Krankenpflegeberufe

Léiwer op Fenteng

d'Lëtzebuerger Land vom 19.02.2004

Seit dem 1. Februar werden Busse plakatiert, Broschüren verteilt, Informationsveranstaltungen organisiert. Gesundheitsminister und Bildungsministerin haben erkannt: dem technischen Lyzeum für Gesundheitsberufe (LTPS) drohen die Schülerinnen und Schüler auszugehen - vor allem in der so wichtigen Fachrichtung Krankenschwester/ Krankenpfleger. Gegenüber dem Schuljahr 2000/2001 waren die Schülerzahlen in diesem Fach zu Beginn des letzten Schuljahres um 43 Prozent gefallen.

 

"Ich kann nicht sagen, woran das liegt", sagt LTPS-Direktorin Marianne Gillen. "Bestimmt nicht an einer sonderlich hohen Misserfolgsquote an unserer Schule." Im Gegenteil: Die habe im "Régime général" des technischen Sekundarun-terrichts vor zwei Jahren bei 31 Prozent gelegen, in der Spezialisierung Verwaltung und Handel bei 22,6 Prozent. "Bei uns waren es nur 14,9 Prozent und daran hat sich nichts geändert."

 

Doch wenn es zwischen 1997 und 2000 pro Jahr noch 200 bis 230 Neueinschreibungen für die Ausbildung zum Krankenpfleger und zur Krankenschwester am LTPS gab, waren es zuletzt nur noch 90 gewesen. Das Problem könnte damit vor dem Eintritt ins LTPS zu suchen sein.

 

Am Dienstagmorgen dieser Woche an einem technischen Lyzeum auf dem Limpertsberg: Vertreter des LTPS werben für eine Ausbildung an ihrer Schule vor 10. Klassen der Spezialisierungsrichtung "PS". Wer in der 9. Klasse "PS" wählte, hat eine Vorentscheidung ge-troffen für einen medizinischen oder einen Sozialberuf. Doch die Schülerinnen und Schüler zweier PS-Klassen lassen den Vortrag, der ihnen die Ausbildungswege nicht nur zur Krankenschwester, sondern auch zum medizinisch-technischen Assistenten für Laboratoriumsdiagnostik oder Radiologie sowie weiterführende Studien zur Hebamme oder zu Pflegern und Schwestern für Psychiatrie und Kindermedizin erläutert, weitgehend stumm über sich ergehen. Aus einer der beiden etwa 25-köpfigen Klassen hebt immerhin die Hälfte der Anwesenden die Hand auf die Frage, ob für sie ein Gesundheitsberuf in Frage käme. In einer zweiten geladenen Klasse ist das anders. Man wolle nach "Fentingen" und "Erzieher werden". Weshalb? "Weil man da mit Menschen arbeiten kann. Vor allem mit Kindern." Das könne man an einem Krankenhaus aber auch. "Ja, aber dort sind die Leute krank." Solche Antworten sind für die Gaby Meyer vom Service de psychologie et d'orientation scolaire am LTPS nicht neu. "Sogar die PS-Klassen erreichen wir nur schwer."

 

Mangelnder Leistungswille für einen als schwer bekannten Beruf? Es fällt auf, dass es in den Vorträgen der LTPS-Vertreter nur um die Ausbildung an der Schule geht. Nicht aber um die spätere Berufspraxis, nicht darum, womöglich falschen Vorstellungen davon mit einer regelrechten Marketingstrategie zu begegnen. Stattdessen ist ein leises "Uuuhh ..." aus Schülermund zu hören, als die Powerpoint-Präsentation bei der Wochenstundenzahl für die Krankenpfleger- und -schwesternausbildung ankommt: 32 Stunden im ersten und im zweiten Jahr, 34 im letzten. Ohne die Zeit für Hausaufgaben oder das Abfassen von Praktikumsberichten.

 

Schon vor drei Jahren hatte zwischen Bildungsministerium, LTPS-Lehrerschaft und Gewerkschaften eine Debatte darüber begonnen, ob die Ausbildung am LTPS nicht erneut reformiert werden müsste. 1995 war die Schule durch Zusammenschluss von vier bis dahin unabhängig voneinander arbeitenden Lehranstalten gegründet worden. Auch damals hatten Sensibilisierungskampagnen stattgefunden, weil das Interesse an Gesundheitsberufen dramatisch rückläufig war. Die dreijährige Ausbildung wurde um ein technisches Abitur aufgewertet, die Unterrichtsstundenzahl für die regelrechte Berufsausbildung sank zugunsten allgemeinbildender und Sprachenfächer. Im Mai 2001 schlug Bildungsministerin Anne Brasseur (DP) vor, die Zahl der bisher 3 600 Ausbildungsstunden um 942 zu steigern. Konstatiert worden war, die LTPS-Absolventen insbesondere in der Fachrichtung Krankenschwester/Krankenpfleger seien nach Verlassen der Schule vor allem in der klinischen Praxis "Novizen"  (d'Land, 15. Juni 2001).

 

Doch der Vorschlag der Ministerin, die 942 zusätzlichen Stunden auf die drei Ausbildungsjahre umzulegen, stieß auf derart geschlossenen Protest der LTPS-Professorenschaft, des Schülerkomitees, der Krankenpflegervereinigung Anil und von OGB-L und LCGB, dass Anne Brasseur das Papier zurückzog. Alternativ war eine Verlängerung der Ausbildungszeit um ein weiteres Jahr gefordert worden. 

Doch knapp drei Jahre später hat die damals eingesetzte gemischte Arbeitsgruppe noch immer nichts entschieden. Vielleicht, weil der äußere Druck abgenommen hat: 2001 hatte Anne Brasseur noch davon gesprochen, dass auch eine neue EU-Direktive, die die Anerkennung der Schwestern- und Pflegerabschlüsse auf dem Binnenmarkt vereinheitlichen soll, zum Umsteuern zwinge. Drei Jahre oder 4 600 Ausbildungstunden sind bisher als Minimum für die EU-weite Anerkennung der Diplome nötig. Mit drei Ausbildungsjahren erfüllt Luxemburg die Norm zwar. Doch bei den Vorarbeiten zur neuen Direktive hatte sich herausgestellt, dass der Akzent künftig auf die höhere Stundenzahl gelegt werden könnte. Dies hätte "comme conséquence que nos diplômes nationaux vont rencontrer des problèmes majeurs, car ni le nombre d'heures en lien avec la durée des années, ni la proportion entre enseignement théorique et l'enseignement pratique ne correspondent au minimum recommandé. Les infirmières diplômées sortant du LTPS risquent de perdre leur compétitivité voire leur possibilité de libre circulation au niveau européen", teilte Anne Brasseur am 10. Mai 2001 mit. Unterdessen stehen die europäischen Zeichen jedoch auf Entwarnung. Der fertige Direktivenvorschlag vom 30. Juli 2002 enthält erneut die Alternative 4 600 Ausbildungsstunden oder drei Jahre. So dass eigentlich alles bleiben könnte, wie es ist. Wenngleich es nicht hilft, offensiv für eine hochwertige Ausbildung zu werben, die zu einem anspruchsvollen Beruf führt.

 

Inzwischen aber wächst die Zahl der in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen Beschäftigten immer weiter. Nicht nur, weil es bisher noch zu keinem nennenswerten Abbau von Akutbetten in den Spitälern kam und neue Dienste wie die medizinisch-geriatrische Betreuung und die Begleitung Sterbender (Palliativmedizin) geschaffen werden. Die Pflegeversorgung mit den "soins à domicile" und der Neubau von Alters- und Pflegeheimen haben seit Beginn der 1990-er Jahre den Be-darf auch an Krankenschwestern und -pflegern verstärkt. Ihre Zahl stieg zwischen 1999 und 2002 von 2 425 auf 2 657. Mindestens 130 würden dennoch fehlen, schätzt die Anil. Dass sie sich finden lassen, ist so wahrscheinlich, wie Luxemburg dank der hohen im Klinik- und Pflegesektor gezahlten Gehälter attraktiv ist für Grenzpendler. 1 044 Anträge auf Anerkennung ausländischer Pfleger- und Schwesterndiplome verzeichnete das Bildungsministerium im letzten Jahr. Das LTPS hatten gerade mal 99 Schwestern und Pfleger verlassen. Der Anteil der Grenzpendler im Schwestern- und Pflegerberuf kletterte auf über 64 Prozent.

 

"Wir haben keine detaillierte Problemanalyse gemacht, keine Studie, keine Umfrage", sagt Claude Kuffer, der zuständige Beamte im Bildungsministerium. "Wir machen erstmal eine Kampagne." Das ist wahrscheinlich nicht genug, aber die Problematik reicht über das Bildungsressort hinaus. Dass die Schülerinnen und Schüler der 9. Klassen an den technischen Lyzeen einfach zu jung seien, wenn sie sich für eine PS-Spezialisierung entscheiden, meint die Anil. Dass sie es auch dann noch sind, wenn in der 11. Klasse die Frage, LTPS oder nicht, ansteht, kann Marianne Gillen sich vorstellen. "Jedenfalls reifen die jungen Menschen in den drei Jahren ihres Studiums bei uns ganz enorm." Als Alternative kam vor drei Jahren schon das Modell der Nachbarländer Belgien und Frankreich zur Sprache, wo es eine Pfleger- und Schwesternausbildung erst nach einem bestandenen Abitur und damit als Hochschulstudium gibt. Die Entscheidung dafür wird zumindest von Älteren getroffen.

 

Die Übernahme dieses Modells, aber auch schon eine Ausbildungsverlängerung am LTPS wären freilich nicht folgenlos. Sie könnten es mit sich bringen, sämtliche Krankenschwestern und -pfleger mit einem "Bac+" einstufen zu müssen. Eine Formel, die es bis heute selbst für die in Frankreich oder Belgien rekrutierten Hochschulabsolventen nicht gibt. Der Kollektivvertrag mit einem Anfangsgehalt von monatlich 2 589 Euro und einem Endgehalt von 4 906 Euro brutto entschädigt dafür, dass die Abschlüsse von jedweder Bildungseinrichtung als "Diplômes professionnels" angesehen werden. Einem "Bac+" im Klinikbereich aber dürften unmittelbar gleichlautende Forderungen aus dem sozio-edukativen Sektor folgen, in dem sie seit Jahren immer wieder erhoben werden. Und auch beim Staat könnten ganz neue Gehälterverhandlungen nötig werden: Auch in seinen Einrichtungen, wie dem hauptstädtischen Centre hospitalier, gibt es für das mehrheitlich frankophone Pfleger- und Schwesternpersonal nur die Einstufung nach Punktwert.

 

Die Risiken des bestehenden Systems aber liegen nicht nur in den von der Anil oder der Patientevertriedung asbl aufgezählten Fälle von Kommunikationsproblemen zwischen des Französischen nicht ausreichend mächtigen Patienten und frankophonem Personal. Auch in den Nachbarländern werden Pfleger und Schwestern knapp. In Frankreich rekrutiere man mittlerweile schon in Spanien, weiß man bei der Klinikvereinigung Entente des hôpitaux luxembourgeois (EHL). "Dort, aber auch in Belgien werden zurzeit verstärkte Anstrengungen unternommen, um den Beruf finanziell und von den Arbeitsbedingungen her aufzuwerten, und das Personal daheim zu halten", sagt EHL-Generalsekretär Marc Hastert. "Der Arbeitsmarkt jenseits der Grenzen wandelt sich allmählich."

 

Nicht nur Bildungsdebatten, auch die über die Ausgaben der Krankenkassen müssten daraus folgen. Klinikkosten machen 50 Prozent der Sachleistungsausgaben der Krankenkassen aus, 75 Prozent davon die Personalkosten in den Spitälern. Der unlängst erzielte Kompromiss über den neuen Kollektivvertrag hält erstmals seit 1995 fest, dass die bis dahin von Gewerkschaften und EHL immer wieder akzeptierte Verspätung der Gehaltsaufbesserung des Klinikpersonals von einem Jahr gegenüber dem letzten Gehälterabkommen der Staatsbeamten ab 2005 nicht mehr gelten soll. Das wird auf Dauer die Krankenkassenbudgets belasten. Andererseits kam es seitens des Gesundheitsministeriums noch nicht zu einer Durchforstung der Klinikdienste auf Qualität und Bedarf hin, stattdessen wird der Ausbau vorangetrieben (d'Land, 9. Januar 2004).

 

Nicht von ungefähr hatte im Oktober letzten Jahres die Generalinspektion der Sozialversicherungen anlässlich der Sitzung der Krankenkassen-Quadripartite gewarnt, "il vaudrait peut-être mieux prendre les devants et adapter le paysage hospitalier en conséquence, y compris dans l'intérêt d'une meilleure qualité de vie des soignants, salariés ou exerçant en profession libérale".

 

Die (auch) finanziellen Aspekte dieser Lebensqualität aber werden viel zu wenig offen und mit all ihren Konsequenzen thematisiert. Schon gar nicht in ihren langfristigen Auswirkungen. Da könnte es sich auch fatal ausgewirkt haben, dass OGB-L und LCGB seit Anfang letzten Jahres und bis vor einer reichlichen Woche die Lage auf den allzu simplen Nenner brachten, im Kliniksektor werde "Lohnklau" betrieben, als noch um den Kollektivvertrag gestritten wurde. Anzunehmen ist immerhin, dass auch Schüler der technischen Lyzeen Zeitung lesen. Auch die aus den PS-Klassen. Verglichen mit solchen Bildern kann ein Job in einem kommunalen Jugendhaus durchaus komfortabler und einträglicher erscheinen. 

 

Peter Feist
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