Die Verhandlungen über den ersten Teil der geplanten Bankenunion – die zentrale Aufsicht durch die EZB mit dem Europaparlament – laufen. Im neuen System wird die CSSF ihre Unabhängigkeit abgeben müssen, sagt CSSF-Direktor Jean Guill

Umbruch

d'Lëtzebuerger Land du 22.02.2013
„Es ist eine wesentliche, eine komplette Veränderung im Vergleich zu heute“, sagt Jean Guill, Direktor der Commission de surveillance du secteur financier (CSSF), der Luxemburger Kontrollbehörde für das Finanzwesen. Im Dezember hatten die Europäischen Staats- und Regierungschefs den ersten Teil der europäischen Bankenunion beschlossen: die gemeinsame, zentrale Aufsicht der Banken, Single supervisory mechanism (SSM) genannt, ausgeführt durch die EZB in Frankfurt (d’Land, 11.1.2013). Besonders strittig war im Vorfeld, ob die EZB alle Banken in den teilnehmenden Ländern – einige Nicht-Euroländer wollen sich anschließen – oder nur die großen beaufsichtigen solle. Das Verhandlungsergebnis interpretierten die Regierungen jeweils ihren Forderungen entsprechend als Erfolg: Die EZB soll die großen Banken „direkt“ kontrollieren, die kleineren sollen von den nationalen Behörden überwacht werden. „Das heißt aber nicht, dass die nationalen Behörden bei den kleineren Banken weiterarbeiten können wie bisher“, unterstreicht Jean Guill. Der Vorlage zur Einrichtung des SSM zufolge ist die EZB für die Überwachung aller Banken zuständig. Ein Unterschied zwischen „großen“ und „kleinen“ wird nicht gemacht. Deswegen werden auch die nationalen Behörden, wie die CSSF, bei der Überwachung der kleineren Institute, wie Guill sagt, im Auftrag von und nach den Vorgaben aus Frankfurt vorgehen: „Sie sind nur noch der verlängerte Arm von Frankfurt.“ Zwar hatte sich Finanzminister Luc Frieden nach der Einigung im Dezember gefreut, die Luxemburger Behörden würden das Recht behalten, Banklizenzen zu vergeben, beziehungsweise zu entziehen. Eine wichtige Befugnis, wenn die Regierung für den Standort Luxemburg wirbt und versucht, neue Akteure zur Niederlassung zu gewinnen. Bei dieser Werbearbeit wurde bisher auch immer die Schnelligkeit und Reaktivität der CSSF als Standortfaktor verkauft. Wenn aber die CSSF ihre Unabhängigkeit, ihr Initiativrecht an Frankfurt abgeben muss, „wird es sicher nicht besser werden“, sagt Guill. „Wir haben im Nachhinein den Eindruck, dass es durchaus gestimmt hat, wenn die CSSF als Standortfaktor dargestellt wurde. Die Banken sind über die Veränderung nicht erfreut.“ Sie sind schnelle Termine und Antworten bei der CSSF gewohnt. „Aber sogar wenn sich die Banken mit Fragen an uns wenden dürfen, was noch nicht klar ist – ist noch nicht gesagt, dass wir eine Antwort geben dürfen, ohne mit Frankfurt Rücksprache zu nehmen.“ So hat die CSSF auch für die Überwachung der kleinen Banken „nicht mehr die Unabhängigkeit zu entscheiden, wie wir das machen“, erklärt Guill. „Momentan würden wir vielleicht entscheiden, diesen Monat diese Bank zu besuchen, Frankfurt würde uns vielleicht eher sagen, kontrolliert jene.“ Zwar bezieht sich die zentrale Überwachung ausschließlich auf die prudentielle Aufsicht, also Kapital- und Solvenzregeln der Banken, andere Aufsichtsaufgaben bleiben auch weiterhin im Bereich der nationalen Behörden. Wie auch die Überwachung anderer Bereiche des Finanzwesens, wie beispielsweise die für Luxemburg wichtige Fondsindustrie. Wenn der SSM erst einmal funktioniert – entweder ab März 2014 oder ein Jahr nach Veröffentlichung der Regelung, die noch im Europaparlament (EP) verhandelt wird, im offiziellen Amtsblatt – wird die direkte Überwachung der „großen“ entweder durch Mitarbeiter der EZB erfolgen oder durch Teams, die sich aus Mitarbeitern verschiedener nationaler Behörden zusammensetzen. Dabei geht man bei der CSSF davon aus, dass die „EZB-Kontrolleure“, die eine Großbank auf der Ebene des Mutterhauses prüfen, auch in Zukunft auf die Zusammenarbeit mit der CSSF zurückgreifen werden, nämlich dann, wenn es darum geht, die Informationen aus dem Mutterhaus auf lokaler Ebene abzuklären. Wie die nationalen Behörden in den Informationsfluss der Berichterstattung solcher Filialen großer Gruppen eingebunden werden, ist eine wichtige Detailfrage, die laut Guill noch zu klären bleibt. Weil die EZB mit eigenen Mitarbeitern oder den externen Teams vorgeht, wird sich bei der Feldarbeit die Zusammenarbeit zwischen CSSF und BCL kaum verändern. Dennoch, betont Guill, muss auf einer anderen Ebene mehr kooperiert werden als bisher. Der Grund: Um mögliche Interessenkonflikte innerhalb der EZB zu vermeiden, deren oberstes Entscheidungsgremium der Rat der Zentralbankgouverneure ist, wird das Supervisory board geschaffen, das die Entscheidungen der Gouverneure, darunter BCL-Chef Gast Reinesch, vorbereitet. Im Supervisory board vertreten sind aber die jeweils zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden, für Luxemburg die CSSF. Damit es für Reinesch im Gouverneursrat keine Überraschungen gibt, wird die CSSF die BCL über eventuelle Entscheidungen, die Luxemburger Banken betreffen, unterrichten müssen. Das war bisher nicht notwendig, weil sich Aufsichtskollegien für die internationalen Kreditinstitute im Rahmen der Europäischen Behörde für Bankenaufsicht (Eba) unter sich blieben. Zirka die Hälfte aller Banken in Luxemburg werden in Zukunft durch den SSM beaufsichtigt werden, weil sie einer Bankengruppe angehören, die auf EU-Ebene als systemisch eingestuft ist. Die BCEE wird als systemische Bank innnerhalb Luxemburgs ebenfalls der direkten SSM-Kontrolle unterworfen. Wie es beispielsweise um Bil und Raiffeisen steht, die, gemessen an den Kundeneinlagen, wichtige nationale Akteure sind, weiß die CSSF derzeit, trotz aller Bemühungen Klarheit zu schaffen, nicht zu sagen. Dafür sei die Bemessungsgrundlage noch nicht klar genug formuliert. Obwohl 50 Prozent der rund 150 Banken unter die Fittiche der EZB wechseln, erwartet man bei der CSSF eher ein steigendes als ein abnehmendes Arbeitspensum. Denn die zentralisierte Aufsicht soll auf Basis einheitlicher Regeln, des so genannten Single rulebook erfolgen. Dieses soll wiederum bei der Eba ausgearbeitet werden, damit daran alle EU-Mitgliedstaaten beteiligt sind, nicht nur diejenigen, die am SSM teilnehmen. Der SSM-Text sieht außerdem vor, dass die Entscheidung darüber, ob von den Banken zusätzliche Kapitalpuffer verlangt werden können, sowohl von der EZB als auf nationaler Ebene getroffen werden können. Was mehr individuelle Entscheidungen von Fall zu Fall zur Folge haben könnte, während die Bestrebungen innerhalb der EU, beispielsweise im Rahmen der Reform der Mindestkapitalanforderungen (CRD), in jüngster Vergangenheit eine größere Harmonisierung zum Ziel hatten. Darüber hinaus hat die EZB durchaus das Recht, eigene Bestimmungen zu erlassen, die dann allerdings nur für die Eurozone gelten. Sollte sie das tun, würde das „zum Problem für den Binnenmarkt und das Singe rulebook“, meint Guill. „Dabei ist nicht automatisch gesagt, wer besser dasteht, die Banken, die dabei sind, oder diejenigen, die draußen sind“. Allein dieses Single rulebook umzusetzen, die hunderte von technischen Standards, die im Detail bestimmen, wie Kapital- und Solvenzquoten berechnet werden, wird in den kommenden Jahren für viel Beschäftigung sorgen. Auch wenn weniger Banken zu beaufsichtigen sind, sagt Guill: „Es ist also keineswegs so, dass die CSSF zu viel Personal hätte.“ Die EZB ihrerseits muss die eigenen Truppen erst noch rekrutieren. Auch wenn sie auf die Mitarbeiter der nationalen Aufsichtsbehörden zurückgreift, mindestens 500 bis 600 Mitarbeiter schätzt auch Guill, deren Gehälter über neue Abgaben finanziert werden müssen. Wie sich EZB und nationale Behörden Kosten und Abgaben teilen – auch das ist eine wichtige Detailfrage, die laut CSSF noch zu klären bleibt. Für EZB und CSSF. Aber auch für die Banken. „Die Banken müssen auf die Änderungen, die der SSM bringt, reagieren. Die Frage ist: wie?“, gibt Guill zu bedenken. „Sie werden sich ganz genau überlegen, welche juristische Struktur für die Gruppe am besten ist, und ganz genau überlegen, wo sie am besten Niederlassungen haben und wo nicht. Die Antworten sind nicht für jede Bank die selben.“ Dass der SSM aber jede Bank dazu zwingt, ihre juristische Struktur und ihren geografischen Fußabdruck zu hinterfragen, steht für den CSSF-Direktor außer Frage – die rationelle Kapitalverteilung auf die verschiedenen Niederlassungen sei eine der Hauptsorgen der europäischen Bankenbranche. „Insgesamt sehe ich durchaus das Risiko, dass die Banken nicht mehr so viele Aktivitäten oder überhaupt Präsenzen in Luxemburg halten als bisher. Jede Bank, wie auch ihre Kunden, stellt sich immer wieder die Frage: ‚Weshalb bin ich hier?’ Es wird immer schwieriger, diese Frage zu beantworten, zu zeigen, dass wir in anderen Bereichen Vorteile zu bieten haben“, warnt Guill. Wären Fortis und Dexia, die isländischen Banken nicht untergegangen, hätte es den SSM schon gegeben? „Die ganze Herangehensweise (im Bezug auf die Reform der Finanzaufsicht, Anmerkung der Redaktion) beruht ja auf der Annahme, dass die Krise passiert ist, weil die Aufsicht unzureichend war. Davon bin ich nicht überzeugt, bin also auch nicht davon überzeugt, dass eine andere Aufsicht all diese Probleme erkannt und verhindert hätte“, meint Guill. „Man kann natürlich sagen, wenn bei Fortis ein Regulierer einen größeren Überblick gehabt hätte, hätte es anders laufen können.“ Auch die Teile zwei und drei der Bankenunion, eine gemeinsame Einlagensicherung und ein gemeinsamer Resolutionsfonds – die Vorlagen dazu sollen im Laufe dieses Jahres in Brüssel vorgestellt werden –, überzeugen Guill nicht. Zum einen glaubt der CSSF-Direktor nicht daran, dass sie politisch erwünscht sind. Länder wie Deutschland, die Fonds angelegthaben, reißen sich nicht darum, ihr Sparschwein mit anderen zu teilen. Zum anderen, weil seiner Ansicht nach die Einlagensicherungssysteme bisher funktioniert haben. Und sich prinzipiell die Frage stellt, weshalb Banken gerettet werden müssen: „Warum eigentlich? Warum gehen die nicht in die Insolvenz, wie der Schuster auch?“ „Es folgt diese Philosophie, dass das mit öffentlichen Geldern finanziert werden soll“, kritisiert Guill. Denn sogar, wenn ein solches System von der Branche finanziert werden solle, müsste es wahrscheinlich erst einmal öffentlich vorfinanziert werden. In der Folge würden notwendigerweise neue Kosten für die Banken entstehen. „Dabei ist jetzt schon zu hören, dass sie kaum noch Kredite vergeben.“
Michèle Sinner
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