Einheitsstatut und Krankengeld

Krieg dem Krankfeiern

d'Lëtzebuerger Land vom 01.02.2007

Wie die neuen Kompromissvorschläge aussehen, welche die Regierung der Tripartite und dort vor allem den Unternehmerverbänden am nächsten Dienstag vorlegen will, wollte Premier Jean-Claude Juncker nach der Kabinettsitzung am Freitag nicht sagen. Aber nachdem insbesondere die Handwerkerorganisationen dem Ministerrat noch schnell vor seiner Sitzung eine Note zugestellt hatten, wusste er schon, dass zusätzliche Mittel „géint den Absentéissem“ gesucht werden müssten. Beispielsweise müsse nach sozialer Gruppe und Geschlechtaufgebröselt werden, wer am häufigsten fehle.

Damit kam der Regierungschef den Unternehmern entgegen, die ihr Einverständnis mit der in der Tripartite beschlossenen Einführung eines Einheitsstatuts für Arbeiter und Angestellte an Maßnahmen zur Reduzierung der Krankschreibungen knüpfen wollen. Die Regierung hatte lange versucht, die Verhandlungen nicht mit diesem zusätzlichen Thema zu belasten, um so mehr, als das Tripartiteabkommen keinen Zusammenhang zwischen Einheitsstatut und Krankenstand herstellte. Die Gewerkschaften bestehen darauf, dass es an den Krankenkassenorganen sei, Mittel gegen das Krankfeiern zu suchen, während die Union des entreprises luxembourgeoises in ihrer Stellungnahme vom 21. August die Senkung der Abwesenheitsquote sogar Hauptziel der Reform nennt.

Unter dem Einheitsstatut sollen die Unternehmen, wie für die Angestellten, auch für die bisherigen Arbeiter den Lohn im Krankheitsfall während der ersten drei Monate weiter zahlen, dafür aber um ein Vielfaches niedrigere Versicherungsbeiträge zahlen. Die Unternehmer befürchten, dass sie das teurer zu stehen kommt, obwohl sie auch den Ertrag aus den gesenkten Beiträgen einbehaltenwollen.

Der Beitragssatz für Geldleistungen der Arbeiterkrankenkasse ist von vier Prozent Anfang der Neunzigerjahre auf derzeit 4,70 Prozent gestiegen. Für die Union des entreprises ist das ein Indikator für den mittelfristig gestiegenen Krankenstand. Allerdings meldet die Arbeiterkrankenkasse einen deutlichen Rückgang der Krankheitstage pro Versicherten in den vergangenen Jahren. Waren die Arbeiter im Jahr 2002 durchschnittlich 24,7 Tage krank gemeldet, fiel die Zahl seither Jahr für Jahr, um 2005 noch 14,3 Tage zu betragen. 

Ursache für den Rückgang können Veränderungen in der Industriestruktur, der Druck der Arbeitslosigkeit und die Reform der Invalidenrente sein. Im Schnitt meldete die Arbeiterkrankenkasse1,28 Krankheitsfälle pro Versicherten, mit Schwankungen je nach Branche und Arbeitsbedingungen: etwa 1,68 in den Gesundheits-und Sozialberufen und 0,40 bei der Post. Unterschiede gibt es auch zwischen hierzulande wohnenden Arbeitern mit 1,4 Krankheitsfällen2005 und Grenzpendlern mit 1,7, wobei beide Gruppen teilweisein unterschiedlichen Branchen dominant sind. Die Arbeiterinnen waren 2005 mit 15,8 Tagen länger krank gemeldet als Arbeiter mit 13,7 Tagen, was wohl auch mit mangelhaften Betreuungsstrukturen für kranke Kinder zu tun hat.

Vergleichbare Zahlen liefert die Privatbeamtenkrankenkassenicht, da sie erst ab dem vierten Krankheitsmonat Krankengeld zahlt, in ihren Statistiken also bloß die selteneren langen Krankheitsfälle aufführt. Das macht aber die Diskussion so schwierig, wenn mit „Absentéissem“ bald das Recht auf krankheitsbedingtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz gemeint wird, bald das ungerechtfertigte Krankfeiern. Das Krankfeiern nun aber als Problem bei der Einführung jener Lohnfortzahlung für Arbeiter darzustellen, die für Angestellte längst besteht, hieße auch, die Arbeiter zu verdächtigen, unehrlicher als die Angestellten zu sein.

Dass das Krankfeiern zum Thema bei der Lohnfortzahlung wurde, erklärt sich der Direktor des Handwerkerverbands, Romain Schmit, auch damit, dass es vielen Betrieben bisher nicht so wichtig war, wenn einmal einer blau machte, weil die Arbeiterkrankenkassevom ersten Tag an zahlt. Das Krankfeiern sei wohl nicht zu beseitigen, aber es müsse zumindest bekämpft werden – auch im Interesse der Betriebsorganisation und der arbeitenden Kollegen. Wobei die Abwesenheitsquote sich oft von Betrieb zu Betrieb ändere und auch etwas mit den Arbeitsbedingungen und dem Betriebsklima zu tun habe.

Romain Schmit hält den Krankenstand für überdurchschnittlich bei Grenzpendlern und vor allem „bei unqualifizierten französischen Frauen zwischen 30 und 35 Jahren“. Französische Ärzte neigten zudem dazu, Schwangere krank zu schreiben, wo das Luxemburger Gesetz Schutzbestimmungen für werdende Mütter am Arbeitsplatz vorsehe.

Für die Union des entreprises sind die Unterschiede im Krankenstand der Beweis für Missbräuche. Doch über das Krankfeiern gibt es naturgemäß ebenso wenig verlässliche Zahlen wie über den Steuerbetrug. Wenn sie während der ersten drei Monaten die Lohnfortzahlung für Arbeiter anstelle der Krankenkassen übernehmen sollen, wollen die Unternehmerverbände im selben Umfang wie die Krankenkassen Kontrollärzte beauftragen können, Krankgemeldete und Krankenscheine zu überprüfen. Den höheren Krankenstandvon Grenzpendlerinnen und Grenzpendlern führt der Unternehmerverband darauf zurück, dass Luxemburger Kontrollärzte nicht im Grenzgebiet der Nachbarstaaten prüfenkönnen. Das würde sich ändern, wenn die Betriebe die Kontrollen selbst organisieren dürften. Außerdem will die Union des entreprises die Abwesenheitsquote durch eine Eigenbeteiligung an den Geldleistungen im Krankheitsfall senken und den Jahresurlaub nur mehr auf der Grundlage der geleisteten Arbeitstage berechnen.

 

Romain Hilgert
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