Kino

Zersetzende Machofantasien

d'Lëtzebuerger Land vom 14.07.2017

Schon eine der ersten Einstellungen wirkt surreal: Da liegt eine junge, zerbrechlich wirkende Frau, Veronica (Simone Bucio), die verblüffende Ähnlichkeit mit Charlotte Gainsbourg hat, mit gespreizten Beinen nackt in einer Holzhütte und lässt sich unter lustvollem Stöhnen von einem tentakelartigen Monster penetrieren. – Eine Filmsprache zwischen Lars von Triers Nymphomaniac und der Science-Fiction-Welt aus Starship Troopers.

La región salvaje ist der vierte Film des 1979 in Guanajuato geborenen mexikanischen Regisseurs Amat Escalante. Für sein Drama erhielt der junge Autodidakt bei den 73. Filmfestspielen in Venedig im vergangenen Jahr einen Silbernen Löwen für die beste Regie. Das dürfte vor allem daran liegen, dass Escalante in seinem Film Sexismus, Homophobie und den Macho-Kult (in) der mexikanischen Gesellschaft schonungslos offenlegt. Seine Dramen wirken wie die Antithese zu kitschigen mexikanischen Telenovelas, denn Escalante beschönigt nichts, sondern legt mit seinen Filmen den Finger in die Wunden der Bigotterie der mexikanischen Gesellschaft. Alejandra (Ruth Ramos) lebt mit ihrem Mann Angel (Jesus Meza) und ihren beiden Söhnen in einer scheinheiligen Ehe. Ihr Bruder Fabian (Eden Villavicencio), ein Krankenpfleger, ist homosexuell und hat ein Verhältnis mit seinem Schwager Angel, das er jäh beenden wird, als er Veronica kennenlernt und sie ihn zu dem geheimen Ort bringt, an dem auch seine Lust befriedigt wird. Doch das tentakelartige Geschöpf ist nach einiger Zeit der Menschen überdrüssig und verletzt sie. Wer sich auf es einlässt, lässt sich auf ein gefährliches Lustspiel ein, das tödlich enden kann ...

Amat Escalantes Frauenfiguren sind Opfer von Gewalt, die sich sukzessive aus den Zwängen befreien, seine Männer mitunter machohafte Kerle mit weichen Kern, die ihre homosexuellen Neigungen hinter einer kleinbürgerlichen Fassade verstecken und nur geheim ausleben können. In dem Zusammentreffen mit dem Monster reduziert Escalante seine Figuren auf ihre ureigenen Triebe.

Ein bisschen erinnert La región salvaje an Pier Paolo Pasolinis Film-Œuvre – nicht zuletzt wegen der Parallelen zwischen dem Macho-Kult im katholischen Italien und Mexiko und der unterdrückten Homosexualität seiner männlichen Protagonisten. Escalante liefert mit seinem jüngsten Film, ähnlich wie schon mit Sangre (2015) und Heli (2013), ein sozialkritisches Gesellschaftsbild, indem er die destruktiven Mechanismen (zwischen-)menschlicher Beziehungen in einem von starren Moralvorstellungen dominierten katholischen Mikrokosmos, in dem um jeden Preis der Schein gewahrt werden muss, entlarvt. Doch sein Drama hätte auch ohne das Science-Fiction-Element genug Sprengkraft geboten für einen nuancierten Film. Durch sein Monsterwesen, dem sich Frauen und Männer gleichermaßen hingeben und das allein die menschlichen Triebe der herumirrenden Protagonisten wirklich zu befriedigen vermag, verleiht der Regisseur dem Film jedoch eine unglaubwürdig-trashige Komponente, die auf einer primitiven Fantasie basiert. La región salvaje ist ein verblüffendes Werk, das in weiten Teilen durch sein Drehbuch und sehr gute Schauspieler überzeugt, doch hinterlässt der Film angesichts der hier – im Gegensatz zu seinen letzten drei Filmen – erstmals einfließenden sexualisierten Science-Fiction-Fantasie einen schlechten Nachgeschmack und eine diffuse Ratlosigkeit.

Anina Valle Thiele
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