Anders als 2013 machen sich im Wahlkampf 2018 keine Unternehmerorganisationen mehr für oder gegen die Regierungskoalition stark

Wechselgeld und Lehrgeld

d'Lëtzebuerger Land du 20.04.2018

Um den Paketversand zu standardisieren, verkauft die Post vorgestanzte Pappe, die sich zu Kartons falten lässt. Damit die Pappe begehrenswert erscheint, hat sie die Kartons modisch „Postpack“ getauft. Anfang Januar füllte ein halbes Dutzend junger Funktionäre der Handelskammer solche Kartons mit ihren im Laufe der Legislaturperiode verfassten Aufsätzen. Die 16 Aufsätze handelten von Arbeitsplätzen, Start-ups, Forschung und Entwicklung, der Produktivität, dem Wohnungsbau, der Sozialversicherung, der Energiepolitik und was sonst noch den Unternehmen am Herzen liegt.

Die Pakete gingen an die politischen Parteien und ihnen lag ein Begleitschreiben im Namen der Fondation Idea bei. Darin hieß es, die bevorstehenden Wahlen ließen auf einen vielversprechenden Austausch schließen. Gäbe es da nicht einen Haken, „la motivation des candidats est sans doute au rendez-vous mais qu’en est-il de l’inspiration?“ Weil es den künftigen Abgeordneten offenbar an Einfallsreichtum mangelt, kündigten die Unterzeichner großzügig an, die Parteien bei ihren Diagnosen und der Suche nach Lösungen zu unterstützen. Wobei die gesammelten Aufsätze im Postpack nur einen Vorgeschmack bieten sollten auf Themenhefte, die Idea in nächster Zeit als programmatische Vorschläge für die Kandidaten und künftigen Mandatsträger veröffentlichen will.

Die Fondation Idea, die sich zwar Stiftung nennt, aber ein Verein ohne Gewinnzwecke ist, ist die Nachfolgeorganisation der Initiative 2030.lu Ambition pour le futur, die von der Handelskammer im März 2013, während der sich anbahnenden Regierungskrise, gegründet worden war. Mit kostspieligen Großveranstaltungen, Meinungsumfragen, Arbeitsgruppen, Videoclips, Web- und Face­book-Seiten, Broschüren, einem Buch und zwei Werbeagenturen hatte „Zwanzeg-drësseg“ für die Abwahl der CSV/LSAP-Regierung mobilisiert.

Ende Juli 2013 hatte die Initiative den politischen Parteien eine Schrift mit dem Titel Pour un changement à hauteur de nos ambitions. Le Luxembourg à l’horizon 2030: Des défis, une ambi­tion… et des solutions! zugestellt. Darin hatten die Autoren mit möglichst spritzigem Stil den Nachweis zu erbringen versucht, dass es in der Bevölkerung ein „plébiscite en faveur du changement“ gebe.

Vor der Initiative der Handelskammer hatte schon eine Handvoll liberaler Unternehmer mit unterschiedlichen Parteikarten einen alarmistisch 5 vir 12 getauften Verein gegründet, der einen „Sinneswandel unter der Bevölkerung/Wählerschaft“ herbeiführen sollte. Ob 2030 oder 5 vir 12, sie alle waren der CSV/LSAP-Koalition überdrüssig, eines Jean-Claude Junckers, der ihrer Meinung nach die Lust am Regieren verloren hatte, einer LSAP, die sie für gewerkschaftshörig hielten, einer Tripartite, die ihnen keinen Nutzen mehr brachte.

In den Wahlen nach der Regierungskrise von 2013 sahen die Unternehmer eine einzigartige Gelegenheit, um nach der Wirtschafts- und Finanzkrise und dem „Reformstau“ von CSV und LSAP einen liberalen Reformschub durchzusetzen: weltoffen, exportorientiert, energieeffizient, mit einem karitativen Sozialstaat, niedrigen Steuern und hochflexiblen Arbeitskräften, deren Produktivität sie bis 2030 verdoppelt haben wollten. Um diese einzigartige Gelegenheit nicht zu verpassen, mischten sie sich so offen in den Wahlkampf ein, wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Bis dahin hatten sich Unternehmerverbände meist darauf beschränkt, vor den Wahlen Forderungskataloge vorzulegen, um die Lohn- und Staatsquote zu senken, und dann nach den Wahlen darauf zu vertrauen, dass ihnen die CSV und deren abwechselnde Koalitionspartner mit Standort­patriotismus gerechtfertigte Zugeständnisse machen. Dabei zeigten sie sich in der Regel betont unparteiisch, weil es nicht nur liberale, sondern auch christkatholische und sogar einige sozialdemokratische und neuerdings grüne Unternehmer gibt. Aber auch weil sie ihre Forderungen nicht aus Eigennutz, sondern stets im höheren Interesse des Wirtschaftsstandorts und der Allgemeinheit erheben wollten.

Um so auffälliger war, wie Unternehmerorganisationen 2013 ihre parteipolitische Zurückhaltung plötzlich aufgaben und für eine Abwahl der CSV/LSAP-Koalition sowie für einen Regierungswechsel vor allem zugunsten der DP warben. Mit der Wahlniederlage der CSV und der Bildung einer liberalen Reformkoalition, an deren Koalitionsprogramm Unternehmervertreter mitschrieben, waren die Anstrengungen von Initia­tiven wie 2030.lu und 5 vir 12 belohnt worden. Einen Monat nach den Wahlen löste die Handelskammer 2030.lu auf und gründete etwas später, aber weitgehend mit demselben Personal, die Fondation Idea. 5 vir 12 hörte nach getaner Arbeit ganz auf, die Internetadresse hat inzwischen ein Schuhgeschäft übernommen. Ein Versuch verschiedener Unternehmer, die Regierung im Referendum 2015 zu retten, geschah nur halbherzig. Dabei war es die Handelskammer, die Anfang Februar 2013 die bis dahin utopisch klingende Idee des legislativen Ausländerwahlrechts salonfähig gemacht hatte. Aber welcher Investor will schon schlechtem Geld gutes nachwerfen?

Vergangene Woche stellte Idea einen Jahresbericht 2018: l’Elue? vor, der neben einem lebhaften Plädoyer für Wirtschaftswachstum einen fünfseitigen Forderungskatalog für die nächste Legislatur­periode enthält. Er reicht erneut von der industriellen Diversifizierung über die Produktivitätssteigerung bis zur Senkung der Unternehmensbesteuerung, von der Förderung der Forschung und Entwicklung über die Landesplanung und die Anpassung der Ertragsquote der Altersrenten bis zur Minderung der Ungleichheiten zwischen den Lohnabhängigen und zum ökologischen Umbau. Ein langes Kapitel macht Vorschläge zur Senkung der Staatsausgaben.

Aber anders als 2013 machen sich heute keine Unternehmerorganisationen mehr für oder gegen die Regierungskoalition stark. Sie wollen nicht wieder für einen Wechsel plädieren, weil der irgendwie die Rückkehr zu den Verhältnissen vor 2013 bedeuten würde. Die Wählerbefragungen lassen es zudem als unvermeidbar erscheinen, dass nach dem „Wiessel mam Wiseler“ die CSV den nächsten Regierungschef stellt. Deshalb wollen die Unternehmer es sich nicht schon im Voraus mit dem CSV-Kandidaten verderben und ihn lieber im kleinen Kreis auf die richtige Bahn setzen. Denn bald bemüht sich Claude Wiseler, mindestens ebenso viel Verständnis für die Anliegen der Exportwirtschaft zu zeigen wie die DP, bald gibt er sich als Wachstumskritiker lieber regressiv und protektionistisch – was manchen mittelständischen Unternehmern nicht unbedingt missfällt.

Bei vielen Unternehmern ist aber die Begeisterung verflogen, die sie anfangs DP, LSAP und Grünen entgegenbrachten. Nach den ersten Rückschlägen hat sich der Reformeifer der Regierung beruhigt. Die Mehrheitspolitiker haben sich daran erinnert, dass sie auch wiedergewählt werden wollen, und deshalb nicht bloß Unternehmerinteressen vertreten können. Deshalb haben sie längst nicht alle Forderungen des 2013 von den Unternehmerorganisationen vorgelegten Reformprogramms erfüllt.

Von den Mitteln zur Verdoppelung der Produktivität, die 2030.lu vor fünf Jahren verlangt hatte – Flexibilität des Arbeitsmarkts, Deregulierung der Warenmärkte, höhere Investitionszuschüsse –, von Einsparungen bei der Kranken- und Altersversicherung haben insbesondere die zuständigen LSAP-Minister weniger durchgesetzt, als ihre liberalen Anhänger erwartet hatten. Die finanzpolitische Disziplinierung mittels eines von 2030.lu verlangten einprozentigen Haushaltsüberschusses hatte die Regierung vor zwei Jahren unter dem Druck ihrer unzufriedenen Wähler überraschend aufgegeben. LSAP-Wirtschaftsminister Etienne Schneider und die Handelskammer kauften zwar bei dem amerikanischen Futurologen Jeremy Rifkin eine glitzernde Verpackung, um ein neues neoliberales Wirtschaftsmodell ökologisch statt sozialpartnerschaftlich zu legitimieren, aber mit dem entsprechenden Packungsinhalt ist in dieser Legislaturperiode und mit dieser Koalition nicht mehr zu rechnen.

Romain Hilgert
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