GVO in Futtermitteln

Autarkie ist kaum zu haben

d'Lëtzebuerger Land vom 02.01.2003

Sie wurden als diplomatische Bravourstücke der dänischen EU-Präsidentschaft gefeiert - die gegen Ende 2002 erzielten Einigungen über zwei Streitpunkte zum Einsatz der Gentechnologie. Schon seit Jahren waren sie zwischen den Mitgliedstaaten, der EU-Kommission und dem Europaparlament anhängig. Der neue Konsens soll nun helfen, die Blockierung zu lösen, die im Juni 1999 entstanden war: Dänemark, Italien, Frankreich, Griechenland und Luxemburg verlangten von der EU-Kommission, legislative Vorschläge über Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit genetisch veränderter Organismen in Lebens- und Futtermitteln zu machen. Bis dahin sollten genetisch veränderte Produkte keine Marktzulassung mehr erhalten.

 

Dieses Moratorium gilt bis heute. Mit der Folge, dass seit dem erstmaligen Anbau genetisch veränderter Pflanzen zu kommerziellen Zwecken im Jahre 1996 die dafür genutze Fläche zwar bis Ende 2001 um das 25-fache wuchs. Aber: nur im Weltmaßstab. Die vom International Service for the Acquisition of Agri-biotech Applications (ISAAA) geschätzten 50 Millionen Hektar entfallen allein zu 70 Prozent auf die USA. In der EU finden hauptsächlich Feldversuche statt, die Zahl der beim zuständigen europäischen Lebensmittelamt eingegangenen Mitteilungen darüber allerdings sank laut Angaben der EU-Kommission von 256 im Jahr 1997 auf 44 im Jahr 2001.

 

Seither tobt die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern starker Verbraucherschutzrechte und generellen Gentech-Skeptikern einerseits sowie andererseits Warnern vor einem technologischen Rückstand, in den Europa gegenüber Ländern geriete, in denen stärkerer laisser-faire vorherrscht. Lobby-Einflüsse sind  rasch ausgemacht: Die Pro-Gentech-Haltung Großbritanniens etwa erklärt sich aus der Vorreiterrolle, welche die Biotech-Industrie auf der Insel spielt; die ambivalente Position Deutschlands aus dem politischen Dilemma, eine erstarkende heimische Biotech-Branche zu versöhnen mit seit den letzten Lebensmittelkrisen zunehmend argwöhnischen Verbrauchern. Und wäre Luxemburg nicht so klein und Meinungsführerschaft in Grundsatzfragen mitunter schnell zu haben; wäre es dem vorigen Wirtschaftsminister Robert Goebbels (LSAP) gelungen, im Rahmen der von ihm betriebenen industriellen Diversifizierung Biotech-Firmen ins Land zu locken, dann wäre wohl auch das Großherzogtum nicht einer der entschiedensten Fürsprecher strenger Regeln geworden. Den letzten Versuch, der Anwendung der Biotechnologie hier zu Lande zumindest eine Tür offen zu halten, unternahm Goebbels' Nachfolger Henri Grethen (DP), als er Anfang 2000 einen Gesetzentwurf über die Reform des Patentwesens vorlegte und darin versteckt die Übernahme der von einigen Mitgliedstaaten vehement kritisierten und sogar dem EU-Gerichtshof zur Prüfung vorgelegten Richtlinie über die Patentierbarkeit lebender Organismen unterbringen wollte. 

 

Auf Druck der Grünen wurde der seit der Euthanasie-Orientierungsdebatte arbeitslose parlamentarische Ethikausschuss reaktiviert; nicht nur Umweltschützer, sondern auch der Erzbischof schalteten sich in die Debatte ein, und das Parlament zwang die Regierung im Frühjahr letzten Jahres per Motion, sich in die Reihe derer zu begeben, die eine Neuverhandlung der Direktive fordern. Gleichzeitig verlangten die Fraktionen Einsatz für strenge Kennzeichnungs- und Rückverfolgbarkeitsregeln in den bereits laufenden Ratsverhandlungen. Vor diesem Hintergrund konnte Fernand Boden (CSV) kaum anders, als in der Runde der EU-Landwirtschaftsminister dafür einzutreten, alle Produkte mit einem Anteil genetisch veränderter Ogranismen ab 0,5 Prozent kennzeichnen zu lassen und damit beim Vorschlag des Umweltausschusses des Europaparlaments zu bleiben; EU-Kommission und Ratspräsidentschaft hatten ein Prozent angeboten - als Kompromiss kamen Ende November 0,9 Prozent heraus. Umweltminister Charles Goerens und Staatssekretär Eugène Berger (DP) trugen ihrerseits Mitte Dezember im Umweltministerrat die Forderung mit, dass dieser Prozentsatz durch Kontrolle des gesamten Warenstroms schon während des Produktionsprozesses gesichert und ein von Acker und Stall bis zur Ladentheke lückenloses System der Rückverfolgbarkeit  geschaffen werden soll. Zufrieden mit der Regierungsposition zeigt sich denn auch Greenpeace: die Umweltschützer hatten seit 1999 am stärksten für strengste Auflagen mobil gemacht.

 

Und sie brachten es in einer ein Jahr später gestarteten gezielten Kampagne fertig, nicht nur den gesamten heimischen Agrarsektor von den Bauernverbänden bis zu den Futtermittelhändlern genkritisch einzuschwören, sondern auch die Lebensmittelhändler. Soviel Konsens war selten zwischen Ökoaktivisten und noch den als am konservativsten geltenden Bauernvertretern. Nicht von ungefähr allerdings: Zwar besteht seit 1997 die europäische Novel Food-Verordnung und für Fertigprodukte ein Grenzwert von einem Prozent. Dass nach dem Willen der Agrarminister die Grenze auch für Futtermittel gelten soll, ist neu. Nicht nur Greenpeace, sondern auch die Administration des services techniques de l'agriculture (Asta) im Landwirtschaftsministerium hatte vorgerechnet, wie stark die Grenzwertziehung für die "Kontamination" von Futterpflanzen sich auf den Import auswirken würde. Käme etwa ein Grenzwert von 0,5 Prozent für Futtermaispflanzen zustande, würden 5,5 Millionen davon jährlich in Luxemburg freigesetzt. Angesichts europäischer Umfragen unter Verbrauchern, die zu 95 Prozent eine eindeutige Wahlfreiheit zwischen Endprodukten mit bzw. ohne genetisch veränderten Bestandteilen verlangten, und nachdem  über 60 Prozent der Luxemburger Lebensmittel mit genetisch manipulierten Zusätzen ablehnten, stellte sich in der Hoch-Zeit der europäischen Lebensmittelskandale die Frage nach dem Vertrauen in Erzeugnisse aus dem kleinen und fragilen heimischen Sektor ganz akut. Auch die Asta sah eine "Katastrophe" ab für den Fall, dass Lebensmittel made in Luxembourg nicht nur unter Befallsverdacht durch Krankheitserreger geraten könnten.

 

Noch könnten Jahre vergehen, bis die von den zuständigen Ministern vereinbarten Kompromisse in Kraft treten - das Europaparlament entscheidet demnächst in zweiter Lesung zunächst über den Verordnungsentwurf zu den Grenzwerten. Im Sommer hatte es mit großer Mehrheit für die 0,5 Prozent-Grenze plädiert. Täte es das erneut, stünde eine langwierige Vermittlung  mit dem Rat ins Haus. Solange bleibt das Moratorium über die Freisetzung genetisch veränderter Organismen in Kraft, zuvor steht die Reform der EU-Saatgutdirektive noch aus, in die der neu festgelegte Grenzwert ebenfalls übernommen werden müsste.

 

Dass sich bis dahin die Luxemburger Agrar- und Lebensmittelbranche auf die Option "Luxemburger Produkte sind genfrei" verständigen und sie als Markenzeichen zumindest innerhalb der Großregion vermarkten könnte, wurde schon andiskutiert. Nicht umsonst unterzeichneten von den beiden Biobauernverbänden bis hin zur Bauernzentrale sämtliche Organisationen im Herbst die Petition "Save our seeds". Kurz zuvor war bekannt geworden, dass in Frankreich - einem der Haupthersteller von Futtermais und wichtigstem Zulieferer für Luxemburg - ein an sich "genfreier" Maisanbau durch schwer nachzuweisende Kreuzkontaminationen der Saat plötzlich stark belastet worden war. Und das trotz der in der französischen Maisproduktion geltenden Selbstverpflichtung auf maximal ein Prozent genmanipulierten Anteils.

 

In ihrer starken Abhängigkeit von ausländischen Zulieferern besteht für die Luxemburger Agrarbranche das große Handicap: Mangels eigenen Anbaus und vor allem mangels geeigneter Verarbeitungsbetriebe ist man nahezu komplett auf Futtermittelimporte angewiesen. Wie beim französischen Mais profitiert man bei der Einfuhr von Sojaschrot zur Tiermast auf die von Belgien im Alleingang getroffene Zertifizierungsregel, wonach maximal ein Prozent genetisch veränderter Betandteile in den Sojaerzeugnissen enthalten sein dürfen. Bereits bei der Überseeverschiffung der Herkunft nach genfreier Soja aus Brasilien aber sind Verunreinigungen möglich, und beim Weitertransport vom Antwerpener Hafen zu den Verarbeitungsbetrieben und weiter zu den Abnehmern potenziert sich das Kontaminationsrisiko. Bei aller angestrebten Kontrolle in den Produktketten sind Störfälle immer möglich. Wie drastisch sie ausfallen können und wie kritisch die Frage nach der Rückverfolgbarkeit der Produktionsketten ist, belegte vor zwei Jahren ein Test des Bayerischen Landesamts für Lebensmittelüberwachung an 4 000 mais- und sojahaltigen Waren vom Knabbergebäck bis zum Maismehl, für die schon laut Novel Food-Gesetzgebung das Ein-Prozent-Limit gilt: Jede zehnte Probe war übermäßig mit genetisch veränderten Bestandteilen versehen. Sogar in fünf Bioprodukten, die den Bio-Richtlinien nach völlig frei davon sein müssten, wurde genetisch manipulierte Soja und Mais gefunden, in zwei Fällen mit einem Anteil von vier bzw. zehn Prozent.

 

Solche Tests aber sind in Luxemburg derzeit überhaupt nicht möglich. Zwar soll nach dem Willen der EU-Kommission ein Netzwerk zertifizierter Labors entstehen. Auch das geplante neue Staatslaboratorium soll Aufgaben in der Lebensmittelkontrolle übernehmen. Noch aber schickt etwa die Merscher Silozentrale ihre an Futtermittellieferungen genommenen Stichproben zur Analyse nach Holland. Schon, weil wenigstens zehn Tage bis zum Befund vergehen, können systematische Erhebungen nicht gemacht werden, und die 200 bis 250 Euro pro Test sind für den Merscher Bauernzentralen-Betrieb "viel Geld". Über eine Kofinanzierung aus dem EU-Haushalt wird erst noch verhandelt. 

 

Einzige Alternative: ein nationales Monitoring, an dem sich Bauernbetriebe, Futtermittelhändler, Lebensmittelbetriebe und auch Supermärkte finanziell beteiligen. Tatsächlich war man dieser Lösung - wenn auch hinter verschlossenen Türen - vor zwei Jahren schon mal ganz nahe. BSE, MKS [&] Co. hatten es möglich gemacht.  

 

Peter Feist
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