Tomasz Domanski heißt der Luxemburger Young tax professional of the year 2017. Ein Porträt

Jung, ledig, Fiskalist

Tomasz Domanski heißt der Luxemburger Young tax professional of the year 2017.  Ein Porträt
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 21.07.2017

Tomasz Domanski ist 23 Jahre jung und wurde vor wenigen Wochen zum Young tax professional of the year gekürt. Eine deutsche Übersetzung für den Wettbewerb, den die Unternehmensberatungsfirma E&Y jedes Jahr weltweit organisiert, scheint auch ihr nicht eingefallen zu sein. Ist ein tax professional ein Steuerberater? Ein Steuerexperte? Mit Anfang 20? Protestiert man da nicht mit Dreadlocks gegen die Globalisierung statt sich Gedanken über die optimale Steuerstrukturierung globaler Konzerne zu machen?

Tomasz Domanksi trägt einen dunkelblauen Anzug, der eng genug geschnitten ist, um ein modisches Augenzwickern an die Hipsterkultur zu schicken, aber nicht so eng, dass man damit unseriös wirken würde. Dazu eine hellblau-weiß gepunktete Krawatte, die Mut zu Individualität ausdrückt, und blankgeputzte schwarze Schuhe. Die Zahnspange bricht den Corporate-Look ein wenig und lässt ihn noch jünger wirken als er tatsächlich ist.

Der junger Luxemburger Steuerexperte des Jahres ist eigentlich Pole und stammt aus Rumia in der Nähe von Gdansk. Er ist angehender Jurist und studiert Rechtswissenschaften an der Universität von Lodz. Im dritten Studienjahr kam er über das Erasmus-Programm nach Luxemburg, um ein LLM (Jura Master) in europäischen und internationalen Steuerrecht abzulegen. Die meisten Kommilitonen gingen in den sonnigen Süden nach Spanien. Er entschied sich für Luxemburg, weil die Uni viele Kurse in Finanz- und Steuerrecht anbietet. Und weil er sein Französisch verbessern wollte. Oder besser gesagt, überhaupt lernen wollte: Ohne ein Wort Französisch war Paris keine Option. Und an der Uni Luxemburg gibt es viele Kurse in Englisch.

Der Umzug nach Luxemburg? „Es war ein Schock“, sagt Domanski mit weit geöffneten Augen. Dass das Land und die Stadt so klein sind, hatte er nicht erwartet. Lodz ist eine Stadt mit 700 000 Einwohnern, also mehr als Luxemburg insgesamt zählt. Das erste Jahr wohnte Domanski in Esch, er hat weder Führerschein noch Auto, die tägliche Pendelei mit dem öffentlichen Transport zur Rechtswissenschaftlichen Fakultät in die Hauptstadt empfand er als Plage, da hat er sich dem Luxemburger Empfinden schnell angepasst.

Als eines von drei Kindern kam Domanski durch die zehn Jahre ältere Schwester zum Jurastudium. Sie ist die erste Akademikerin in der Familie, er der zweite, der einen Uniabschluss macht. Er hat der Schwester zugehört, wenn sie über Studium und Arbeit sprach und sie beobachtet in ihrer Robe. Das faszinierte ihn, seine Augen leuchten hinter den Brillengläsern, wenn er von seinem Vorbild spricht. Das Steuerecht als Disziplin hat er für sich im zweiten oder dritten Studienjahr entdeckt. „Es ist sehr technisch“, sagt er, „sehr detailorientiert, je mehr man eintaucht, umso interessanter wird es.“ Auf komplexe Problemstellungen Lösungen zu finden, bereitet ihm Spaß; das merkt man, wenn er vom Wettbewerb erzählt, während dem die Kandidaten binnen einer vorgeschriebenen Zeit konkrete Fälle bearbeiten müssen.

Er hat das Steuerrecht aber auch per Ausschlussverfahren gewählt. Als Praktikant in einer Rechtsberatung für Leute, die sich keinen Anwalt leisten können, war er mehr menschlichem Leid ausgesetzt, als er vertragen konnte. „Es kamen Gewalt­opfer zu mir, die erzählten, wie sie geschlagen wurden.“ Ihr Schicksal verfolgte ihn nach Feierabend, das Grübeln konnte er nicht abstellen. Das laugte ihn emotional so aus, dass er entschied, sich eine andere Disziplin als das Strafrecht zu suchen. Domanskis Schwester ist Wirtschaftsjuristin. Er suchte eine bessere „Work-life balance“, etwas, wo er nach der Arbeit abschalten und „die Freizeit genießen“ kann. Da schien ihm die Steuererklärung von Unternehmen geeigneter.

Viel Freizeit hat der junge Steuerexperte Domanski allerdings nicht. Nach seinem Erasmus-Jahr hat er halbtags als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni gearbeitet, quasi zwei Thesen gleichzeitig geschrieben. Seit er im März in eine Studenten-WG in Neudorf umgezogen ist, fühlt er sich wohler in Luxemburg, obwohl er kaum ausgeht, keine Konzerte besucht oder ins Theater geht. Die Uni Lodz ist Mitglied im Netzwerk Eucotax, deshalb hat er öffentliches Reden geübt und er fährt zu Veranstaltungen, wo er mit anderen Studenten bei Konferenzen Fälle analysiert. „Meine Bekannten sagen: ‚Du reist ständig. Aber es ist immer für die Arbeit oder fürs Studium.’“ Der Alltag eines erfolgreichen jungen Fiskalsiten ähnelt verdächtig dem eines erfolgreichen älteren Steuerberaters.

Seine These an der Uni Lodz handelt von der polnischen Steuerverwaltungspraxis, der Handhabung von Rulings. „Die Steuerpraxis ist dort vollkommen anders“, sagt er. „Die polnischen Behörden zeichnen keine großzügigen Steuerbescheide ab“, hat er festgestellt. Da können Konzerne nicht wie in Irland ein oder gar nur ein halbes Prozent Steuern sparen. Auch im jungen Steuerexperten des Jahres steckt ein Körnchen Idealismus. Er glaubt, dass es möglich ist, ein Steuersystem zu finden, das für alle gerecht ist. Dabei kommen ihm Schlagwörter wie Beps ganz natürlich über die Lippen, mit der EU-Richtlinie über den Austausch von Steuer-Rulings scheint Domanski vertraut wie andere Jugendliche mit ihrer Lieblingsband.

Der Master-Student joggt und sieht gerne Filme. Vor allem „legal dramas“, wie die Serie Suits. Darüber muss er selbst ein wenig schmunzeln und fügt hinzu, dass er seine Schwester zum Geburtstag ins Kino ausgeführt hat. Sie wollte einen Anwaltsfilm sehen. „Wirklich??“, hat er sie gefragt. „Du bist Anwältin, ich bin Jurist und wir sehen uns einen Anwaltsfilm an?“ Wenn er das erzählt, animieren sich die Gesichtszüge und die Körperhaltung lockert sich. Ansonsten wirkt Domanski ein wenig auf der Hut. Er beugt beim Sprechen den geraden Rücken nach vorn, die Hände hat er zusammengefaltet und zwischen den Beinen eingeklemmt. Dann ist es weniger offensichtlich, dass sie vor Aufregung etwas zittern.

Auch der Unterricht an der Uni Luxemburg „war ein Schock“. Der größte Unterschied besteht darin, dass die Studenten die Bücher mit ins Examen nehmen dürfen und dann nachschlagen können, wie konkrete Fälle gelöst werden können. Wie im richtigen Leben, wo die Praktiker auch die Fachliteratur zur Hand nehmen können. „In Polen sagt man dir: Lern das jetzt auswendig!“ In Polen sind Master-Arbeiten im Schnitt 60 Seiten lang. Seine These über die polnische Steuerpraxis, die er diesen Herbst einreicht, umfasst jetzt 48 Seiten. „Inhaltlich gut“, hat sein Professor gesagt, „aber sie ist zu kurz.“ Also muss er zwölf Seiten zusätzlich schreiben. Das praxisorientierte System sei auch für die italienischen Kollegen eine Offenbarung gewesen, erzählt er. Das Studium, den Aufenthalt in Luxemburg bereut er nicht.

Im November kehrt Domanski zurück, dann fängt er bei Deloitte Luxemburg als Steuerberater an. Er hofft, wieder eine Wohnung im Zentrum zu finden, vielleicht wieder eine WG, denn wenn er über die Grenze ziehen müsste, wäre das mangels Führerschein unangenehm. Den Job hatte er schon in der Tasche, bevor er den Wettbewerb von E&Y gewann. Ob er weiß, dass man als Steuerberater dieser Firmen, jene Art Steuer-Rulings vorbereiten muss, die er aufgrund des niedrigen effektiven Steuersatzes als ungerecht empfindet? Er verweist auf Beps und die Richtlinien, spricht von Auslegung der Gesetze. Für immer in Luxemburg bleiben will er nicht, der erste Job als Steuerberater ist ein Schritt auf der Karriereleiter, wo es danach hingeht, weiß Domanski noch nicht. Zurück nach Polen? Der Frage nach der politischen Situation weicht er aus. In Rumia sei es sehr schön, sagt er, und Warschau eine große, moderne Stadt. Ob er zurückkehrt oder nicht, macht er von der Karriere abhängig. „Und davon, wie sich die politische Situa­tion entwickelt“, fügt er hinzu, ohne zu bewerten, in welche Richtung die Entwicklung gehen sollte.

Das Steuersystem in Luxemburg sei besser als in Polen, sagt er abschließend. Hier würde man erst Strukturen schaffen, gingen sie zu weit, frage man danach um Entschudigung. In Polen müssten sich die Steuerzahler die gesetzlich festgelegten Vergünstigungen vor Gericht erkämpfen. Das sei nicht förderlich fürs Wirtschaftsklima. So hält der junge Pole die Luxemburger für die besseren Katholiken: erst sündigen, dann um Verzeihung bitten.

Michèle Sinner
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