Biolandbau

Es boomt nicht mehr

d'Lëtzebuerger Land du 04.08.2005

Wer im Jahr 2001 eine Bio-Metzgerei wie die in Luxemburg-Belair zum Einkaufen betrat, musste oft viel Zeit mitbringen. Nicht selten blockierte die Kundschaft den Verkaufsverlauf durch angeregte Debatten mit den Verkäufern über Creutzfeld-Jacobs, Bio-Fleisch und Lebensmittelsicherheit im Allgemeinen. Europas Agrar- und Lebensmittelbranche litt unter der "zweiten BSE-Krise", zu der sich später noch Schweinepest und Maul- und Klauenseuche gesellten. Die Bio-Metzger hatten Kundenzuwachs weit über ihre Stammklientel hinaus, und nicht selten gab es Lieferengpässe wegen der enorm gestiegenen Nachfrage.

Es war die Zeit, in der auch die Zahl der Luxemburger Bio-Bauernbetriebe am stärksten wuchs. Lag sie 1988 noch bei acht und Ende letzten Jahres bei 66, hatte es allein im Jahr 2001 einen Sprung von zuvor 30 auf 50 Betriebe gegeben, die ihre Produktion auf Bio umstellten. So eine Steigerungsrate gab es seitdem nie wieder; zurzeit unternehmen jährlich um die drei Betriebe den Übergang - entweder zum organisch-biologischen Landbau, der hier zu Lande unter der Vereinigung bioLabel firmiert, oder zur anthroposophisch orientierten biologisch-dynamischen Landwirtschaft im demeter-Verband. Die nach Bio-Prinzipien bewirtschaftete Agrarfläche lag Ende letzten Jahres bei 3 122 Hektar - beziehungsweise bei einem 2,4-Prozent-Anteil an der Gesamtnutzfläche.

Kein Mitgliedstaat der EU bringt es auf noch weniger, und das Regierungsziel, den Bio-Anteil in der Fläche bis zum Jahr 2010 auf fünf Prozent zu erhöhen, dürfte bei den gegenwärtigen Zuwachsraten schwerlich erreicht werden. Dabei wächst der Bio-Markt. An der heimischen Gemüseproduktion bringen es die Biobetriebe mittlerweile auf einen Anteil von rund 50 Prozent, und die Supermärkte der Cactus-Gruppe etwa, in denen weniger die überzeugte Bioladen-Kundschaft einkauft, sondern eher gesundheitsbewusste Eltern, die ihren Kindern etwas Gutes tun wollen, oder "Genießer" auf der Suche nach bestimmten wohlschmeckenden Erzeugnissen, verzeichnen Jahr für Jahr eine Steigerungsrate ihres Bio-Umsatzes von mehr als 30 Prozent.

Doch diese Zusammenhänge sind ziemlich komplex. Der Markt könnte noch weitaus mehr heimische Bio-Produkte aufnehmen. Zum Beispiel in den Supermärkten: "Unsere Priorität sind Luxemburger Produkte, ob Bio oder konventionell", sagt Marco Differding vom Direktionsbereich Verkauf der Cactus s.a. "Gehen die Luxemburger Bio-Produkte aus, muss unser Partner, der Großhändler Biogros, hinzu importieren."

Biogros ist ein "Kind" der Luxemburger Biobauern, gegründet 1992 von der Biobauerngenossenschaft BIOG, in denen die bioLabel- und demeter-Landwirte Mitglied sind. Biogros-Initiator und -Geschäftsführer Änder Schanck weiß: allzu umfangreich ist die Produktpalette made in Luxembourg noch nicht.

Allerdings leidet die Luxemburger Bio-Branche unter ähnlichen Zwängen wie die konventionelle: Auch die Bio-Betriebe sind überwiegend Milch- und Rindfleischbetriebe. "Wenn mich an einer Umstellung auf Bio-Produktion eventuell interessierte konventionell arbeitende Landwirte aus dem Milch- und Rindfleischsektor fragen, ob sie ihre Produkte denn allesamt zu Bio-Preisen absetzen könnten, muss ich ihnen sagen: leider nein", erläutert Bernd Ewald, der Landwirtschaftsberater von bioLabel und demeter. Es mangele an der Weiterverarbeitung: "Vor allem edle Teile vom Rind werden in Luxemburg nachgefragt, es müsste mehr Bio-Metzger geben, und am besten auch eine eher industrielle Weiterverarbeitung zu beispielsweise Bio-Wurst in Dosen." Da die Wertschöpfungskette so lückenlos aber nicht ist, landen weniger edle Rindviehteile, obwohl Bio, am Ende nicht selten doch im konventionellen Segment der Weiterverarbeitung und mitunter im Ausland, da in Luxemburg die Weiterverarbeitungskapazitäten auch für konventionell hergestellte weniger edle Teile begrenzt sind. Ein Bio-Export in die Nachbarländer ist schwierig, weil Luxemburger Bio-Bauern höhere Preise nehmen als ihre Kollegen jenseits der Grenzen, die nicht in Hochlohnländern leben.

Auch für die Bio-Milch müsste es mehr Weiterverarbeitung geben, meint Änder Schanck. Zwar ist die im Herbst 2000 bei der Luxlait angelaufene Produktion von Milch der Marke BIOG für die Bio-Milchlandwirte eine Erfolgsstory, und auch Marco Differding von der Cactus-Gruppe ist mit ihrer Akzeptanz bei der Kundschaft "sehr zufrieden". Doch von den zurzeit pro Jahr von den Bauern gelieferten zwei Millionen Litern Bio-Rohmilch lässt sich gegenwärtig nur die Hälfte als Bio-Frischmilch absetzen. Vom Rest fließt der größte Teil ebenfalls in den konventionellen "Circuit", denn die Veredlung zu Joghurt und Käse ist noch zu klein.

Bio-Metzger, gerne auch noch einen Käsefabrikanten; Bio-Bäcker, denn Bio-Backwaren verkaufen sich sehr gut, hofft die Biobauerngenossenschaft in ihrem Handels- und Verarbeitungszentrum Oikopolis in Münsbach ansiedeln zu können, für dessen zweite Ausbaustufe diesen Monat die Bauarbeiten beginnen. Oikopolis ist als wichtiger Baustein für Verarbeitung, Vermarktung und Vertrieb auch ein Symbol für die Luxemburger Bio-Branche, die sich vom Idealistentum der Achtziger- und Neunzigerjahre Schritt für Schritt professionalisiert und in Vertrieb und Marketing neue Arbeitsplätze geschaffen hat. Und nur neue Absatz- und Verarbeitungsmöglichkeiten können auch mehr konventionelle Betriebe zum Umstieg auf Bio bewegen.

Wie viele es sein könnten, ist allerdings auch eine agrarpolitische Frage. Wie sich die jüngste EU-Agrarreform auf den Biolandbau auswirken wird, muss sich erst noch zeigen. In der Hauptsache hat sie die Bindung der Direktbeihilfen aus dem EU-Agrarhaushalt an die Produktionsmenge abgeschafft, damit die Betriebe künftig nur noch produzieren, was die Märkte nachfragen. Das neue System müsste Bio-Landwirte begünstigen, da sie wegen des Verzichts auf chemische Dünge- und Pflanzenschutzmittel und aufgrund extensiverer Tierhaltung schon immer weniger am Volumen ihrer Produktion interessiert waren, vielmehr an der ökologischen Bewirtschaftung einer Fläche, für die es auch vergleichsweise hohe Extra-Flächenzuschüsse gibt. Doch der nach der Fischler-Reform geschaffenen Einheitsprämie, die den Betrieben nun zufließt, egal wie viel sie produzieren, liegt zum Teil die ehemals bezuschusste Produktion der Jahre 2000 bis 2002 als Referenz zugrunde. Nicht nur dürfte damit für große und besonders intensiv arbeitende konventionelle Betriebe der ökonomische Anreiz für eine Umstellung auf Bio kaum gegeben sein - der Referenzbezug 2000 bis 2002 könnte auch ausgerechnet jene Betriebe, die ab 2001 mit der zwei bis drei Jahre dauernden Umstellung auf Bio begannen, schlechter stellen als konventionelle. Umso schwerer wöge es dann, wenn auch in Zukunft nicht die gesamte Produktion - obwohl Bio - zu Bio-Preisen verkauft werden kann.

Dass Landwirtschaftsminister Fernand Boden an der für Luxemburg vereinbarten Ausgestaltung der Fischler-Einheitsprämie nachträglich etwas ändert, ist sehr unwahrscheinlich, denn ihr zu Stande Kommen war ein politischer Kompromiss, der weder kleine, noch große Betriebe über Gebühr benachteiligen sollte. Der geringe Bio-Anteil und der sich zurzeit auf stabil kleinem Niveau bewegende Zuwachs sind aber unmittelbare Resultate der opportunistischen und von einer Strategie weitgehend freien Agrarpolitik. Die geringe Umstellungsrate auf Bio hat auch damit zu tun, dass in den Agrarbetrieben immer mehr investiert wird und die Investitionen durch Staatszuschüsse stimuliert werden: Wer erst vor kurzem umfangreiche Investitionen in Maschinen und Anlagen tätigte, hat umso weniger Anlass, sich obendrein noch der mehrjährigen Bio-Konversion auszusetzen. Dass das Investitionsverhalten der Betriebe von Jahr zu Jahr neue Rekordmarken erreicht und die Abschreibungskosten ungesund für die Bilanzen vieler Betriebe sind, wird zwar von den Dienststellen des Ministeriums immer wieder festgestellt, doch eine Abkehr von dieser falschen staatlichen Pädagogik gibt es nicht.

Dass Bio-Produkte besser seien als konventionelle, war aus dem Mund des Ministers bislang ebenfalls noch nie zu hören. Stattdesssen beschwor er stets die hohe Qualität aller heimischen Agrarprodukte und insbesondere die von Produktlabels wie Produit du terroir oder der Marque nationale. Gerade die Label-Vielfalt hier zu Lande aber, die das made in Luxembourg betont, anstatt Qualitätstransparenz herzustellen, ist für die Vermarktung von Bio-Produkten ein großes Hindernis: "natürlich", "gesund" und "aus kontrolliertem Anbau" behaupten alle zu sein. Bio-Lebensmittel aber enthalten besonders viele für die Ernährung wichtige sekundäre Pflanzenstoffe, wie die University of California kürzlich in einer umfangreichen Studie herausgestellt hat, und sind zu 93 Prozent frei von jeglichen chemischen Rückständen, wie das Ökomonitoring in Baden-Württemberg 2002 ermittelte. Derlei Studien gibt es nicht wenige.

Die konventionelle Agrarproduktion wurde in Luxemburg ab Anfang der Neunzigerjahre mit regierungsamtlicher Unterstützung auf die so genannte "integrierte Landbewirtschaftung" ausgerichtet. Der integrierte Landbau propagiert, nur so viel chemische Dünge- und Pflanzenschutzmittel einzusetzen, wie "unbedingt nötig", und für Fernand Boden war der Umstand, dass mehr als 90 Prozent aller hiesigen Agrarbetriebe die Landschaftspflegeprämie beziehen, die den vernünftigen Chemieinsatz als ein Kriterium enthält, der Beweis für eine "zunehmend nachhaltige" Landwirtschaft.   Offensichtlich aber ist im konventionellen Bereich der Chemieeinsatz noch immer hoch. Laut EU-Statistikamt Eurostat stieg zwischen 1993 und 1999 der Absatz chemischer Pflanzenschutzmittel hier zu Lande von 301 auf 421 Tonnen. Neuere Daten liegen nicht vor, und der damals große Absatz könnte auch damit zu tun haben, dass in Luxemburg bis zum Jahr 2001 auf Spritzmittel nur drei Prozent Mehrwertsteuer erhoben wurden und Luxemburg eine Drehscheibe des innereuropäischen Spritzmittelhandels war. Die Mehrwertsteuersenkung von zuvor zwölf auf drei Prozent erfolgte aber ausgerechnet 1993, im Start-Jahr des integrierten Landbaus, um den heimischen Bauern "preiswerte" Spritzmittel zur Verfügung zu stellen. Dass trotz einer TVA von 15 Prozent, die seit 2001 erhoben wird, der Spritzmitteleinsatz nach wie vor groß sein muss, lässt sich aus den wirtschaftlichen Gesamtrechnungen des Landwirtschaftsministeriums ablesen. In dem repräsentativen Netz aus Testbetrieben, das zur Aufstellung der Gesamtrechnung dient, wurden im Jahr 2000 pro Betrieb 4 824 Euro für "Pflanzenbehandlungs- und Schädlingsbekämpfungsmittel" ausgegeben. 2003 waren es 5 929 Euro, ein Plus von 23 Prozent. Doch nur für vier von zehn in diesem Zeitraum betrachteten Spritzmitteln waren die Marktpreise um mehr als 20 Prozent gestiegen, bei den anderen hatte das Preiswachstum nur zwischen 4,5 und 17 Prozent betragen.

Umfangreicher Chemieinsatz aber ist nicht nur schlecht für die Endverbraucher, sondern auch für die Grundwasserqualität, die obendrein durch Nitratauswaschungen synthetischer Stickstoffdünger belastet wird. Laut dem Wasserwirtschaftsamt im Innenministerium überschreiten die Nitratgehalte vielerorts noch immer den Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter Wasser. "Zum Wasserschutz könnte die Ausweitung der biologischen Landwirtschaft viel beitragen", sagt Raymond Aendekerk, Sekretär des bioLabel-Verbands, und verweist auf Projekte wie das der Stadt München, die zur Verbesserung ihrer Trinkwasserqualität vor 14 Jahren gemeinsam mit im Wassereinzugsgebiet der Stadt tätigen Landwirten eine Biolandbau-Interessengemeinschaft gründete, der sich anfangs 14 und bis heute 110 Betriebe durch Umstellung auf Bio angeschlossen ha¬ben. Resultat: Die Nitratbelastung des Münchner Trinkwassers ist seither um 50 Prozent gesunken.

Doch während sich bei einem Kolloquium mit Münchner Vetretern im März dieses Jahres Innenminister Jean-Marie Halsdorf zunächst für ein identisches Projekt in Luxemburg interessierte, schloss er sich Ende Juni in einer gemeinsam mit Fernand Boden erteilten Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der grünen Abgeordneten Camille Gira und Henri Kox der geläufigen Argumentation des Agrarministers an: Beide Minister erklärten, mit den derzeitigen Agrar-Umweltbeihilfen und verschiedenen Wasserschutz-Pilotprojekten "existe (...) déjà actuellement un instrument performant destiné à soutenir les efforts dans le domaine de la protection des eaux", und "le projet proposé ne constitue pas l'unique méthode pour assurer la protection des eaux potables". Derartige Projekte würden auch  nur "très sporadiquement réalisés dans les pays germanophones".

Wasserschutz aber könnte ein Ansatz sein, um der Umsetzung des EU-Aktionsplans für den Biolandbau politisch den Weg zu ebnen. Zugestimmt hat ihm im Frühsommer 2004 im Agrarministerrat auch Fernand Boden, und sein Ministerium ist in seinem Jahresbericht 2004 immerhin der Meinung, der Biolandbau "correspond particulièrement bien aux principes d'une agriculture durable et protectrice de l’environnement". Die nach Verabschiedung des EU-Aktionsplans eingerichtete Task force aus Vertretern von Ministerium, Bauernverbänden, Vertrieb und Handel habe sich aber bisher nur ein einziges Mal getroffen, resümiert Raymond Aendekerk enttäuscht. "Was wir brauchen, sind nicht unbedingt höhere Beihilfen, sondern organisatorische Unterstützung. Wir haben dazu Anfragen im Ministerium eingereicht, die seit Jahren unbeantwortet sind."

Einen Beitrag zur Stärkung der Bio-Produktion könnte die Regierung leisten, indem sie versuchte, den Anteil von Bio-Lebensmitteln an den Essensportionen in Kindereinrichtungen und Schulkantinen zu erhöhen. Doch von einer positiven Diskriminierung nicht von Bio-, sondern von Agrarprodukten made in Luxembourg generell schreckten vor vier Jahren schon die damaligen Ministerinnen und Minister für Schule, Gesundheit, Familie und Landwirtschaft zurück, als sie in ihrer gemeinsamen Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des CSV-Abgeordneten Marco Schank meinten, dies könne "en contradiction avec les dispositions du droit communautaire" verstanden werden. Fernand Bodens deutsche Amtskollegin Renate Künast hatte solche Bedenken offenbar nicht, als sie dafür plädierte, dass in Deutschland bis zum Jahr 2020 mindestens ein Fünftel aller an Kindergartenkinder und Schüler verteilten Gerichte aus Bio-Lebensmitteln zubereitet werden sollten. Mag sein, dass dieses Ziel schwer zu erreichen sein wird, es ist aber auf jeden Fall ein politisches Signal, dass man in Luxemburg noch immer vermisst.

Peter Feist
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