteilt. Er arbeitet als selbstständiger Berater für Institutionen und Entwicklungshilfeorganisationen sowie als beigeordneter Professor an der Karlsuniversität in Prag. Er hat wiederholt über die Steuervermeidung multinationaler Unternehmen und den dadurch entstehenden Steuerausfall einzelner Staaten publiziert.

In der Theorie ist der Vergleich zwischen Nominal- und Effektivsteuersatz keine Hexerei. Die nominalen Sätze der Unternehmenssteuern, der „taux d’affichage“ der Körperschafts- und anderer Steuern, werden regelmäßig in Publika­tionen der OECD und der Europäischen Union aufgelistet. Petr Janský nennt, ähnlich wie die Luxemburger Regierung, für den Zeitraum von 2011 bis 2015 einen Nominalsteuersatz von 29,1 Prozent hierzulande.

Auch die Berechnung des Effektivsteuersatzes verlangt keine höheren mathematischen Kenntnisse: Man dividiert den Bruttogewinn eines Unternehmens durch den von ihm gezahlten Steuerbetrag. In der Praxis beginnen aber die Schwierigkeiten, wenn es heißt, die Bruttogewinne und die gezahlten Steuerbeträge zu ermitteln. Denn Steuerbilanzen und Steuerabrechnungen unterliegen dem Steuergeheimnis, das in den meisten Staaten, darunter vor allem Luxemburg, zu den bestgehüteten Staatsgeheimnissen gehört. Verlässliche Angaben über den Effektivsteuersatz multinationaler Unternehmen in Luxemburg könnte also nur die Steuerverwaltung publizieren – wenn sie wollte.

Petr Janský hat versucht, Bruttogewinne und Steuerzahlungen von EU-Firmen aus einer gewerblichen Firmendatenbank zu filtern. Dazu wählte er Orbis, eine Datenbank, die von der Firma Bureau van Dijk betrieben wird. Bureau van Dijk wurde 1972 von dem belgischen Geschäftsmann Marcel van Dijk gegründet und gehört heute zu der US-Ratingagentur Moody’s. Bureau van Dijk sammelt Angaben über Firmen aus den nationalen Handelsregistern, den veröffentlichten Geschäftsbilanzen, der Presse und anderen Quellen und verkauft sie. Nach eigenen Angaben bietet Orbis den Zugang zu Firmendaten von weltweit 300 Millionen Unternehmen an und will so vor Compustat von Standard and Poor’s die größte Firmendatenbank überhaupt sein. Hierzulande hat die Nationalbibliothek die früher Bankscope genannte Teildatenbank Orbis Bank Focus mit Firmendaten internationaler Banken abonniert.

Doch Tørsløv, Wier und Zucman behaupteten vergangenes Jahr in ihrem Arbeitspapier The Missing Profits of Nations: „In 2012, only 17% of the global profits of multinationals could be traced in Orbis – 83% were booked in subsidiaries unknown to Orbis, or for which no profits data was available” (S. 7). Petr Janský räumt ein, dass die Datenbank für seine Bedürfnisse lücken- und fehlerhaft sei, außerdem sei sie „biased against tax havens and developing countries“ (S. 9). Aber etwas Besseres habe er nicht gefunden.

Aus den Orbis-Daten schloss Petr Janský Firmen ohne Eigentumsbeziehungen zu ausländischen Unternehmen, also rein nationale aus, um sich auf multinationale Firmen zu konzentrieren. Außer­dem strich er Finanzgesellschaften aus seiner Liste. Ausgeschlossen wurden auch Firmen, die Verluste oder Verlustvorträge bilanzierten. So wertete er die nicht konsolidierten Firmendaten von multina­tionalen Firmen in 63 Ländern aus, darunter 1 011 multinationale Firmentöchter im kleinen Luxemburg.

Dabei kommt Petr Janský zum Schluss, dass europaweit der Effektivsteuersatz mit 48,7 Prozent in Norwegen am höchsten und mit 2,2 Prozent in Luxemburg am niedrigsten sei (S. 6). In Italien und Ungarn seien Nominal- und Effektivsteuersatz gleich hoch, in Griechenland, Rumänien und Irland sei der Effektivsteuersatz sogar höher als der Nominalsteuersatz, in all den anderen Ländern sei der Effektivsteuersatz niedriger als der Nominalsteuersatz. Nirgends aber sei der Unterschied so groß wie hierzulande: Auf dem Papier müssten multinationale Firmen in Luxemburg 29,1 Prozent ihres Gewinns als Steuern abführen, in Wirklichkeit aber bloß 2,2  Prozent (S. 15).

Da es sich um einen Durchschnitt handelt, hätten verschiedene multinationale Firmen in Luxemburg mehr als 2,2 Prozent, andere dagegen gar keine Steuern zahlen müssen. Die Angaben stellen keinen Durchschnitt der gesamten Unternehmensbesteuerung dar, weil lokae Firmen und Finanzgesellschaften ausgeschlossen sind. Im Jahr 2017 zahlten laut Steuerverwaltung 1,65 Prozent der Firmen 75 Prozent des Körperschaftssteuerertrags, wobei es sich vor allem um Banken handelte.

Im Vergleich der Bilanzsumme multinationaler Unternehmen mit ihrem Effektivsteuersatz stellt Petr Janský eine statistische Korrelation fest, die in Luxemburg unter –0,25 auf einer Skala von –1 bis +1 liege: Je größer die multinationalen Unternehmen, desto geringer sei ihr Effektivsteuersatz. Der Effektivsteuersatz sei in den meisten Ländern regressiv, am meisten aber in den Ländern, wo der Effektivsteuersatz allgemein am niedrigsten sei. Am regressivsten sei er in Belgien, Luxemburg, Slowenien, Italien und Kroatien.

Selbstverständlich besteht das Geschäftsmodell einer Steueroase für multinationale Firmen darin, sie mit sehr geringen Steuersätzen anzulocken, denn für einen Klein- oder Zwergstaat ist der sehr geringe Prozentsatz eines gewaltigen Auslandsprofits noch immer ein gutes Geschäft. Umso mehr fällt der Unterschied zwischen dem Effektivsteuersatz von 2,2 Prozent in Luxemburg und demjenigen konkurrierender Steueroasen auf, wie gegenüber dem Irlands (16 Prozent), der Niederlande (zehn Prozent), Belgiens (14 Prozent) oder Maltas (16 Prozent).

Über die Ursache für die herausragende Rolle Luxemburgs in seiner Aufstellung will Petr Janský nur spekulieren: „There is some evidence that tax rulings have played an important role in Luxembourg’s low E[ffective] T[ax] R[ate]. For example, European Commission argued that Luxembourg gave illegal tax benefits to Engie, which artificially reduced the company’s tax burden and it paid an effective corporate tax rate of 0.3% on certain profits in Luxembourg for about a decade. Another Luxembourg’s tax ruling agreed to McDonald’s paying no tax on their European royalties either in Luxembourg or in the US, although, in contrast with Engie, the investigation did not find it to be a case of illegal state aid“ (S. 14).

Romain Hilgert
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