Der Jägerverband sammelt immer mehr Unterschriften gegen das Verbot der Fuchsjagd. Und spricht nun von den bedrohten Vögeln

Räuber-Beute-Modelle

d'Lëtzebuerger Land vom 10.04.2015

„Mir soen Iech Merci!“, rufen ein Haselhuhn, ein Kiebitz und ein Rebhuhn, und sie klagen: „Kee Liewensraum an eng Iwwerzuel vu Feinden ...“ Hinter den drei Vögeln sitzt ein Fuchs auf der Lauer.

Das Poster hat der Jägerverband FSHCL sich ausgedacht. Seit dieser Woche ist es auf „Pas-sioun Juegd“ zu sehen, einer Facebook-Seite, die Jäger eingerichtet haben. Die drei Vögel, die der Fuchs bedroht, sind eine Art Gegenpropaganda zum Poster „De Fuuss seet Merci!“, mit dem Déi Gréng ihrem Umweltstaatssekretär Camille Gira beim Verbot der Fuchsjagd den Rücken stärken. Ausgestanden ist die Debatte noch nicht: Die Zahl der Unterzeichner der elektronischen Petition bei der Abgeordnetenkammer gegen den am 1. April in Kraft getretenen neuen Jagdkalender mit Fuchsjagdverbot und sechswöchiger allgemeiner „Jagdruhe“ hat bereits alle Rekorde gebrochen. Am gestrigen Donnerstagnachmittag lag sie bei 8 362, und schon steht fest, dass am 11. Mai um 15.30 Uhr ein öffentliches Hearing stattfindet.

Gut möglich, dass die Jäger dann auch mit Haselhuhn, Kiebitz und Rebhuhn argumentieren. Die drei Vögel sind „Bodenbrüter“: Auf dem Boden von Wäldern (Haselhuhn), auf feuchten Wiesen (Kiebitz) und Ackerbrachen (Rebhuhn) brüten sie ihre Eier aus und legen dort auch Nester an – wenn der Fuchs sie nicht holt, sagen die Jäger. Gebe es mehr Füchse, könnten gefährdete Bodenbrüter „lokal und regional ausgerottet“ werden, warnte die FSHCL vor vier Wochen. Denn ohne Fuchsjagd würden die Fuchspopulationen sich verdoppeln bis vervierfachen.

Mit dem Verweis auf die Bodenbrüter scheinen die Jäger über ein ernsthafteres Argument gegen das Fuchsjagdverbot zu verfügen als mit der Panikmache vor dem Fuchsbandwurm, mit der ihr Verbandsvorsitzender Georges Jacobs sich eher lächerlich gemacht hat. Gefährdet sind die Vögel vom Poster der FSHCL alle drei, sie stehen auf der Roten Liste hierzulande. Das Haselhuhn mit schätzungsweise 30 bis 50 verbliebenen Paaren ist „stark gefährdet“. Um den Kiebitz (zehn bis 20 Paare) und das Rebhuhn (um die 30) steht es noch schlimmer, sie sind „vom Erlöschen bedroht“. Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) und Ornithologen vom Naturschutzverband Natur an Ëmwelt haben vor zwei Wochen das Update der Roten Liste vorgestellt und betont, wie ernst die Lage in der Vogelwelt allgemein sei. In den vergangenen fünf Jahren verschwanden in Luxemburg zwei Vogelarten. Damit sind nun 13 Vogelspezies „national erloschen“. Die Ministerin erwähnte sogar, wie das neuerdings oft getan wird, dass Artenvielfalt „ökologische Systemdienstleistungen“ erbringe, die sich geldwert ausdrücken lassen und in die Milliarden Euro gehen könnten. Werden am Ende Haselhuhn, Kiebitz, Rebhuhn und andere Bodenbrüter geopfert, weil Staatssekretär Gira sich mit dem Fuchsjagdverbot auf „einem absurden Egotrip“ befindet, wie der Jägerverband ziemlich unfein behauptet hat? Und nicht mal seine Chefin, die Ministerin, kann ihn aufhalten?

Man könnte das meinen. In den Niederlanden zum Beispiel werden Füchse zum Teil sogar nachts bejagt, und zwar ausdrücklich, um den Artenschwund bei Wiesenvögeln wie dem Kiebitz zu stoppen. Und im Schweizer Kanton Genf, der Gira als Vorbild dient, weil dort 1974 nach einem Volksentscheid die Freizeitjagd komplett verboten wurde und seitdem nur noch beamtete gardes de l’environnement eine „régulation de la faune“ vornehmen, wurde ab Mitte der Achtzigerjahre versucht, das so gut wie „erloschene“ Rebhuhn zu „revitalisieren“. Zu Hunderten wurden Eier und Jungtiere aus Frankreich und Polen importiert und ausgesetzt. 2011 aber hielt ein Bericht an den Grand Conseil des Kantons fest: „Malheureusement, les oiseaux n’ont pas réussi à reconsti-tuer une population viable, probablement à cause d’une trop forte prédation par les corneilles, les rapaces, et plus encore par les renards.“ Anscheinend hatte Camille Gira doch nicht Recht, als er vergangene Woche in einem „Face à face“ im RTL Radio Lëtzebuerg erklärte, im Kanton Genf gebe es „kein Problem mit Füchsen“.

Vom Land darauf angesprochen, bleibt der Staatssekretär aber dabei: „Wir gehen fest davon aus, dass die Fuchszahlen durch das Jagdverbot nicht zunehmen werden.“ Studien hätten gezeigt, dass in Gebieten, in denen nicht gejagt wird, nur ein Viertel der Fähen – so heißen weibliche Füchse – Junge zur Welt bringen. Auf „Jagddruck“ dagegen reagiere die Fuchspopulation mit stärkerer Reproduktion, und 80 bis 90 Prozent der Fähen bekämen Jungfüchse. Und was Vögel angeht, die am Boden brüten und nisten, habe man in den Niederlanden herausgefunden, dass der Raubfaktor Fuchs „marginal“ sei. Bezeichnenderweise aber sei dort diese groß angelegte landesweite Studie nicht berücksichtigt worden, als 2005 die damalige Mitte-Rechts-Regierung das Jagdgesetz wieder ändern ließ, mit dem 2002 eine Mitte-Links-Regierung unter anderem die Fuchsjagd untersagt hatte. „Die Studie lag erst 2006 vor, man änderte das Gesetz schnell vorher. Das war keine Frage von Wissenschaft, sondern von Politik und Einflussnahme der Jägerschaft in den Niederlanden.“

Was soll man damit anfangen? Leider gibt es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse aus Luxemburg selbst über Bodenbrüterschwund, Beutegreifer (wie Raubtiere heute politisch korrekt genannt werden) und die Jagd auf diese. Der Staatssekretär wie die Jäger und auch eine Naturschutzorganisation wie Natur an Ëmwelt müssen sich auf ausländische Forschungen beziehen. FSHCL-Generalsekretär Hendrik Kühne greift zu einer Meta-Analyse, die 2009 an der Cambridge University entstand und 85 Einzelstudien aus der ganzen Welt ausgewertet hat. Resultat: Mache man Jagd auf Beutegreifer, ließen sich Bodenbrüter-Populationen im Schnitt um 71 Prozent vergrößern. Kühne schlussfolgert: Fuchsjagd muss sein.

Doch selbst die Vogelschützer der damaligen Lëtzebuerger Natur- a Vulleschutzliga (LNVL) seien schon vor 20 Jahren für ein Fuchsjagdverbot eingetreten, sagt Marie Kayser, Biologin und Vorstandsmitglied von Natur an Ëmwelt, in dem die LNVL wie andere Naturschutzverbände vor Jahren aufging. „Nicht der Fuchs ist der Hauptfaktor für den Schwund der Bodenbrüter, sondern die Intensivierung der Landwirtschaft.“ Würden Feuchtwiesen in Ackerland verwandelt, nutze ein Landwirt noch die letzten Ecken seiner Äcker aus und lege er keine Hecken an, fänden Kiebitze oder Rebhühner keine Deckung vor angreifenden Prädatoren. „Was wir brauchen, sind Habitatverbesserungen, und zwar dringend.“ Zum Beispiel gebe es „nur noch ein einziges gut funktionierendes Rebhuhn-Habitat im Lande“.

Doch wie schnell sich eine Vogelpopulation vergrößert, nachdem ihr Lebensraum verbessert wurde, ist nicht leicht vorhersehbar. Staatssekretär Gira, die Umweltministerin und Natur an Ëmwelt setzen auf sechs neue Natura-2000-Gebiete, die demnächst ausgewiesen werden sollen. Dort soll es unter anderem auch Bodenbrütern besser gehen. Doch als die Umweltministerin vergangene Woche die Neuauflage der Roten Liste vorstellte, wurde eingeräumt, es könne Jahre, vielleicht ein Jahrzehnt dauern, bis ein besseres Habitat sich auf Vogelpopulationen auswirkt. Haben die Jäger am Ende doch Recht? „Wir sind absolut für bessere Lebensräume“, erklärt der FSHCL-Generalsekretär, „aber die Bodenbrüter in der Zwischenzeit einem größeren Druck durch die Füchse auszusetzen, ist unverantwortlich.“ Deshalb das Poster: „Kee Liewensraum an eng Iwwerzuel vu Feinden“.

Spätestens an dieser Stelle wird die Problematik allerdings komplex. Zum Beispiel scheint es im Kanton Genf doch kein Problem mit Füchsen bei der Revitalisierung des heimischen Rebhuhnbestands zu geben. Die das Projekt koordinierende Vogelwarte Sempach hielt 2013 in einem Abschlussbericht fest, nur Rebhühner, die einen Sender zur „Telemetrie“ trugen und dadurch eingeschränkt beweglich waren, seien in nennenswerter Zahl Beutegreifern zum Opfer gefallen; in erster Linie Füchsen, aber nicht nur ihnen. „Le taux de survie des perdrix sauvages sans émetteur était bon et comparable à celui d’effectifs stables à l’étranger (...), et ce en dépit de la forte densité de renards, de 2 à 4 ind./km2.“ Und auch obwohl im Rebhuhngebiet bei Genf keine stärkere „régulation de la faune“ stattfand: Zwischenzeitlich hatten Ornithologen tatsächlich einen „contrôle intensif“ der Füchse verlangt. Politisch aber wurde entschieden: „Le maintien artificiel d’une population férale de perdrix n’est pas envisageable s’il implique la régulation d’espèces indigènes, qui font également partie de la biodiversité locale.“

Bereit zu sein, womöglich das endgültige Verschwinden einer Vogelart hinzunehmen, um den Fuchs nicht bejagen zu müssen – das ist eine Entscheidung, die es in sich hat. Sie führt zu der nicht ganz einfachen Frage, wie man die Jagd versteht und inwiefern man sie für nützlich hält. Geht es um die Bodenbrüter und deren Schutz, muss es für Natur an Ëmwelt eine Hierarchie der Maßnahmen geben: Zuerst Lebensraumverbesserung, und falls bessere Habitate nicht genug gebracht haben, könne man über die Bejagung von Beutegreifern nachdenken – aber nur lokal begrenzt. Marie Kayser verweist auf eine Studie des britischen Jagdverbands Game and Wildlife Trust: „Die ergab, dass eine Kiebitz-Population sich um 13 Prozent vergrößert, wenn man den Fuchsbestand um 43 Prozent dezimiert und die Rabenkrähen um 78 Prozent.“ Das sei „sehr viel“ und komme einer „Ausrottung“ schon ziemlich nahe. Dabei stehen Rabenkrähen in Luxemburg unter Schutz, wie etwa auch der Graureiher. Dem schrieb die große niederländische Bodenbrüter-Studie einen 18-prozentigen Räuber-Einfluss auf Wiesenvögel zu, während sie für Füchse nur fünf Prozent ermittelte. Die Vogel-Habitate in den Neiderlanden seien zwar nicht unbedingt mit den Luxemburger zu vergleichen, „es würde aber hier wie dort gelten: Man müsste mehr als eine Beutegreifer-Art dezimieren, darunter auch geschützte, und zwar konsequent und ständig“. So weit zu gehen, fänden vermutlich auch nicht alle Jäger „ethisch“.

Fragt man den Generalsekretär des Jägerverbands, hätten dessen Mitglieder eher keine Probleme damit, wenn es dem Artenschutz an anderer Stelle dient. Eine Frage aber bliebe dann noch: Was tun mit den toten Tieren? Der Welt-Naturschutzbund IUCN erkennt die Jagd als Naturschutzleistung an, sofern erlegte Tiere „verwertet“ werden. In Luxemburg aber lässt sich nicht einmal feststellen, wie viele der 2 500 im vergangenen Jahr geschossenen Füchse fachgerecht entsorgt wurden. Die Veterinärverwaltung kann auf Anfrage nicht sagen, was in den Centres de collecte an Füchsen abgeliefert wurde. „Do landen der wahrscheinlech eng Partie am Bësch“, lautet die lakonische Antwort. Dies, und „dass wir tote Füchse in die Mülltonne werfen“, war für Camille Gira das Hauptargument gewesen, die Fuchsjagd zu untersagen.

Peter Feist
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