Neue Milchquotenregelung

Was der Bauer nicht kennt

d'Lëtzebuerger Land du 24.02.2000

"Skandalös", lautet das Urteil der Bauernzentrale zum Milchquotenregelement, das Landwirtschaftsminister Fernand Boden (CSV) Ende Januar vorgelegt hat. Lucien Haller, Generalsekretär der mitgliederstärksten Bauerngewerkschaft, sagt schwere Zeiten voraus, sollte das Projekt in dieser Form realisiert werden: "Dann wird ein Bauer gegen den anderen aufgebracht." In einer am Dientag verbreiteten Resolution wird die Regierung aufgefordert, die Alternativvorschläge zu berücksichtigen, die die Bauernzentrale ausgearbeitet hat. Am heutigen Freitag soll sich der Regierungsrat mit dem Thema befassen. Wie man zu den Forderungen der Bauernzentrale steht, war aus dem Landwirtschaftsministerium vor der entscheidenden Sitzung des Regierungsrats nicht zu erfahren. Fest steht aber: die Zeit drängt. Ab 1. April muss die neue Milchquotenregelung als Bestandteil der EU-Agenda 2000 in Kraft treten.

 

Wie so oft bei der Umsetzung europäischer Beschlüsse, bleibt auch diesmal in Luxemburg nicht viel Spielraum für Diskussionen. Ganz gut leben mit dem Vorschlag aus dem Hause Boden können allerdings drei andere Bauernverbände, die Baueren Allianz, der Fräie Lëtzebuerger Bauereverband und Jongbaueren a Jongwënzer. Komplizierte Welt.

 

Eingeführt wurden die Milchquoten europaweit im Jahre 1984. Um zu verhindern, dass die EG-Landwirte in nicht absetzbaren "Milchseen" ersaufen, und trotzdem einen akzeptablen Abnahmepreis zu garantieren, legte die Europäische Kommission für jedes Mitgliedsland Obergrenzen fest. Von wenigen Korrekturen abgesehen, sind diese Limits bis heute konstant geblieben. Für Luxemburg bedeutet das: Derzeit dürfen pro Jahr 267 Millionen Kilogramm Milch produziert werden. So weit so gut. Damals erhielt jeder Bauernbetrieb jene Milchmenge, die er 1984 herstellte, als Referenzmenge zuerkannt. Diese Referenzmenge bildete die so genannte Basisquote.

 

Doch während diese Quote für die Milchbetriebe ein Produktionsrecht garantieren sollte, wurde sie mit den Jahren immer mehr zu einem Kapital. Bauern, die aus der Milchproduktion ausschieden, konnten ihre Quoten verpachten. Doch da die Verpachtbarkeit an verschiedene Bedingungen geknüpft war, bot sie Raum zur Spekulation. Hinzu kam die Landbindung der Quoten: Wer Milchquoten pachten wollte, musste ein Stück Land mit erwerben. Und Ende der Achtzigerjahre war es die Regierung selbst, die den Milchquoten zu einem weiteren Schub an Kapitalcharakter verhalf: Über mehrere Jahre hinweg versuchte sie in einer Aufkaufaktion Milchquoten von den Bauern zu erwerben, um damit eine Nationalreserve zu füllen, die später strukturpolitische Maßnahmen ermöglichen sollte. Den Preiswünschen potenziell verkaufswilliger Bauern kam sie damals weit entgegen und zahlte bis zu 30 Franken pro Quoten-Kilogramm. Steuerbefreiungen gab es obendrein. Tatsächlich konnten aus der Nationalreserve Unterstützungsmaßnahmen bestritten werden: Junge Landwirte, die sich als als Milchbauern neu etablieren wollten, erhielten 23 800 Kilogramm Quoten-Bonus, in benachteiligten Regionen gab es 50 000 Extra-Kilo. Konfliktstoff aber bargen diese  so genannten Zusatzquoten auch: Sie waren ebenfalls verpachtbar, wenn der Betrieb seit wenigstens 15 Jahre bestand. Andernfalls wären sie wieder der Nationalreserve zugefallen. Clevere Bauern gehen seitdem Scheinfusionen ein, um die Zusatzquoten für sich zu retten: Sie gründen mit einem anderen Betrieb eine Gesellschaft, teilen sich erklärtermaßen die Ställe. Der Haken dabei: Ob der Partner wirklich Milchwirtschaft betreibt und nicht etwa den Hauptteil seines Einkommens durch eine ganz andere Tätigkeit verdient, prüft niemand nach. Die Quotentransfers über Pacht wurden von einem staatlichen Quotenpool realisiert, doch der wurde, so sehen die Bauernzentrale und die Landwirtschaftskammer das, immer wieder übergangen.

 

Fernand Bodens neuer Milchquotenentwurf zielt in die Richtung, reinen Tisch zu machen. Die Quoten sollen in Zukunft frei handelbar sein, abzüglich zehn Prozent für die Nationalreserve, 15 Prozent ab 2002. Fusionen sollen strikten Auflagen unterliegen. Doch die freie Handelbarkeit der Quoten ist für die Bauernzentrale eine Horrorvision: Weil es viel mehr Interessenten am Quotenkauf gebe als Anbieter, werde ein Preiskrieg entstehen. Bis zur Relation eins zu zehn verhalte sich das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, und unter ihren Mitgliedern, so die Bauernzentrale, würden schon Preisvorstellungen von 60 bis 70 Franken pro Quoten-Kilo kursieren - obwohl der Minister nur 14 Franken empfiehlt. Deshalb schlägt die Bauernzentrale die Einrichtung eines Office national du lait vor. Es soll über die Quotenpreise wachen und sie notfalls beeinflussen, damit deren Wert bis spätestens zum Jahre 2008, wenn EU-weit die Milchquoten wegfallen sollen, garantiert zu Null wird und die Quoten damit zu jenem neutralen Lieferrecht werden, das der EG vor 15 Jahren eigentlich vorgeschwebt hatte.

 

Der von der Bauernzentrale befürchtete Konzentrationsschub dürfte sicherlich eintreten; der Trend geht längst dahin. Hatte es 1982 in Luxemburg noch 2 514 Milchbetriebe gegeben, sank ihre Zahl bis 1998 um rund die Hälfte auf 1 254. Im gesamten Agrarbereich betrug Rückgang an aktiven Betrieben im selben Zeitraum nur 38 Prozent und fiel damit im Milchsektor besonders drastisch aus. Die Luxemburg von der EG zugeteilten Milchquoten wurden nicht nur ausgeschöpft, es wuchs vor allem die Zahl der viel Milch produzierenden Betriebe. Wobei zwischen 1982 und 1992 zunächst die der mehr als 150 000 Kilogramm pro Jahr herstellenden zunahm, seit 1992 ist es nur die der Produzenten von 250 000 Kilo und mehr. Im Schnitt hatte 1982 ein Milchbetrieb 108 000 Kilogramm pro Jahr ausgeliefert, 1992 waren es schon 193 000 und 1999 ganze 217 000 Kilo. Die damit einhergegangene Effizienzsteigerung hat dazu geführt, dass der Milchsektor in der Luxemburger Landwirtschaft an der Spitze der Wertschöpfung steht: 1998 betrug sein Anteil 46 Prozent, weit vor der Rindfleischproduktion mit 25 Prozent.

 

Wenn die Bauernzentrale sich gegen den freien Verkauf der Quoten ausspricht, liegt ihr das Wohl der im Sektor Aktiven  am Herzen: Wer seine Produktion durch Zukauf von Quoten erweitern wolle, müsse höchstwahrscheinlich horrende Preise bezahlen, die sich nicht rechneten, wenn die Quoten ab 2008 gänzlich wegfallen. Der Fräie Lëtzebuerger Bauereverband (FLB) und Jongbaueren a Jongwënzer dagegen sehen gerade darin eine Möglichkeit, in Luxemburg mit der Monokultur Milchwirtschaft zu brechen: "Fernand Bodens Entwurf ist sicherlich nicht das Optimum", sagt FLB-Präsident Aloyse Marx, "aber er ist das kleinere Übel." Marx setzt auf die Vernunft der Bauern, keine überhöhten Preise zahlen zu wollen; dass er sich dessen nicht sicher sein kann, gibt er zu und meint: "Preise von mehr als 25 Franken pro Kilo halten auch wir für unvertretbar." Gegen eine Kontrolle der Preise hat der FLB zwar grundsätzlich nichts. Ein Office national du lait aber müsste Kriterien für den Zugang zu den - knappen - Quoten erlassen. Die aber würden nach Ansicht des FLB noch mehr Diskussionen unter den Landwirten hervorrufen als Fernand Bodens Milchreglement, das sicher ein schmerzhafter Schnitt sei, aber ein notwendiger.

Dass die Zahl der Milchbetriebe sinken muss, ist Konsens unter allen vier Bauernverbänden. Aber während in der Bauernzentrale der Gedanke favorisiert wird, der Strukturwandel müsse reguliert vonstatten gehen, hofft der FLB, dass die Kapitalfunktion der Milchquoten den Unternehmergeist der Bauern und das Nachdenken über Diversifizierungsmöglichkeiten weckt.

 

Doch dieses Neuland ist in Luxemburg noch immer weitgehend unbeackert. Das lautstarke Hin und Her um die Milchquotenveräußerung müsste nicht sein, wäre eine Diversifizierungsperspektive klar. Im Milchsektor hat die bisher betriebene Strukturpolitik nur zu Konzentration und Rationalisierung geführt. Luxemburg produziert zu 300 Prozent über seinen Eigenbedarf hinaus, trotz Milchquoten. 

 

Die Preise, die ein Betrieb erhält, liegen bei 17 Franken pro Kilo, abzüglich aller Gestehungskosten bleiben nach Berechnung des Landwirtschaftsministeriums dem Bauern 4,17 Franken, die, so Lucien Haller von der Bauernzentrale, "gerade mal einen Stundenlohn von 550 Franken ergeben". Klar, dass aus diesem Erlös nicht jeder Bauer neue Milchquoten wird erwerben können. FLB und Jongbaueren a Jongwënzer werben gerade unter diesen Bedingungen für den Ausstieg. Doch erst neuerdings erleichtern europäische Regelungen zum Beispiel den Übergang zur Schweine- und Geflügelproduktion. Vor der Verabschiedung der Agenda 2000 war die Zahlung von Investitionsbeihilfen in diesen Sektoren verboten, in beiden aber produziert die Luxemburger Landwirtschaft noch immer nicht genug, um den einheimischen Bedarf zu decken. Der neue Plan de développement rural der Regierung sieht solche Beihilfen vor, vorausgesetzt, die Produkte entsprechen Qualitätskriterien und werden unter bestimmten ökologischen Bedingungen produziert. Auch können ab 1. April Milchquoten gegen Mutterkuhprämien getauscht Milchbauern damit zu Fleischproduzenten werden; allerdings gilt auch hier ein Qualitätsvorbehalt.

 

Nischenproduktionen und Produktinnovation stecken in Luxemburg jedoch noch immer in den Kinderschuhen. Die Initiativen aus dem Naturpark Obersauer und vom Our-Tal, wo Qualitätsprodukte mit Spezialmarketing und als Haut de gamme-Produkte hergestellt und verkauft werden, sind zwar erfolgreich angelaufen, aber noch immer nicht populär genug. Und Nachahmer gibt es auch noch nicht in großer Zahl. Die Regierung hat sich erst nach Verabschiedung der Agenda 2000 stärker für derartige Konzepte erwärmen können. 

Zuvor konnte das Landwirtschaftsministerium zum Beispiel den biologischen Landbau nicht fördern, weil niemand daran gedacht hatte, die EU-Kommission von Förderabsichten zu informieren. Das Boden-Ministerium vertrat eher den Ansatz, zu fördern, was der gesamten Landwirtschaft nützt.

 

Vor diesem Hintergrund wird der angestrebte Strukturwandel tatsächlich zum Abenteur. "Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht", sagt ein Sprichwort. Verdenken kann man es ihm eigentlich nicht.

 

Peter Feist
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