DP und CSV

Gemeinsame Hobbys

d'Lëtzebuerger Land vom 17.06.1999

Das Jacques-Yves-Henckes-Syndrom, so spotteten die Mehrheitsparteien im Vorfeld der Parlamentswahlen von 1989, habe die DP befallen: Jacques ist dafür, Yves dagegen und Henckes enthält sich.

Regierungsformateur Jacques Santer hatte das Argument der Kakophonie der liberalen Parlamentsfraktion gleich zwei Mal, 1989 und 1994, benutzt, um die DP bei den Koalitionsverhandlungen im Regen stehen lassen. Dabei war sich die DP 1989 ziemlich und 1994, aufgrund ihres Sitzgewinns und der Erosion der Mehrheitsparteien, sehr sicher, daß sie an der kommenden Regierung beteiligt würde.

Zehn Jahre später ist der Namensträger der krankhaften DP-Vielstimmigkeit längst zum ADR gewechselt und die DP-Vorsitzende heißt nicht mehr Colette Flesch, sondern seit Oktober 1994 Lydie Polfer. Die Frau, die laut einem Journal-Porträt Menschen anzieht, „die ihr von ihren Nöten und Problemen erzählen"(12. 6. 99), hat es verstanden, die Partei auf einen Kurs zu bringen, der die internen Differenzen zwar nicht völlig übertüncht, sie allerdings nicht mehr so offen zum Ausdruck bringt. „Nicht ein Blatt Papier", so triumphierte der DP-Fraktionschef Henri Grethen diese Woche auf RTL, passe zwischen ihn und den nach Straßburg strafversetzten und nun wiederkehrenden Charles Goerens. Das Rezept, das die Partei diesmal in der Wählergunst so hoch trieb, war nicht zuletzt ihre bis zum Unerträglichen gesteigerte ideologische Flexibilität. In einem Land-Interview (40/94) zu ihrem Amtsantritt als Parteipräsidentin, brachte Polfer es auf den Punkt. Politik werde bestimmt von dem, was man tue und nicht von dem, was man sage, meinte sie und fügte hinzu: „Es macht die Sache ja gerade so vielschichtig und interessant, daß man sich ständig zu allem neu positionieren muß." Die hauptstädtische Bürgermeisterin vertrat damals die Ansicht, sie habe sich gegenüber dem vorigen Parteipräsidentin durchgesetzt, da sie einfach „pragmatischer" vorgehe. Dem neuen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der sich ähnlich darstellte, wurde von Kritikern vorgeworfen, er verwechsele Pragmatismus mit Orientierungslosigkeit.

Im 99er-Wahlkampf hielten sich die Liberalen abgesehen von der Renten- und Unterrichtsfrage mit griffigen Slogans zurück, so daß sich letztlich die Frage aufdrängt, welche politischen Inhalte der Wähler am 13. Juni gewählt hat. Wieviel Wert die DP auch auf eine neue politische Kultur, einen „neuen Stil" in der Auseinandersetzung legen möchte: Die Attribute „Dialogfähigkeit" und „Vertrauen" mögen in Partnerschaftsanzeigen einen unermeßlichen Wert besitzen, als Fundament eines Koalitionsabkommens taugen sie allerdings recht wenig. Bei der aber- und abermaligen Durchsicht des Wahlprogramms wird erst einmal offensichtlich, daß sich die Partei mit vielen gesellschaftlichen Fragestellungen nur recht oberflächlich befaßt hat: So sind zu nahezu der Hälfte der derzeit 26 Regierungsressorts keine oder jedenfalls nicht wesentlich neue Vorschläge zu vernehmen. Bei der Analyse der restlichen Vorschläge entsteht das Bild einer Partei, die zumindest in der Theorie wesentlich mehr rechts steht, als sich dies auf Anhieb vermuten läßt.

Besonders deutlich wird der konservative Kurs der DP in der Gesellschaftspolitik. Das Bistum wird eine liberal-konservative Koalition sicher in manchem der abgewählten Regierungskoalition vorziehen. Schließlich möchte die DP den Religionsunterricht in der Schule beibehalten und setzt sich auch nicht ausdrücklich für eine stärkere Transparenz oder gar Trennung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat ein. Auch ihre Idealisierung einer intakten Familie liegt auf wertkonservativer Linie. Rechts erscheint die DP auch in der Ausrichtung ihrer Drogenpolitik: Die DP lehnt die diskutierte und vom Staatsrat verworfene einseitige Legalisierung der leichten Drogen ab, um zu verhindern, so Henri Grethen, daß „unser Land zum Dreh- und Angelpunkt der europäischen Drogenszene wird" (tageblatt 11. 6. 99). Auch in der Frauenpolitik verschließt sich die DP neuen Ansätzen: Ihr Anspruch ist merklich unter dem der CSV-Frauenministerin anzusiedeln. Die DP ist der Ansicht, daß kompetente Frauen sich in der Berufswelt auch ohne besondere Fördermaßnahmen durchsetzen und spricht sich daher „gegen jegliche Quotenregelungen", durch die Frauen „nur Alibipositionen zugesprochen" würden, aus.

Schließlich kann auch die Haltung gegenüber der politischen Partizipation von Ausländern und die Position gegenüber dem rechtlichen Schutz von außerehelichen und homosexuellen Partnerschaften als eher konservativ eingestuft werden: Zum Wahlrecht der Ausländer, der etwaigen Einführung einer doppelten Staatsangehörigkeit oder der Vereinfachung des Zugangs zur Luxemburger Nationalität hat sich die Partei im Wahlkampf überhaupt nicht geäußert; dagegen ist sie in ihrem Wahlprogramm für die rechtliche Gleichstellung von ehelichen und außerehelichen Partnerschaften eingetreten, ohne allerdings, für die Parteipräsidentin ja wesentlich, ihren Worten Taten folgen zu lassen: Zwar hatte sich die DP-Vertreterin Anne Brasseur auf einem Rundtischgespräch ausdrücklich dazu bereit erklärt, zusammen mit den beiden anderen anwesenden Vertretern von LSAP und den Grünen in der Justizkommission des Parlaments über zwei Gesetzesvorschläge zu diesem Thema zu beraten, doch war die DP-Abgeordnete letztlich bei der Sitzung doch nicht anwesend.

In einem solchen gesellschaftspolitischen Kielwasser rücken auch die Positionen der Liberalen in der Unterrichts- und Sozialpolitik schnell näher an den konservativen Koalitionspartner heran: In der Schulpolitik überdecken die Überreaktionen der liberalen Spitzenkandidatin Lydie Polfer, die der CSV-Unterrichtsministerin zuletzt, angesichts der hohen Zahl unqualifizierter Schulabgänger, ein „kriminelles" Vorgehen vorwarf, daß beide Parteien inhaltlich nicht weit auseinander liegen: CSV wie DP treten für die Einführung der Ganztagsschule, die Stärkung der Autonomie der einzelnen Lyzeen und die Beibehaltung des Status der Lehrkräfte ein. Die DP-Forderung nach einer Einführung von Lehrzyklen im Untergrad der Primärschule deckt sich mit ähnlichen Überlegungen, die schon seit längerem im Unterrichtsministerium angestellt werden. Die Herabsetzung des Sekundarunterrichts und die Einführung eines freien Samstages sind Verhandlungsgegenstand, ausgeprägtere Differenzen treten in der Frage der Alphabetisierung auf: Während die DP fordert, in der Primärschule die Schüler je nach ihren sprachlichen Fähigkeiten auf Basis der deutschen oder der französischen Sprache zu alphabetisieren und damit getrennte Ausbildungswege zu schaffen, verwehrt sich die CSV gegen jegliche Auftrennung und möchte sprachliche Schwächen durch punktuelle Maßnahmen ausgleichen.

Doch auch in dieser Frage droht kaum ein Konflikt: Falls die CSV wiederum das Ressort übernimmt, kann sich die DP in einigen Punkten ihres Schulprogramms in die Rolle des schwachen Koalitionspartners LSAP zurückdrängen lassen, übernimmt dagegen Henri Grethen das Unterrichtswesen, können sich beide Seiten immer noch auf halbem Weg begegnen — ein Vorhaben, wie das neue frankophone Lyzeum auf dem Campus Geesse-knäppchen, zu dem sich die CSV mittlerweile auch bekennt, könnte bereits als ein Fortschritt gedeutet werden. Den Rest besorgen Pilotprojekte. Daß die DP aus der frankophonen Einschulung eh kein essential macht, beweist eine Werbewurfsendung, in der die Partei wenige Tage vor den Wahlen eine bereinigte Fassung des Wahlprogramms präsentierte: die DP beschränkt sich darauf, „direkt nom 13. Juni 1999" einen Fünfjahresplan umzusetzen, der der Schule die „notwendigen Geldmittel" bereit stellt, will neue Schulgebäude bauen, den Personalmangel beheben, Lerninhalte und Programme „anpassen", ein Weiterbildungskonzept ausarbeiten und eine „auf die Bedürfnisse des Landes" ausgerichtete Universität fördern. Viel Zündstoff?

Welche Angriffsflächen bieten sich in den anderen Ressorts? Die Wirtschaftspolitik ist für die DP in erster Linie Politik für den Bankenplatz und für den Mittelstand und weicht dabei im Detail nicht wesentlich von der CSV ab, die Sozialpolitik könnte dagegen das Zeug zum Koalitionskrach haben: Weniger in der Beschäftigungspolitik — die Politik der DP ist auf diesem Feld alles andere als klar. Sie stimmte den nationalen Beschäftigungsplan mit und beschränkt sich im Wahlprogramm auf Forderungen gegen den Mißbrauch von Arbeitslosengeld und für eine Bildungsoffensive — als in der Frage der Pensionsreform im öffentlichen Dienst. Doch auch in diesem Bereich ist ein fauler Kompromiß nicht ausgeschlossen. Nachdem die DP im Oktober vergangenen Jahres zu verstehen gab, nur bei einer absoluten Mehrheit der DP wäre es möglich, das Gesetz vom Juli 1998 „grundsätzlich" abzuändern (LW 7.10.1998), könnten sich die Koalitionsverhandlungen auf eine andere Forderung konzentrieren, mit der die DP zuletzt Staatsbeamte anlocken wollte: eine kurzfristige Gehälterrevision im öffentlichen Dienst.

In der Frage der Strukturierung des privaten Pensionsregimes liegen beide Seiten etwas weiter auseinander: Die DP plädiert für ein Drei-Säulen Modell aus privater, betrieblicher und solidarischer Altersfürsorge. Während private Rentenversicherungen und Betriebsrenten (erste und zweite Säule) seit kurzem bereits durch Gesetze gefördert werden, sind CSV und DP sich bei der zukünftigen Ausrichtung des staatlichen Rentensystems uneins: Die CSV argumentiert, durch eine parallele Förderung des Umlageverfahrens - bei der die jeweils Rentnergeneration von der Bevölkerungsgruppe der jeweils Aktiven versorgt wird — und des Kapitaldeckungsverfahrens — bei dem eine Rentnergeneration von ihren eigenen, zum Zeitpunkt ihrer beruflichen Aktivität angelegten Beiträgen, lebt —, könnten Haushalte und Unternehmen zu stark belastet werden. Das weiß auch die DP, die einerseits betont, sie sei nur für einen langsamen, „phasenweisen Übergang" und andererseits hervorstreicht, sie würde die Sozialpartner in die Entscheidung miteinbeziehen: Somit könnte sie nach außen argumentieren, deren Kompromißfreudigkeit bestimme einen Fortschritt in diesem Punkt. Letztlich könnten der Kompromiß zwischen DP und CSV darauf hinauslaufen, die Verwaltung der Rentenkassen zu professionalisieren (die CSV tritt nach dem Gutachten des Wirtschafts- und Sozialrats dafür ein) und stärkere Reserven für die kommende Generation anzulegen (etwa durch die DP-Forderung eines nationalen Investitionsfonds). Dies würde eine Dosis mehr „Kapitaldeckungsverfahren" in das staatliche Rentensystem bringen, gleichzeitig Mittelstand und Banken erfreuen und der Phobie vor dem DP-Fernziel entgegenwirken, das wohl auf eine Minimumversorgung durch den Staat hinausläuft.

Bleibt ein anderer schwieriger Verhandlungspunkt: die Reform des Kollektivvertragsgesetzes, auf die beide Parteien kurzfristig drängen. Der LCGB-Präsident Robert Weber zieht auch deshalb so offen gegen eine schwarz-blaue Regierung zu Felde, da diese das heilige Privileg von LCGB, OGB-L und Fep Kollektivverträge gutzuheißen, für ungültig erklären könnte. Immerhin hat die DP in den Wahlprüfsteinen des OGB-L die Ansicht vertreten, daß „eine Gewerkschaft, die majoritär in einem bestimmten Sektor vertreten ist, das Recht haben soll, einen sektoriellen Kollektivvertrag zu unterschreiben." Die Aleba weiß somit, auf wen sie zählen kann. Die CSV möchte sich dagegen für starke Gewerkschaften einsetzen, „die in allen Wirtschaftsbereichen handlungsfähig sind."

Schließlich muß die neue Koalition auch in einigen Randressorts, die bisher von den Sozialisten gehegt und gepflegt wurden, zueinander finden. Im Bereich der Transportpolitik wird die BTB-Arbeitsgruppe wohl erst einmal mit neuen Variantenstudien befaßt, eine nationale Anpassung an die abwartende Position der schwarz-blauen Mehrheit im hauptstädtischen Gemeinderat liegt nahe. In der Kulturpolitik möchte die DP den „zu teuren" soziokulturellen Sender, gegen den sie u.a. im Rahmen der 97er Budgetdebatten Sturm lief, „grundsätzlich überdenken"; in der Umweltpolitik wird womöglich das umstrittene Kommodogesetz noch einmal aufgerollt, falls der neue Umweltminister nicht davor zurückschreckt, die komplexe Materie noch einmal durch den Gesetzgebungsapparat zu schleusen. Dann mag auch der Entwurf für das Energiegesetz, dem die DP eine Blockade vor der EU-Stromliberalisierung vorwarf, eine andere Form bekommen. Daneben bleiben aufgrund des streckenweise recht wortkargen DP-Wahlprogramms Fragen zu der Ausrichtung beispielsweise der Gesundheitspolitik (Mindestversorgung?) und der Landesplanung und Innenpolitik (mehr oder weniger Gemeindehoheit?).

Inwieweit die Christlich-Sozialen überhaupt programmatisch eine gemeinsame Linie mit den Liberalen finden müssen, hängt nicht zuletzt von der Ressortaufteilung ab: Die Liberalen haben durch ihre Spitzenkandidatin verkünden lassen, die Unterrichtspolitik sei die erste, zweite und dritte Priorität in einer neuen Regierung. Doch die DP kann gegenüber ihrer Klientel kaum andere Schlüsselressorts außer Acht lassen. Die Kunst der Koalitionsverhandlungen wird für die CSV darin liegen, der DP die Ressorts zu überlassen, in denen ihre Einflußnahme nicht zu groß ist und ihr in Kernbereichen, wie der Finanz- und Justizpolitik die Möglichkeit zu geben, sich nach außen als schwacher Juniorpartner darzustellen. So wie die LSAP dies jahrelange in der Kirchen- und in der Unterrichtspolitik getan hat.

Besondes deutlich wird der konservative Kurs der DP in der Gesellschaftspolitik
Olaf Münichsdorfer
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