50 Joer d'Land

Nineteen Fifty-Four

d'Lëtzebuerger Land du 07.01.2004

Als 1954 die erste Nummer von d’Lëtzebuerger Land erschien, war kurz zuvor in Paris En attendant Godot uraufgeführt und in Echternach die Basilika wieder aufgebaut worden.

Der Zweite Weltkrieg war noch keine zehn Jahre zu Ende, und Luxemburger Soldaten hatten bereits wieder in Korea gekämpft. Nach dem Wiederaufbau sollte das Bauen weitergehen: Staudämme, Brücken, Kasernen, Kirchen, Schulen, Krankenhäuser… Goodyear hatte in Colmar-Berg keine Stahl-, sondern eine Reifenfabrik gebaut, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Jossif Wissarionowitsch Stalin, und der Premierminister der Christlichsozialen Partei, Pierre Dupong, waren gestorben. Die Ceca hatte sich in Luxemburg niedergelassen, Josy Barthel hatte eine Olympiamedaille nach Hause gebracht, Erbgroßherzog Jean hatte die belgische Prinzessin Joséphine-Charlotte geheiratet, und die Gewerkschaften streikten, um vom Aufbauboom ein Stück Sozialstaat abzubekommen.

In Luxemburg sollte es bergauf gehen und alles beim Alten bleiben. Patriotismus und technischer Fortschrittsglaube, politische Restauration und Kalter Krieg sollten eine Vergangenheit für unsere Zukunft schaffen. In der Regierung gaben jene CSV- und LSAP-Minister den Ton an, die es schon vor dem Krieg getan hatten. Bei den Kammerwahlen 1954 sollte die CSV jede zweite Stimme und die Hälfte der Parlamentssitze erhalten.

Auch in der immerhin dreihundertjährigen Geschichte der Luxemburger Presse hatte der Zweite Weltkrieg den tiefsten Einschnitt seit der Revolution von 1848 verursacht. Die deutsche Besatzung hatte die Vorkriegsblätter übernommen, die einen eingestellt, die anderen gleichgeschaltet. Nach der Befreiung war es vielen nicht mehr möglich, neu zu erscheinen.

Die Opfer dieser Entwicklung waren die Lokalblätter, die unparteiischen Zeitungen und die liberale Presse. Im 19. Jahrhundert war eine zumindest quantitativ reiche Lokalpresse entstanden, die vom Diekircher Wochenblatt bis zur Neuen Rümelinger Zeitung reichte. Anfang des 20. Jahrhunderts konnte sie kaum noch mit den gestiegenen technischen Anforderungen der Zeitungsherstellung und den veränderten Erwartungen der Leser Schritt halten. Sie überlebte den Zweiten Weltkrieg nicht.

Die liberale Presse war die meiste Zeit im 19. Jahrhundert tonangebend, sie ist älter als die katholische. Ihr Flaggschiff, die heute höchstens noch durch Batty Webers Kalenderblätter bekannte Luxemburger Zeitung, erschien gegen Ende der goldenen Jahre der Luxemburger Presse mit zwei Ausgaben pro Tag. Doch wie die liberale Notabelnpartei, die die Senkung und Abschaffung des Wahlzensus schlecht verkraftete, nahm auch das Gewicht der liberalen Presse ab. Die Luxemburger Zeitung wurde am 1. Oktober 1941 vom faschistischen Gauverlag übernommen und dann eingestellt; Versuche, sie nach dem Krieg wiederzubeleben, scheiterten. Liberale Politiker fusionierten deshalb 1948 die kommerzielle Grevenmacher Obermosel-Zeitung mit der an die Resistenz anknüpfenden patriotischen D’Unio’n zum Lëtzebuerger Journal. Aber dieses sollte nie mehr an den Einfluss der liberalen Presse vor dem Krieg oder gar des 19. Jahrhunderts heranreichen.

So fand bereits in den ersten Nachkriegsjahren eine technische, ökonomische und politische Konzentration in der Luxemburger Presse statt. Im Vergleich zur internationalen Entwicklung der Presse sah dies fast wie ein Rückschritt aus. Denn sie führte dazu, dass nach kurzer Zeit nur noch Parteiblätter als Tageszeitungen erschienen. Jede der vier politischen Parteien hatte eine eigene Druckerei und Tageszeitung oder war eng mit einer verbunden: Luxemburger Wort, Tageblatt, Lëtzebuerger Journal und Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek. Die einzigen mehr oder weniger unparteiischen Tageszeitungen waren Lokalausgaben der Lièger Meuse und des Metzer Républicain Lorrain beziehungsweise France-Journal mit einigen Luxemburg-Seiten. Die Wochenpresse beschränkte sich auf die 1945 eher als Familienblatt gegründete Revue. Lëtzebuerger Illustréiert.

Was durch den Krieg verschwunden war, war ein Blatt, in dem Intellektuelle schreiben konnten, die sich nicht zuerst parteipolitisch definieren wollten, und das in  einer Modernisierungsphase von Staat und Gesellschaft die Interessen der Industrie verteidigte. So gründete der Generalsekretär der Industriellenföderation, Carlo Hemmer, 1954 die vier Jahre später von seinem Fedil-Kollegen Léo Kinsch übernommene liberale Wochenzeitung d’Lëtzebuerger Land. Sie war die gezielte Antwort auf das Meinungsmonopol der Parteiblätter und das Erlöschen der liberalen Presse.

Verglichen mit der Vorkriegszeit, gar nicht zu reden vom späten 19. Jahrhundert, wirkte die Luxemburger Presse dann während der Goldenen Nachkriegsdreißiger bis 1975 und während des Kalten Kriegs wie im parteipolitischen Gleichgewicht des Schreckens erstarrt: Es setzten sich keine neuen Titel durch und es verschwanden keine. Auch redaktionell, optisch und im seit dem 19. Jahrhundert unveränderten Stil der bleischweren Pressepolemiken entwickelten sich die Blätter nur wenig. Als Parteiblätter wurde sie nach politischen Loyalitäten abonniert und mussten nicht täglich im Kiosk miteinander konkurrieren. Auch d’Lëtzebuerger Land hatte sich, wie sein heimliches Vorbild, die Hamburger Die Zeit, in seiner kleinen, aber feinen Nische eingerichtet. 

Das änderte sich dann in den letzten 20 Jahren schlagartig. Offsetdruck, Fotosatz, Vierfarbdruck und Computersatz haben das Aussehen nicht nur der Marktführer, sondern auch der kleineren Zeitungen grundlegend verändert. Doch diese Neuerungen bedingten hohe Investitionen. Sobald die CSV einmal nicht in der Regierung war, versuchte deshalb die sozialliberale Koalition 1976 die anderen Parteiblätter mit staatlichen Zuschüssen gegen das angebliche Meinungsmonopol des Luxemburger Wort zu stärken. Das Land rüstete sich, indem es seine Besitzverhältnisse, erst in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, dann in einer Stiftung, neu ordnete. 

Aber mit dem Ende der Mittelinkskoalition, dem Aufruf zur nationalen Solidarität zwecks Rettung der Stahlindustrie und 15 Jahren Koalition von CSV und LSAP, OGB-L und LCGB, Luxemburger Wort und Tageblatt hörten die virulenten Polemiken zwischen den Blättern auf. Die „Entideologisierung“ nach dem Ende des Kalten Kriegs, die Allgegenwart der Radio- und dann der täglichen Fernsehnachrichten und die wachsenden wirtschaftlichen Zwänge der überlieferten Parteiblätter taten ein Übriges. Gleichzeitig konnten sich erstmals seit Jahrzehnten wieder neue Titel durchsetzen, vor allem in der Wochenpresse: Télécran und Den neie Feierkrop, Contacto und Correio, GréngeSpoun und Le Jeudi, neuerdings aber auch in der Tagespresse: La Voix du Luxembourg und Le Quotidien.

So hat das Land einen Teil seiner Funktionen aus der Gründerzeit eingebüßt und gleichzeitig neue gewonnen: einer interessierten Leserschaft gründliche Analysen in den Zeiten des hysterischen Häppchenjournalismus zu liefern und in Zeiten der „Kommunikation“ mutigen Meinungsjournalismus zu bieten – auch um den Preis, kein Massenblatt zu sein. Das 1999 erneuerte Erscheinungsbild illustriert diesen Grundton. Die inhaltliche Erneuerung steht erst am Anfang, aber sie soll nicht am Grundkonsens rütteln, der das Land 50 Jahre alt werden ließ: parteipolitisch unabhängig und nicht wirtschaftsliberal, ohne auch gesellschaftspolitisch liberal zu sein.

 

Romain Hilgert
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