Und dann reden wir über Gas mit ihm

Putin allein zuhaus

d'Lëtzebuerger Land vom 21.03.2014

Was geht in ihm vor, Herr_in Doktor? Er schaut ein bisschen trotzig-störrisch. Finden Sie nicht auch, Herr_in Verhaltenstherapeut_in? Oder ist das schon Autismus? Was haben wir falsch gemacht? Hätte man ihn nicht besser integrieren können? Wir waren doch schon so weit, die Behandlung hatte doch schon angeschlagen. Haben wir Fehler gemacht, Herr_in Doktor, welche?

Er ist ja so sensibel. Die blöden Bemerkungen, er sei klein, er brüste sich mit seiner Heldenbrust, er würde mit toten Tieren posieren. Als hätten je große Männer die Welt weiter gebracht. Die Energie konzentriert sich in den Mini-Männern viel intensiver, deshalb sind sie ja so dynamisch. Wie schaut denn Lulatsch Obama bei einem Telefonat über Krieg und Frieden aus? Lässig, entspannt. Zu lässig, eindeutig.

Was geht in dem kleinen Mann vor, den niemand liebt, außer seine Millionen Russ_innen? Vielleicht haben wir ihn nicht verstanden, vielleicht waren wir nicht putinempathisch genug. Wir haben uns ja nie wirklich in ihn hinein versetzt. Herr Russenexperte, stimmt das, was manche sagen, dass der Herr Putin nicht von dieser Welt sei? Nein, ihr Nicht-Russen- Expert_innen, das stimmt ganz und gar nicht. Herr Putin ist sehr wohl von dieser Welt. Aber seine Welt ist eben zusammengebrochen, und dieses Trauma hat er bis heute nicht verarbeitet. Er hat einen schweren Sowjetunionphantomschmerz. Das wird jetzt erst thematisiert. Und dann reden wir über Gas mit ihm.

Und Eurasien gönnt man ihm auch nicht. Er braucht dringend einen Spielraum. In Sotschi war er so ein charmanter Gastgeber.

Es ist wirklich kein Wunder, dass Wladimir Putin überreagiert. Nach allem, was er mitmacht. Junge Frauen hüpfen in lächerlichen Klamotten oder ohne vor Altären herum. Sie zücken schreiend ihre Brüste. Sie schreien nach westlichen Werten, die nicht mal was wert sind. Dafür liken wir sie überschwänglich. Und auch die Schwulen und Lesben und alle menschenmöglichen Geschlechter, die mit Regenbogenfahnen statt mit Russenflaggen herumlaufen, liken wir viel mehr als ihn, über den wir höhnen, auch wenn er sich so bemüht und reitet und uns seinen Oberkörper zeigt. Und Frau Power redet in der Uno extrem unsensibel. Der luxemburgische Außenminister, der den Charme des Bonvivants mit knallharter, luxemburgischer Rhetorik betörend mischt, schimpft aber nicht wie mit der Schweiz. Er sagt, das ist jetzt eben so. Das mit der Krim. Das ist Realpolitik.

Müssen wir denn jetzt trotz allem miteinander können, Herr Russenexperte? Ja, wir müssen können. In Russland furzt die Erde, bei uns leider nicht, die Amerikaner fracken, wir nicht. Und was wäre, wenn der Russe oder die Russin in unseren Alpen nicht mehr komasaufen und an unseren Küsten nicht mehr Schalentiere mit Perlen verspeisen würde? Und sie nicht mehr durch unsere Städte stöckelnstapfen würden, er ein echter Mann, sie eine Vollblutfrau mit Backenknochen und allem drum und dran, und das auch noch in Pelz? Was dann? Und nicht mehr in unseren besten Villen in unseren besten Gegenden residieren würden, fürstlich, aber diskret? Und sie zahlen sogar beim Juwelier!

Aber eine Strafe muss es ja geben, Herr_innen Philosoph_innen, Völkerrechtler_innen, lieber Gott, das geht ja nicht so, in diesem Jahrhundert auch noch. Das kann man dem doch nicht durchgehen lassen, wenn das jeder machen würde. In diesem Jahrhundert auch noch, das zwar noch jung ist, doch wer weiß, auf was für Ideen es noch kommt. Irgendwas, Herr_in Erziehungsexpert_in, wird und muss uns ja noch einfallen, damit die nicht weiter einfallen, in Gebiete und dort gebieten.

Aber Obama telefoniert ja. Wir bleiben in Kontakt. Und Catherine Ashton hat auch gesagt, das man das nicht tut. Heutzutage! So was von out.

Vielleicht verstehen wir Putin jetzt ein bisschen besser. Aber wenn wir jetzt Putinversteher_innen sind, müssen wir wieder aufpassen, dass wir nicht als Putinversteher_innen diskriminiert werden. Und übrigens, par Dieu!, wie noch Katharina die Ziemlich Große geschrien hätte: Wo ist eigentlich Gérard?

Michèle Thoma
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