Wahlen 2004

Nützlicher David

d'Lëtzebuerger Land vom 17.06.2004

Der Morgen ist klüger als der Abend, sagt ein Sprichwort. Jean Asselborn war am Montag klüger als am Wahlabend. Als Lydie Polfer bei der „Elefanteronn“ von RTL vor-rechnete, es sei doch ein positives Votum für die gesamte Regierung, wenn die CSV fünf Chamber-Mandate hinzugewann und die DP fünf verlor, konnte der LSAP-Präsident in seiner aufgeregten Erwiderung kaum anders verstanden werden, als gierten die Sozialisten dank ihres im Süden gewonnenen Restsitzes nach einer Neuauflage von Schwarz-Rot. Am Tag danach wollte Asselborn dann „nicht um jeden Preis“ in die neue Regierung, „die Erneuerung der Partei“ lasse sich auch in der Opposition fortsetzen. Am Dienstagabend legte die LSAP-Parteileitung noch einmal nach: sie sei „den politischen Prioritäten in Sachen Arbeitsmarktpolitik, Wirtschafts-, Familien- und Schulpolitik“ im Wahlprogramm verpflichtet, und nur falls diese „ihren Niederschlag“ fänden, könnte die LSAP koalitionsbereit sein. Immerhin würde die Differenz der Abgeordnetenmandate beider Partner zehn betragen; DP und CSV trennten zuletzt vier voneinander, und so verhältnismäßig klein war der Unterschied auch in den 15 schwarz-roten Koalitionsjahren von 1984 bis 1999 gewesen. Gegenüber einer derart übermächtigen CSV wird sich die Programmatik der LSAP schwerer verteidigen lassen. Schulpolitisch trennt die beiden eventuellen Partner so viel nicht. Sieht man davon ab, dass die LSAP die Hochschulpolitik wieder dem Erziehungsministerium unterstel-len will – was die CSV wohl nur akzeptieren könnte, wenn sie auch das Erziehungsressort erhielte – und den katholischen Religionsunter-richt durch ein Fach ersetzen möchte, „in dem alle Weltreligionen, ihre Grundlagen und ihre Geschichte auf eine objektive Art behandelt werden“ – was auch eine unter Junckers Einfluss modernisierte CSV strikt ablehnen dürfte. Auch der Vorschlag, der Abschluss der ersten zwei Schuljahre sollte in drei Jahren möglich sein, um schon im frühen Primärschulalter die selektive Rolle abzubauen, welche das Luxemburger Schulsystem besonders Ausländerkindern gegenüber noch immer spielt, findet sich so nur bei den Sozialisten. Die CSV spricht undeutlicher davon, dass „teilweise das Aufgeben des starren Klassensystems und die Einführung von Schulzyklen möglich sein muss“. Ansonsten plädieren beide für – freiwillige – Ganztagsschulformen, eine Anpas-sung der Schulprogramme, die Bewertung der Schüler auch nach Positivkriterien, verbesserte Mitsprache von Schülern und Eltern, Deutsch und Französisch als Fremdsprache im Sekundarunterricht und eine Reform der Berufsausbildung, vor allem für Handwerker. In der Familienpolitik gibt es größere Divergenzen. Nicht nur, wenn die Sozialisten vor den Wahlen 75 Euro mehr Kindergeld versprachen, die CSV lediglich „auch in Zukunft an einen Ausbau des Kindergeldes denken“ will. Wenn für beide Parteien Familienpolitik an vorderster Stelle die Herausforderung enthält, für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sorgen, gehen nur die Sozialisten so weit, jedem Kind ein Recht auf einen Betreuungsplatz geben zu wollen. Kaum allein wegen der Finanzierungsfrage, sondern auch aus ideologischen Gründen will die CSV in Zusammenarbeit mit den Gemeinden „flächendeckend Kindertagesstätten anbieten“. Das  aber wird schon jetzt versucht, wobei der Deckungsgrad der Einrichtungen je nach Altersgruppe jedoch nur zwischen sechs und zehn Prozent der Kinder ge-recht und eine mehr als doppelt so hohe Dunkelziffer von Tagesmüttern betreut wird (d’Land, 7.5.2004), denen zumindest CSV wie LSAP ein eigenes Statut geben wollen. „Erziehung ist und bleibt eine vorrangige Aufgabe und ein vorrangiges Recht der Eltern“, hielt die CSV in ihrem Wahlprogramm fest, und die letzte christlichsoziale Chamberfraktion war noch in diesem Frühjahr der Meinung gewesen, die „focalisation excessive“ auf mehr Kinderbetreuungsplätze sei ein zu einfacher Lösungsvorschlag zur Hebung der Frauenarbeitsquote. In Zeiten schwacher Konjunktur, erhöhter Arbeitslosigkeit und knapper öffentlicher Finanzen verlaufen die Gräben allerdings nicht mehr allein zwischen sozialkatholischer und aufgeklärt sozialdemokratischer Ideologie. In ihren wirtschaftspolitischen Aussagen verbindet Sozialisten und CSV zunächst sehr viel: Beide wollen eine „Gründerwelle“ auslösen: Sie wollen Un-ternehmensgründer fördern, ein „guichet unique“ für sie einrichten, möchten die vor allem von Handwerk und Mittelstand beklagten administrativen Prozeduren reduzieren und der SNCI die Rolle einer Risikokapitalbank zuweisen. Beide wollen die Ausweisung regionaler Aktivitätszonen vorantreiben, in Hightech-Bereiche wie Informatik, Biotechnologie oder Nanotechnologie investieren, öffentliche Forschungszentren und die neue Universität mit der Wirtschaft vernetzen, durch eine kontinuierliche Auftragspolitik der öffentlichen Hand eine Krise von der Baubranche fern halten und für niedrige Lohnnebenkosten sorgen. Es ist schon möglich, dass wegen dieser Kongruenz der nach den Wahlen vom Tageblatt befragte Fedil-Direktor Nicolas Sois-son meinte, er wolle zwar keine politische Präferenz äußern, das Wahl-ergebnis aber spreche „in Richtung politischem Wechsel“. Doch es geht ja nicht nur um eine durchdachte politische Rahmensetzung für Industrie, Handwerk und Forschung sowie für die weitere Diversifizierung des Finanzplatzes. Sondern auch darum, dass die LSAP, die bislang CSV und DP aus der Opposition her beim Herbeihoffen des Konjunkturaufschwungs zu-schauen durfte, in die gleiche Rolle geraten könnte. Wahrscheinlich wird das BIP in diesem Jahr um 2,4 Prozent wachsen, es könnten im nächsten Jahr 3,1 Prozent sein und 2006 knapp vier Prozent. Fast soviel, wie der Rententisch als kontinuierliches Szenario angenommen hatte, ehe das Wachstum 2001 innerhalb eines Jahres von 8,9 auf unter ein Prozent fiel. Den Staatshaushalt 2005 müsste allerdings eine gegenüber der CSV geschwächte LSAP mitverantworten – jenen Staatshaushalt, der nach dem „Übergangsbudget“ kommt, wie der Berichterstatter der CSV den Haushalt 2004 ge-nannt hatte. 2005 werden kaum noch Steueraußenstände eingetrieben werden können. „D’Enn vun der Péng“ aber sei wohl auch dann noch nicht erreicht, meinte Premier Jean-Claude Juncker Ende April während der Debatten zur Lage der Nation, 2006 könnte ebenfalls „schwierig“ werden. Die staatlichen Investitionsfonds, prognostiziert der Rechnungshof, würden überdies in zwei Jahren allesamt leer sein. Sollte es zu Schwarz-Rot kommen, wird die Sozialpolitik zum Konfliktfeld. Wie die LSAP für „niedrige Lohnnebenkosten“ sorgen will, würde sie schon recht bald erklären müssen, wenn die Krankenkassenunion im Juli ihre Haushaltsvorausschau für das nächste Jahr präsentiert haben wird. Zwischenprognosen, die normalerweise im Mai be-kannt werden, blieben diesmal des Wahlkampfs wegen aus. Absehbar ist allerdings trotz des 130-Millio-nen-Euro-Transfers vom letzten Herbst ein erneutes Defizit für 2005, sowohl bei Sachleistungen wie Krankenhausausgaben und Ärztehonoraren, wie auch beim Krankengeld. Dass wegen des wirtschaftlichen Ab-schwungs nicht mehr so viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden wie in den Boomjahren, lastet auf den Einnahmen der Kassen, eine Verbesserung dank erhöhten Wirtschaftswachstums stellt sich erfahrungsgemäß erst mit mindestens neunmonatiger Verspätung ein. Die Programmatik im Gesundheitswesen aber hat sich zwischen CSV und LSAP seit 1999 auseinander entwickelt. Zusätzlich zu ihrem Wahlprogramm legten die Soazialisten nach Ostern einen „Nationalen Gesundheitsplan“ vor, in dem etwa die Rede ist von einer notwendigen Bedarfsplanung von Arztleistungen und Spitaldiensten je nach Region. Doch wenn für die LSAP in ihrem Programm „der Prozentsatz des verfügbaren Einkom-mens, ab dem die Versicherten aller Eigenbeteiligungen“ an medizinischen Leistungen enthoben werden, „reduziert“ werden soll und im April vorsichtig darüber nachdachten, den Plafond von fünf Mal dem Mindestlohn als  Bemes-sungsgrenze für die Krankenversicherungsbeiträge abschaffen zu wollen (d’Land, 9. April 2004) und da-mit das Solidarsystem abzusichern, hält bei der CSV die Aussage: „Der Preis, den wir bereit sind, für unsere Gesundheit zu zahlen, muss dem Stellenwert, den wir ihr beimessen, entsprechen“ auch den Weg in Richtung individualisierter Risiken offen. Und Junckers Franchise-Idee, der sich unterdessen die CSV anschloss, enthält, einmal um-gesetzt, durchaus die Möglichkeit, eine Eigenbeteiligung an medizinichen Leistungen nicht nur von Bes-serverdienenden zu fordern – falls die Defizite der Krankenkassen sich häufen sollten. Derartige Reformen werden allerdings um so leichter durchzusetzen sein, je schwächer ein Koalitionspartner LSAP ist; am besten mit John Castegnaro, der diese Politik dem OGB-L erklärt. Auch in ihrer beschäftigungspolitischen Programmatik gibt es zwischen CSV und LSAP zumindest eine erhebliche Differenz: Beide sind für eine personelle Verstärkung der Arbeitsmarktverwaltung und deren bessere Zusam-menarbeit mit den Betrieben. Auch die LSAP fordert nicht die flächendeckende Arbeitszeitverkürzung, für die der OGB-L seit Jahren eintritt, sondern wie die CSV einzelbetriebliche Lösungen zur Vermeidung von Entlassungen. Wie auch „innovative Arbeitszeitmodelle“, einen Ausbau der innerbetrieblichen Weiterbildung, eine gesetzliche Basis für Beschäftigungsinitiativen. Doch wäh-rend die LSAP aus dem Um-stand, dass das Gros der neu ge-schaffenen Stellen von Grenzpendlern besetzt wird, weiterhin eine Herausforderung an Vermittlung, Aus- und Weiterbildung ableitet, ist er für die CSV auch zu einer Frage der „Mobilität“ der Arbeitssuchenden geworden: „Die Unmöglichkeit, auf dem Arbeitsmarkt einen den eigenen Kompetenzen angepassten Traumjob zu finden, führt manchmal zu einer verständlichen Resignation beim Arbeitssuchenden. Daher schlägt die CSV vor, dass die ADEM spätestens ab dem dritten Monat einen Vertrag mit dem Arbeitssuchenden abschließt, in dem im Hinblick auf die persönliche Betreuung des Arbeitssuchenden die Rechte und die Pflichten sowohl des Arbeitssuchenden wie auch der ADEM festgelegt werden.“ Ob damit ein vertraglicher Verzicht auf die gesetzliche Zumutbarkeitsklausel ge-meint sein soll, wurde zwar noch nicht präzisiert. Arbeitsminister und CSV-Präsident François Biltgen aber hatte, wie schon zuvor mehrfach, noch letzten Mittwoch der Voix du Luxembourg erklärt, „(que) les demandeurs d’emploi doivent faire preuve d’une certaine mobilité. Pas seulement géographique mais aussi mentale“. Der in der zeitlichen Reihenfolge erste Prüfstein für die Wahlaussagen der LSAP könnte noch vor den Diskussionen um die Krankenversicherung ein transportpolitischer sein – wenn voraussichtlich schon Ende dieses Monats der Verwaltungsrat der CFL sein Strategiedokument beschließen  und Henri Grethen zustellen wird, der sich damit jedoch vielleicht nicht mehr befassen muss und die Zukunftsfrage des Eisenbahnerstatuts an die Verhandlungspartner einer neuen Koalition weiter reichen müsste. Die LSAP aber hatte zuletzt am 24. Mai während eines von Bahnmitarbeitern gut besuchten Polit-Forums durch Marc Zanussi erklären lassen, sie bekenne sich zum Statut der Eisenbahner. Die CSV hingegen will es für neu eingestellte Mitarbeiter abschaffen.

Peter Feist
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