Europäische Energiepolitik

Oettingers großer Auftritt

d'Lëtzebuerger Land vom 27.01.2011

Am 4. Februar wird sich in Brüssel zum ersten Mal ein Europäischer Rat vorrangig dem Thema Energie widmen. Der Gipfel kommt zum richtigen Zeitpunkt. Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger hat das Jahr 2011 zu dem Jahr ausgerufen, in dem wichtige Weichenstellungen der europäischen Energiepolitik fallen müssen, damit sich die EU rechtzeitig auf die zukünftigen Herausforderungen vorbereiten kann. Ob sich Oettinger mit seinen Vorstellungen durchsetzen kann, ist offen. Neben den großen Aufgaben wie Klimaschutz, Versorgungssicherheit und bezahlbarer Energie sowie der Frage, wie man diese Ziele im Detail erreichen kann, ist die Energiepolitik ein weiteres Feld, auf dem die EU-Kommission und der Rat im Zuge neuer Bestimmungen des Lissabonvertrags ihr machtpolitisches Zusammenspiel neu ausloten.

EU-Kommissar Oettinger macht Dampf. Diese Woche kündigte er an, gegen illegale Preisabsprachen beim Stromgroßhandel vorgehen zu wollen. Im März 2011 will er einen europäischen Aktionsplan zur Energieeffizienz vorlegen. Hintergrund ist die Tatsache, dass die EU ihr Ziel aus dem Klimapaket von 2007 in der Energieeffizienz klar verfehlen wird. Oettinger will die Mitgliedsländer auf konkrete nationale Schritte bei der Energieeffizienz verpflichten und droht schon mal damit, dass die Kommission auch alleine verbindliche Vorgaben machen könne, sollte dieser Ansatz scheitern.

Im Juni soll ein Vorschlag für eine Verordnung für den Ausbau der Infrastruktur im Energiesektor folgen. Damit ist vor allem der Stromtransport gemeint. Oettinger will durchsetzen, dass sich die Mitgliedstaaten auf ein Datum einigen, bis zu dem es keine technischen Barrieren für grenzüberschreitenden Stromtransport mehr gibt. Darüber hinaus will er strategische Korridore schaffen, die zum Beispiel Strom aus zukünftigen Windparks in der Nordsee oder Solarstrom aus den Mittelmeeranrainern in der EU verteilen können. Oettinger möchte grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte durch die EU fördern. Ebenso Maßnahmen, die noch isolierte Länder – wie etwa die baltischen – voll an den gemeinsamen europäischen Energiemarkt anschließen, deren Märkte aber zu klein sind, als dass sich dieser Anschluss wirtschaftlich rechnen würde. Für diese Infrastrukturmaßnahmen braucht der EU-Kommissar Geld, das er nicht hat.

Bisher gibt es kein eigenes Haushaltskapitel für Energie, das soll sich ändern. 800 Millionen Euro jährlich wünscht sich der Kommissar. Dies Geld sei nötig, um die Klimaschutzziel der EU erreichen zu können. Aus seiner Sicht sind die Ansprüche durchaus bescheiden, denn nach Berechnungen der Kommission müssten in den nächsten zehn Jahren 600 Milliarden in den Ausbau der Infrastruktur und den Aufbau von Speicherkapazitäten für Strom investiert werden. Dass einige Maßnahmen dringend sind, zeigt auch ein kürzlich vom deutschen Wirtschaftsministers Brüderle vorgestelltes Gutachten. Danach sind ab 2015 wegen des wachsenden Anteils von Ökostrom Zusammenbrüche im deutschen Stromnetz zu befürchten, weil die Leitungen nicht ausreichend auf die nachhaltige Stromerzeugung ausgerichtet sind.

Die Planungsverfahren will der umtriebige Kommissar von durchschnittlich zehn auf höchstens fünf Jahre verkürzen. Der Ausbau der europäischen Energieinfrastruktur sei auch im Hinblick auf einen funktionierenden Wettbewerb im Binnenmarkt dringend geboten, der immer noch auf sich warten lässt. Dieser wiederum sei Voraussetzung für gemeinsame Rahmenbedingungen, um Forschung und Innovationen anzutreiben. Europa sei dabei, seinen Innovationsvorsprung zu verlieren. Oettinger ist überzeugt, dass sich etwa die Einspeisebedingungen für Ökostrom in Eu-ropa langfristig angleichen müssten, um den Wettbewerb zu verbessern. Eine scharfe Absage seines Parteikollegen Norbert Röttgen, Umweltminister in Deutschland, ließ nicht lange auf sich warten.

Im September will Oettinger ein Positionspapier zu einer europäischen Energieaußenpolitik vorlegen. Mitte Januar reiste er gemeinsam mit Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach Aserbeidschan und Turkmenistan. Es ging darum, bei der von der EU befürworteten Nabucco-Gaspipeline, die nicht durch Russland führen soll, endlich erste Pflöcke einzuschlagen. Aserbeidschan unterzeichnete eine Absichtserklärung, Gas in diese Pipeline einzuspeisen, im Gegenzug gewährt die EU Visa-Erleichterungen. Turkmenistan beließ es bei der Feststellung, das Land könnte sich eine Belieferung von Nabucco vorstellen. Barroso will die Mitgliedstaaten auf ein Gentlemen’s Agreement verpflichten, bilaterale Verträge im Energiebereich nur noch in Absprache und mit Unterstützung der Kommission zu schließen. Allein, so die Ansicht der Kommission, seien die einzelnen Ländern nicht stark genug, sich gegen Quasi-Monopolisten wie Gazprom erfolgreich behaupten zu können.

Oettinger ist bestrebt, sein Ressort auf Augenhöhe mit dem Rat zu führen. Diese Position muss er sich erst erkämpfen. Entmutigen lassen wird er sich nicht so leicht, er denkt langfristig. Im November will er eine Roadmap vorlegen, die die europäische Energiepolitik bis 2050 skizziert.

Christoph Nick
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