Interview mit Landwirtschaftsminister Fernand Boden (CS) über die EU-Agrarreform

"Impulse müssen von den Bauern kommen"

d'Lëtzebuerger Land du 27.08.2003

d'Lëtzebuerger Land: Jacques Chirac drohte auf dem EU-Gipfel von Thessaloniki, er werde die EU-Agrarreform mit einem Veto blockieren, weil sie "lebenswichtige Interessen" Frankreichs berühre. Sie hatten den Reformplan von EU-Agrarkommissar Fischler schon im letzten Sommer als "Katastrophe" bezeichnet. Hätten Sie ebenfalls zum Veto gegriffen?

 

Fernand Boden: Nicht nur Frankreich und Luxemburg, sondern mindestens acht weitere Mitgliedstaaten meinten, so, wie von Franz Fischler vorgeschlagen, könne es nicht gehen. Damit war für eine Mehrheit eine totale Entkopplung der Agrarbeihilfen von der Produktionsmenge nicht akzeptabel. Hinzu kam, dass die EU-Kommission starke Preissenkungen für Getreide und Milch durchsetzen wollte.

 

Was war so schlecht an Fischlers Idee, keine Beihilfen mehr für überschüssige Getreideberge und zuviel geschlachtete Tiere zu zahlen, den Bauern stattdessen eine Pauschale zukommen zu lassen, so dass sie produzieren können, was und wie viel in der Tat auf dem Markt nachgefragt wird?

 

Im Ansatz ist das nicht falsch. Wahr ist auch, dass es nicht nur einzelne Betriebe, sondern mitunter ganze Produktionszweige gibt, die nicht rentabel arbeiten und auf öffentliche Mittel angewiesen sind, insbesondere in benachteiligten Gebieten. Aber dieses Problem hätte die Agrarreform in ihrer ursprünglichen Fassung nicht gelöst. Es ging nicht darum, den aktiven Landwirten ein Pauschalgehalt zu geben. Das wäre besser gewesen. Sondern es sollte geprüft werden: Welche Beihilfen hat der Betrieb zwischen 2000 und 2002 bekommen, und wieviel Hektar Fläche hatte er. Daraus wäre zwar eine Pauschale entstanden, doch gleichzeitig auch eine flächenbedingte Prämie, weil der Betrieb pro Hektar Jetons im Wert von soundsoviel Euro bekommen hätte. Diese Jetons sollten handelbar sein. Gerade bei uns, wo viele Landwirte auch Pächter sind, hätte es bedeutet, dass auf jeder Parzelle andere Jeton-Werte liegen können, was kaum zur Vereinfachung des Systems beigetragen hätte: Ein Bauer, der seine Produktion einstellen will, ist Besitzer der Jetons und kann sie verkaufen. Wer aktiv sein und zusätzliches Land kaufen oder pachten will, muss Jetons zukaufen, um rentabel arbeiten zu können. So ein System ist ungerecht - das war für mich ein wichtiger Punkt -, und es bevorteilt zudem jene Gegenden und Betriebe, die schon gut dastehen und in der Vergangenheit hohe Prämien bezogen. Es könnte gut sein, dass in einem Produktionsbereich, der wichtig ist, zu schnell zu viele Betriebe zusammenbrechen und das unabsehbare Folgen für vor- und nachgelagerte Betriebe haben kann; wiederum vor allem in landwirtschaftlich benachteiligten Gebieten.

 

Der Reformkompromiss, zu dem der Ministerrat Ende Juni fand, sieht nur noch eine Teilentkopplung vor. Ist sie gerechter?

 

Der Kompromiss kam zu Stande, weil die Getreidepreise nun doch nicht gesenkt werden sollen, die Milchpreise weniger stark fallen werden als anfangs verlangt und die Milchbetriebe für diese Preissenkung stärker entschädigt werden. Auch die produktionsbeschränkenden Milchquoten werden nicht erhöht, sonst wären die Preise unter zusätzlichen Druck geraten. Was die Entkopplung der Beihilfen betrifft, hat der Kompromiss immerhin den Vorteil, dass er den Mitgliedstaaten Flexibilität einräumt. Sie können in gewissen Grenzen selbst entscheiden, wo sie entkoppeln und wie viel. Man kann jetzt eine einheitliche Prämie für Ackerflächen festlegen, eine für Grünflächen, und wenn man will, sogar eine einheitliche für alle Flächen. Bei Ackerkulturen dürfen höchstens 20 Prozent der Beihilfen an die Produktion gekoppelt bleiben. Das ist für uns kein unüberwindliches Problem; die 20-prozentige Kopplung bringt so wenig ein, dass im Luxemburger Ackerbau mit Ausnahme des Saatguts total entkoppelt werden kann. Im Tierbereich ist es problematischer. Wir werden zwischen fünf Optionen wählen können, nach denen abgestufte Entkopplungen von Beihilfen für die Haltung von Mutterkühen und/oder Stieren möglich sind. Auch die Schlachtprämie von derzeit 80 Euro pro geschlachtetes Tier könnte beibehalten werden; wiederum abhängig davon, wieviel Beihilfen in der Mutterkuhhaltung an die Produktion gekoppelt bleiben.

 

Das klingt kompliziert.

 

Das ist es auch. Leider zeigten Herr Fischler und die Kommission erst drei Wochen vor dem Kompromiss größere Verhandlungsbereitschaft, sonst hätte man länger nach besseren Lösungen suchen können. So aber muss nun jede Regierung abwägen, welche im Kompromiss vorgesehene Möglichkeit für sie die beste ist.

 

Was wird Ihr Ministerium tun?

 

Das ist noch nicht entschieden. Wir diskutieren mit den Berufsverbänden über die beste Lösung.

 

Auch die Luxemburger Landwirtschaft ist in ihren beiden wichtigsten Sektoren an der Überproduktion beteiligt. Sie produziert dreimal mehr Milch, als im Land nachgefragt wird, und beim Rindfleisch um 50 Prozent über den Eigenbedarf hinaus. Gleichzeitig sind unsere vier Schlachthöfe so schlecht ausgelastet, dass im Grunde zwei genügten. Kann Druck aus Brüssel nicht hilfreich sein, damit bei uns der Strukturwandel weitergeht?

 

Was wir an Überschüssen produzieren, exportieren wir in die Großregion oder auf den EU-Binnenmarkt.

 

Das versuchen die anderen aber auch.

 

Ich will nicht behaupten, dass die Agrarreform keine Herausforderung für die Bauern wäre. Den Strukturwandel aber gibt es bei uns schon seit längerem. In den letzten Jahren war der Konzentrationsprozess bei uns stärker als anderswo in Europa. Wenn die Luxemburger Betriebe in einigen Sektoren über unseren Eigenbedarf hinaus produzieren, dann hat das auch etwas mit ihrer Leistungsfähigkeit in diesen Bereichen zu tun. Der Markt gibt die Antwort, ob die Produkte sich absetzen lassen oder nicht.

 

Aber wollen wir nicht auch mit unserem 2000 verabschiedeten Agrargesetz eine Diversifizierung der Produktion, und ist die nicht bisher zu gering? Wenn Luxemburg über knapp 19 000 Mutterkuh-Quoten verfügt, aber noch immer rund 26 000 Mutterkühe gehalten werden, dann hat die Attraktivität der Rinderproduktion nicht abgenommen. Eigentlich aber hätten wir doch gern mehr Schweinehaltung, mehr Geflügel, mehr Obst- und Gemüseanbau?

 

Aber ob die Entkopplung der Beihilfen dabei helfen kann, weiß ich nicht. Franz Fischler meint, sie würde die extensivere Produktion fördern, da europaweit weniger Tiere gehalten und so die Preise steigen würden. Beim Rindfleisch langfristig um sieben Prozent. Das kann so kommen, muss aber nicht. Förderung der Extensivierung ist allerdings Konsens seit der agrarpolitischen Agenda 2000, und bei uns ist das Agrargesetz ein guter Rahmen dafür. Wahr ist, dass er noch zu wenig genutzt wird. Im Schweinebereich ist noch viel drin. Als einziges EU-Land dürfen wir Investitionen für die Haltung von zusätzlichen 10 000 Schweinen kofinanzieren. Schinken der Marque nationale ist ein großer Renner, von dem so gut wie alles hier im Land verbraucht wird; die Produktion ließe sich womöglich ausbauen. Der Geflügelsektor liegt so gut wie brach, aber man sieht, dass die Nachfrage nach zertifiziertem Qualitätsgeflügel z.B. aus Frankreich groß ist und die Kunden dafür auch mehr bezahlen. Wir sehen, dass von Rindfleisch in Luxemburg vorwiegend edlere Stücke nachgefragt werden. Was dazu führt, dass zu viele Schlachtkörperreste ins Ausland verschleudert werden und von da teilweise in Form von Wurst zurückkommen. Es gibt seit längerem schon Überlegungen, den Überschuss etwa in eine artisanale Wurstfabrikation im Lande umzulenken.

 

Warum klappt das alles nicht?

 

Wenn man verstärkt artisanale Wurst machen will, müssen Bauern, Schlachthäuser und Metzger zusammenarbeiten und Synergien aufbauen. Wenn man Qualitätsprodukte herstellen will, muss man Qualitätslabels schaffen, die man offensiv vermarktet, und man muss den Verbrauchern klar sagen: So wurde das Tier aufgezogen, das hat es gefressen und das nicht, und daraus folgt eine bestimmte Qualität, die auch kontrolliert wird. Es gibt dafür einige Ansätze. Die Marque nationale ist nur ein Beispiel. Ein weiteres ist die Initiative Gläserne Landwirtschaft. Da geht es um Qualitätsbrot, Grundstoffe und Produktion von der Saat auf dem Getreidefeld über die Mühle und den Bäcker bis zum Ladentisch sollen transparent gemacht und mit einer Qualitätsgarantie versehen werden. Es ist aber nicht Sache des Staates, neue Sektoren zu erschließen. Es braucht stets den Produzenten, der bereit ist, die unternehmerische Initiative zu ergreifen. Doch im Moment denkt jeder, Milchproduktion, das ist es, und will da bleiben.

 

Weshalb waren Sie dann von Anfang an gegen Fischlers Beihilfenentkopplung? Er wollte ja nicht nur Druck hin zu neuen Sektoren erzeugen, er wollte vor einem Jahr sogar 20 Prozent der durch Entkopplung eingesparten Beihilfen in die so genannte "zweite Säule" des EU-Agrarhaushalts lenken: in die Entwicklung des ländlichen Raumes, die Extensivierung und Qualitätsproduktion kofinanziert?

 

Dass man mit Entkopplung lenkend eingreifen kann, bestreite ich nicht. Das werden wir mit den Möglichkeiten, welche die teilweise Entkopplung bietet, auch tun. Und wir werden einigermaßen flexibel agieren können, das macht den Unterschied aus. Mehr Geld für die "zweite Säule" habe ich immer begrüßt. Leider ist von den anfangs 20 Prozent am Ende nur eine Steigerung von drei, vier bzw. fünf Prozent übrig geblieben, verteilt auf die Jahre 2005 bis 2007. 

Man darf aber nicht vergessen, dass unsere nationalen Finanzierungsmöglichkeiten bereits heute sehr weit gehen. Im EU-Agrarbudget sind derzeit zehn Prozent für die Entwicklung des ländlichen Raumes mit Extensivierungs- und Qualitätsförderung vorgesehen. Bei uns sind es fast 50 Prozent. Dazu zählt auch die Kofinanzierung von Agrar-Umweltprogrammen, von Biogasanlagen, ländlichem Tourismus oder dem Energiepflanzenanbau. Wir sind da durchaus Vorreiter.

 

Die Beihilfen sind kürzlich auch vonseiten des Europäischen Rechnungshofs unter Druck geraten. In einem Sonderbericht heißt es, die seit 1975 gezahlten Ausgleichsprämien für benachteiligte Gebiete würden nicht ausreichend kontrolliert. Luxemburg ist zu 98 Prozent benachteiligt - brauchen wir eventuell doch eine regelrechte Strategie zur Einkommenssicherung unserer Bauern?

 

Europas Agrarpolitik war immer gemeinschaftlich orientiert. Will man überall Landwirtschaft haben, muss man auch anerkennen, dass es benachteiligte Gebiete gibt und Betriebe, die auf weniger ertragreichen Böden wirtschaften.

 

Das gilt in Luxemburg aber nur auf zwei Prozent der Fläche. Zu 96 Prozent gilt es wegen der geringen Einkommen als benachteiligt. Der Rechnungshof sagt, 1975 lag das Durchschnittseinkommen eines Luxemburger Landwirts 20 Prozent unter dem Schnitt der EU-Bauern. Im Jahr 2002 um 20 Prozent darüber.

 

Man kann das Einkommen eines Luxemburger Landwirts nicht mit dem eines spanischen vergleichen. Täte man das und würde die Ausgleichsprämie danach ausrichten, müssten die meisten unserer Bauern morgen aufhören. Man muss auch dem Fakt Rechnung tragen, dass hier zu Lande die Durchschnittseinkommen der anderen Berufsgruppen höher sind als in den anderen Ländern und dasjenige der Landwirte weit übertreffen. Die EU-Kommission hat das bisher Gottseidank immer anerkannt. Es stimmt auch nicht, dass die Ausgleichsprämien seit 1975 nicht mehr kontrolliert worden wären. Das geschah anlässlich jeder Agrarreform und jetzt ebenfalls wieder. Wir haben es sicherlich zunehmend schwerer, unsere Situation mit Zahlen zu belegen, und wir müssen uns gegen wachsenden Druck verteidigen. Bisher ging das gut aus, und bis zur nächsten größeren Reform ist es ausgestanden.

 

Ihr Ansatz war stets, in Brüssel soviele Prämien wie möglich für die Bauern herauszuschlagen. Müsste der Staat nicht doch vorsorgen, damit das nicht plötzlich zum Bumerang wird?

 

Die entscheidenden Impulse zur Umstrukturierung müssen aus dem Beruf selbst kommen. Wenn die wirtschaftliche Lage schwieriger wird und man handeln muss, wird man sich auch stärker bewegen. In den nächsten Jahren wird die Milchproduktion weniger rentabel werden. Das ist aber nicht erst durch die jüngste Reform gekommen, die Agenda 2000 war vor vier Jahren ein viel tieferer Einschnitt.

Inzwischen müssen wir die Weiterbildung der Bauern und ihre Beratung noch verbessern. Die Synergiesuche darf sich nicht allein auf Produktion und Vermarktung beschränken. Noch immer wird bei uns viel in Ställe und Maschinen investiert, und zwar mehr als in anderen Ländern. Da muss man sich fragen, ist es nicht vielleicht des Guten zuviel? Die Fuhrparks sind zum Teil groß, womöglich könnte man sie stärker gemeinschaftlich nutzen, wie es schon innerhalb des Maschinenrings geschieht. Ich behaupte weiterhin, dass der von der Regierung gesetzte Rahmen gut ist und viele Nutzungsmöglichkeiten bietet. Wir wissen, derzeit leiden die Landwirte unter der Trockenheit. Wir sind dabei, mit ihnen eine Multi-Risiko-Versicherung aufzubauen, die wetterbedingte Ertragseinbußen ausgleicht. 50 Prozent der Versicherungsprämie sollen vom Staat übernommen werden. Das ist auch ein wichtiger Schritt zur Einkommenssicherung.

 

Peter Feist
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