Milchquotenregelung

Der Milchpreis, kein Quotenhit

d'Lëtzebuerger Land du 05.06.2008

Die Solidarität wurde vergangene Woche viel bemüht, um zu erklären, weshalb die Luxemburger Milchbauern streikten. Die Initiative ging vom Luxembourg Dairy Board aus, einer Initiative, die erst vor wenig mehr als einem Jahr gegründet wurde und Mitglied des European Milk Board ist. Solidarisch also wollten sie sich zei­gen, mit den Berufskollegen Deutschlands, Frankreichs, Belgiens, der Niederlanden, Österreichs, ja sogar die Schweizer Bauern streikten mit, schütteten ihre Milch, anstatt sie in die Molkerei zu bringen, lieber weg.

Als letzten Ausweg bezeichneten die streikenden Milchproduzenten bei ihrer Kundgebung auf der Place Guillaume diese Maßnahme. Kein Wunder, denn angesichts der Hungerkrise in Teilen Asiens und Afrikas, droht das absichtliche Vergeuden von Lebensmitteln in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis zu stoßen. Der Streik kommt sie zudem teuer zu stehen. Wer alle zwei Tage um die 2 000 Liter auslaufen lässt, dem gehen, je nach Fett- und Eiweißgehalt der Milch, fast 1 000 Euro durch die Lappen.

Dabei war erst Ende vergangenen Jahres gejubelt worden, nach 30 Jahren Stagnation sei der Milchpreis endlich angestiegen und die Bauern könnten kostendeckend, sogar mit Profit produzieren. Bis auf rund 40 Cent pro Kilo Milch bei 3,7 Prozent Fett und 3,3 Prozent Eiweiß stiegen die Erzeugerpreise den Statistiken des Service de l’Économie rurale (SER) zufolge bis Dezember 2007. Das entspricht genau dem kostendeckenden Gestehungspreis, den der SER auf Basis der Daten von 17 Bauernhöfen ermittelte und der sich auch mit niederländischen Ergebnissen deckt. Tatsächlich lag das durchschnittlich ausgezahlte Entgelt aufgrund des hohen Fettwertes näher an 46 Cent. Wenn man bedenkt, dass der weitaus dickste Posten in der Berechnung das Gehalt des Bauern ist, lohnte die Milchproduktion Ende letzten Jahres durchaus. Auslöser der Preishausse, wurde damals berichtet, sei der steigende Durst nach Milch in Asien. Manch einem europäischen Bauer konnten die EU-Produktionsquoten, die bis 2015 weiter bestehen, nicht schnell genug abgeschafft werden. Derart gehemmt könne man nicht am Boom auf dem Weltmarkt teilnehmen, hieß es mancherorts. Aber schon im Januar fielen die Preise wieder. Im März lag der Preis für das Standardprodukt noch bei 37, 20 Cent per Kilo, im Schnitt wurden 39,27 Eurocent gezahlt. Das reicht nicht mehr aus, sagt Fredy de Martines vom LDB, obwohl die Erzeugerpreise dennoch im Jahresschnitt um die 20 bis 30 Prozent höher sind. Die Tendenz sei jedoch schlecht. 

Wieso die plötzliche Wende? Ist den Asiaten die Lust auf Milch vergangen? Kaum. Es gibt Überkapazitäten. Die sind einerseits saisonal bedingt – im Frühling und im Sommer geben die Kühe eben mehr Milch. Dazu kommt: Die guten Preise 2007 waren eine Motivation für viele Bauern, erklärt de Martines. Die Briten und die Franzosen beispielsweise, die ihre Quoten schon seit Jahren nicht mehr voll ausschöpften, hätten nun die Produktion wieder gesteigert, so der Vertreter des LDB, die kommt nun zum sai­sonal bedingten Überschuss dazu. Das Fass zum Überlaufen brachte allerdings Müller Milch. Die deutsche Mol­kerei schloss kürzlich mit deutschen Dis­count-Supermärkten neue Halbjah­res-Lieferverträge ab, un­ter­bot dabei die derzeit gültigen Preise um 15 Cent pro Liter H-Milch. Die anderen Molkereien mussten nach­ziehen. Seither streiken die deutschen Milchproduzenten und ihre Kollegen mit.

Andererseits passiert den Bauern gerade genau dasselbe, wie vielen anderen Wirtschaftszweigen auch: Sie leiden unter der Inflation. Ihre Kosten sind rasant angestiegen. Den Vierteljährlichen Agrarpreisindizes des SER (Basis 100=2000) zufolge, stiegen die Preise für Dünge- und Bodenverbesserungsmittel von 134 Punkten auf 208 Punkte und auch die Futtermittel wurden teurer, vom Treibstoff für die Maschinen und den Energiepreisen gar nicht zu reden. Dass ihnen die Kosten davon laufen, machten die Produzenten Landwirtschaftsminister Fernand Boden (CSV) und seiner Staatssekretärin Octavie Modert (CSV) mit sehr deutlichen Worten klar, als  sie am Freitagnachmittag ungebete­ner Weise in die Eingangshalle des Ministeriums drängten. Minister und Staatssekretärin mussten sich auch sonst relativ viele Vorwürfe und Beschimpfungen gefallen lassen. Zum Beispiel, dass sie der Anhebung der Quoten um zwei Prozent für das Jahr 2008-2009 im EU-Ministerrat zugestimmt hätten. Was nach Meinung der bauern wesentlich zum Preisverfall beiträgt. Ein Vorwurf den Boden abstreitet, da das neue Quotenjahr erst begonnen hat. 

Indes fordern die Bauern, diese Maßnahme soll rückgängig gemacht werden. Eine Forderung, die illusorisch ist, genauso wie die, dass das Quotensystem auch nach 2015 Fortbestand haben soll. Denn um die EU-Kommission von ihrem Liberalisierungskurs abzubringen, müssten alle 27 Mitgliedstaaten gemeinsam für die Quote stimmen. Das wird nicht passieren. 

Von „den Bauern“ kann dabei eigentlich auch keine Rede sein, das zeigt sich am Verlauf des Streiks. Während nur etwa zehn Prozent der Luxlait-Bauern streikten, waren es derer, die an die Milch Union Hocheifel (MUH) liefern ungefähr die Hälfte, wie verschiedene Beobachter meinen. Dass der Streik den Zwist zwischen Bauern, für die Solidarität untereinander viel­leicht ohnehin eine relativ neue Erfahrung ist, noch vertieft, fürchtet auf jeden Fall Robert Mehlen, ADR-Abgeordneter und Mitglied des MUH-Vorstandes. Durch die Blockade der Molkerei seien auch die Bauern zum Streik gezwungen worden, die eigentlich nicht mitmachen wollten. Vor allem solche, die vielleicht von den Beihilfen angeregt, hoch investiert haben und Schulden zurückzahlen müssen, werden da genauso sauer geworden sein, wie ihre Milch. Sie wür­den von der MUH entschädigt werden. Die Landwirte – vornehmlich Deutsche –, deren Traktoren die Mol­kerei blockierten, müssten mit Schadensersatzklagen rechnen, wegen Nö­tigung. Während man bei der Luxlait mit keinem nennenswerten Scha­den rechnet, steht für die MUH, die 30 Millionen Euro Umsatz im Monat macht, nach zwei Blockadetagen und Produktionsausfall einiges auf dem Spiel. Der Politiker und Vorstand will dies zwar nicht bestätigen. Aber angesichts der Tatsache, dass vor allem MUH-Bauern streikten, drängt sich der Verdacht auf, dass auch sie nicht nur die reine Solidarität trieb. Mit Sicherheit wollten sie den deutschen und belgischen MUH-Kollegen, die bereits seit Tagen ihre Milch weggossen, nicht in den Rücken fallen. Doch vor Jahren wechselten viele Luxemburger Erzeuger zur MUH, weil die deutsche Genossenschaft durchaus besser zahlte als die hiesigen Molkereien. Zu ihren Hauptabnehmern gehören allerdings genau die Discounter, gegenüber denen Müller kürzlich einknickte. Eine Kundschaft bei der MUH, so Mehlen, als spezialisierter und zuverlässiger Lieferant galt, und diese Zuverlässigkeit als starkes Argument in Preisverhandlungen einbringen konn­te. Die MUH ist demnach – auch wenn die Luxlait rund die Hälfte ihrer Produktion zu den gültigen Spotpreisen exportiert – gegenüber dem Handel einem viel höheren Druck ausgesetzt, als die Luxemburger Molkereien.

Luxem­burger und deutsche MUH-Bauern sitzen im gleichen Boot. So hadern die meisten, egal ob LDB, Bauernzentrale oder Fräie Lëtzebuerger Baureverband (FLB) mit dem Schicksal, das ihnen die zunehmende Liberalisierung bescheren wird. „Wir wollen nicht fünf Prozent unserer Produktion auf den Weltmarkt exportieren und die restlichen 95 zu Weltmarktpreisen produzieren müssen“, brüllte ein Bauer am Freitag Minister und Staatssekretärin entgegen, als diese sich zu verteidigen versuchten und sagten, vergangenes Jahr hätten noch die meisten von ihnen das Quotensystem lieber früher als später abgeschafft. Nichts sei gewesen, meinte der wütende Produzent, keinen zusätzlichen Liter EU-Milch hätten Inder und Chinesen getrunken. Das mag wohl sein, wahrscheinlich teilen aber hier die Bauern das Los der gesamten EU-Exportbranche: Wegen der starken Einheitswährung dürften die Asiaten lieber Milch aus dem Dollarraum trinken.

Überhaupt entsteht der Eindruck, als ob unter den Landwirten und den verschiedenen Organisationen, in denen sie sich zusammenschließen, wenig Einigkeit darüber herrscht, wie man mit der sich anbahnenden Veränderung umgehen soll, wie in Zukunft das Ziel des kostendeckenden Milchpreises erreicht werden soll. „Wir sind radikal gegen die Abschaffung der Quoten“, sagt Fredy de Martines, „aber diese müssen flexibler werden, die Produktion, der Nachfrage angepasst werden.“ Und vor allem müsse sich dieses Instrument in der Hand der Bauern befinden. Um einen Preis zu garantieren, der die Kosten deckt, stellen sich die Mitglieder des EMB vor, dass man den Preis berechnet, festlegt, und die Bauern dafür ihre Milch bei den Molkereien abliefern. „Bezahlt uns unser Produkt anständig, dann brauchen wir keine Prämien“, fügt er mit Nachdruck hinzu. Ob das klappen kann, ist leider sehr fraglich. Diese Vorschläge sind nicht ausgereift. Dazu kommt, dass ein solches System des festen, kostendeckenden Preises eigentlich die reinste Form der Preisabsprache ist und droht, die Bauern in Konflikt mit der EU-Wettbewerbsbehörde zu bringen.

Die beiden Bauerngewerkschaften unterstützen ausdrücklich die Forderung nach fairen Preisen. Da ist es aber dann auch schon mit der Solidarität vorbei. Die Bauernzentrale forderte nicht zum Streik auf, war eigentlich eher für die Beibehaltung der Quoten, auch wenn man das nun nicht mehr so in die Vitrine gestellt habe, so Josiane Willems, Direktorin. Auch sie ist für eine Mengenregulierung, glaubt aber nicht daran, dass es den Bauern gelingen könnte, dies europaweit unter sich auszumachen. Der FLB war traditionell eigentlich für die Abschaffung der Quotenregelung, da Luxemburg nicht besonders reich bestückt worden war, als die 1984 eingeführt wurde, so Aloyse Marx. Wer den Betrieb vergrößern wollte und dazu den Kollegen Quoten abkaufte, musste mit Preisen zwischen 1,50 bis zwei Euro das Stück rechnen. Bei 100 000 Kilo kommt da ein stolzes Sümmchen zusammen. Dennoch findet er die Entscheidung, die zulässige Produktionsmengen anzuheben, grundfalsch und auch er fordert, dass sie rückgängig gemacht wird. Alle gemeinsam bewegt die Angst vor der drohenden Marktbereinigung und dass die kleinen Bauernbetriebe verschwinden werden; die Kommission rechnet für Belgien und Luxemburg einen Erzeugerpreis von 27 bis 29 Cent aus. 

Dass auch die Biobauern der Forderung der konventionellen Bauern nach einem fairen Preis nicht feindlich gegenüberstehen, ist nicht unlogisch. Sie werden zwar für ihre Milch besser bezahlt, aber die sieben Cent mehr für den unter Biolabel verkauften Liter Milch gibt es auf den Grundpreis, den die anderen erhalten, obendrauf. Auch sie haben also ein Interesse daran, dass dieser steigt. Überhaupt scheint das aktuelle Szenario die Biobauern zu begünstigen, denn die Kosten, die ihren Berufskollegen die Luft abschneiden, treffen sie kaum: Düngemittel und Kraftfutter. „Irgendwann ist der Biobauer im Vorteil“, sagt André Schank von BIOG, versucht er doch, ohne diese Hilfsmittel auszukommen. Er fände es nicht mehr zeitgemäß, wenn der Gesetzgeber einen festen Preis durchsetzten würde, und glaubt nicht daran, dass die Reform der europäischen Agrarpolitik noch umzukehren ist. Viel mehr glaubt er, müsste sich die Wertschöpfungskette zusammenschließen, in ver­tikaler Richtung vom Produzen­ten über die Verarbeitung und den Handel hin zum Konsumenten. Letz­tere nämlich seien durchaus bereit, tiefer ins Portemonnaie zu greifen, wenn sie dafür bewusst ein gutes Produkt kaufen könnten. Genau die­se Botschaft versuchte der LDB, den Konsumenten mit seinen Aktionen in der Hauptstadt zu überbringen. Dafür sind ihnen sicher alle Beteiligten dankbar. Der Anfang einer neuen Entwicklung? Beendet haben die Bauern am Mittwochabend auf jeden Fall den Lieferstopp.

Michèle Sinner
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