Nicht zugelassene Pestizide

Agro-Dysfunktion

d'Lëtzebuerger Land vom 02.05.2002

Sie waren überwiegend zurückhaltend - die Reaktionen der Journalisten auf der Pressekonferenz von déi Gréng am Dienstag Nachmittag. "Das sind aber schwere Anschuldigungen", wurde vereinzelt gemurmelt. Genau eine Woche zuvor hatte die Zollverwaltung mitgeteilt, bei einer Kontrolle einer Händlerfirma für Pflanzenschutzmittel seien am 23. April vier Tonnen in Luxemburg nicht zugelassener Pestizide gefunden und beschlagnahmt worden; Le Quotidien hatte am Tag danach den Namen der Firma veröffentlicht: Cap+. Grünen-Abgeordneter Camille Gira teilte nun mit, wer unter anderem dem Verwaltungsrat von Cap+ angehört: als Präsident Marco Gaasch, der Präsident der Landwirtschaftskammer; Mitglied ist darüberhinaus Carlo Raus, der Chef der Bauernzentrale. So steht es im Mémorial.

Ein Glück, dass die Regierung den Mehrwertssteuersatz für Pflanzenschutzmittel zum 1. Januar dieses Jahres von drei auf 15 Prozent anheben ließ. Denn Cap+, ein vor zwei Jahren gegründetes Gemeinschaftsunternehmen von Bauernzentrale und EMC2, der zwölftgrößten französischen Agrargenossenschaft, ist keine Aktiengesellschaft wie jede andere, da die Bauernzentrale 51 Prozent der Anteile hält (siehe d'Land vom 18. Februar 2000, bzw. unser Dossier Landwirstchaft unter www.land.lu).

1991 erließ der EU-Agrarministerrat per Direktive verschärfte Regeln für Zulassung, Vertrieb und Anwendung von Pestiziden. Grundstoffe und die daraus hergestellten Produkte sind seitdem zulassungspflichtig bei einem EU-Komitee sowie in jedem einzelnen Mitgliedsstaat, in dem sie verkauft werden sollen. Luxemburg setzte diese Direktive am 14. Dezmber 1994 durch ein großherzogliches Reglement in nationales Recht um. Doch bereits 1993 war der Mehrwertssteuersatz für Pflanzenschutzmittel hier zu Lande von zwölf auf das europaweit einmalige Niedrigniveau von drei Prozent gesenkt worden. "Man wollte den Landwirten einen Zugang zu preiswerten Pflanzenschutzmitteln sichern", sagt Antoine Aschmann, Leiter der Abteilung Pflanzenschutz in der Administration des services techniques de l'agriculture (Asta) im Landwirtschaftsministerium, die zuständig ist für die Zulas-sung der Pestizide.

"L'augmentation du taux de 3 à 15% en 2001, met fin au commerce important à destination d'autres pays de l'UE à taux de TVA plus élevés qui s'était établi ces dernières années dans notre pays", hält der Tätigkeitsbericht des Landwirtschaftsministeriums für das Jahr 2001 knapp fest. Noch ein Jahr zuvor galt das Großherzogtum als eine Drehscheibe für den Pestizidhandel. Die Mehrwertssteuersenkung hatte eine Pestizid-Nische geschaffen: "Depuis 1993 le volume de ce commerce a augmenté d'année en année, pour atteindre des dimensions alarmantes en 2000", schrieb das Landwirtschaftsministerium in seinem Tätigkeitsbericht 2000. "On estime que 10% des produits phytopharmaceutiques utilisés en Allemagne et 25% des produits utilisés en Autriche passent par le Luxembourg. Un marché vers la Belgique et les Pays-Bas est également en train de s'établir." 10 000 Tonnen wurden im Jahr 2000 von Luxemburg aus gehandelt, bilanzierte im März 2001 das EU-Nahrungsmittel- und Veterinäramt während eines Kontrollbesuchs - der Pestizideinsatz im Lande selbst habe im gleichen Jahr nur 200 Tonnen betragen. Das sei "préjudiciable à notre image de marque", meinte das Landwirtschaftsministerium, und wegen des regen Transports per Lkw potenziell gefährlich: "Un bidon de 20 l d'un produit phytopharmaceutique suffit p.ex. pour polluer l'eau du barrage d'Esch-sur-Sûre (ca 60 mio de m3) et la rendre inapte à la production d'eau potable."

Cap+ stünde noch mehr im Rampenlicht, würde es diesen regen Handel noch geben, auch wenn er solange legal war, wie die Bestimmungen über Herbizide eingehalten wurden. Das ideologische und administrative Problem, das sich nun stellt, ist jedoch immer noch groß genug. Dass "wir hierzulande weit entfernt sind von sogenannten Agrarindustrien und Massentierhaltungen und daß unsere familienbetrieblichen Strukturen zusammen mit den vor- und nachgelagerten genossenschaftlichen und beruflichen Einrichtungen beste Voraussetzungen abgeben, um in punkto Sicherheit und Qualität der Nahrungsmittelproduktion gerecht werden zu können", schrieb die Bauernzentrale, nach eigenen Angaben die Gewerkschaft von 90 Prozent aller Luxemburger Lanwirte, in ihrer Wochenschrift De Lëtzebuerger Bauer am 18. Mai 2001. Und kaum eine Woche vergeht, in der sie nicht die dramatische ökonomische Lage der Bauern beschwört und sich für höhere Zuwendungen ins Zeug legt. Dass eine von ihr mehrheitlich getragene Aktiengesellschaft Geld mit nicht zugelassenen Produkten verdient, rückt diese Auslassungen in ein sehr schiefes Licht. Daran dürfte auch der für Juni absehbare Gerichtsprozess gegen Cap+, die schon zum zweiten Mal auffällig wurde, wenig ändern; selbst wenn die vom Zoll gefundenen Pflanzenschutzmittel nicht für den Verkauf in Luxemburg, sondern im EU-Ausland bestimmt gewesen sein sollten, hätte gemäß Paragraph 3, Absatz 2 des großherzoglichen Reglements vom 14. 12. 1994 ihre Lagerung vorab angekündigt werden müssen. Aber das sei nicht der Fall gewesen, sagt Jeannot Strasser, der verantwortliche Beamte der Zollverwaltung. "Und während der Kontrolle war keine Rede davon, dass die Ware exportiert werden sollte."

Ähnlich schwer wie die Unregelmäßigkeiten bei einer mehrheitlich von der größten Bauerngewerkschaft getragenen Firma aber wiegt der Umstand, dass in Luxemburg alles andere als Transparenz über den Pestizideinsatz im Agrarsektor herrscht. Die Abteilung Pflanzenschutz der Asta verfügt, so Antoine Aschmann, "über keinerlei Statistiken". Vor allem würden die Daten von Beraterfirmen erhoben, aber eine Verpflichtung, sie weiterzuleiten, bestehe nicht. Auch Cap+ berät die Landwirte und wirbt für ihr "Komplettpaket" aus Beratung und Angebot von ihr gehandelter Erzeugnisse. Noch lässt die Organisation der Kontrollen Spritzmittelvertreibern viele Freiheiten. Einmal im Jahr erhalten sie unangemeldeten Besuch vom Zoll, erhob die EU-Lebensmittelbehörde FVO vor einem Jahr, und mahnte in ihrem Kontrollbericht an, dass auch auf den Höfen selbst nachgeprüft werden müsste. Seitens der Zollverwaltung aber geschieht das nur, wenn konkrete Hinweise auf Verstöße vorliegen, und dass die Asta keine Kontrollen vornimmt, weil sie zugleich die Genehmigungsinstanz der Präparate ist, sei zwar verständlich, so die FVO, eine unabhängige Überprüfung müsse aber dennoch her.

Derzeit arbeitet das Landwirtschaftsministerium am Aufbau einer solchen "Cellule". Erst wenn sie ihre Arbeit aufgenommen hat und zu dementsprechenden Ergenissen kommt, kann mit Fug und Recht behauptet werden, die heimische Landwirtschaft sei so "extensiv" und "umweltfreundlich", wie Minister Fernand Boden sie etwa im Land-Interview am 20. April 2001 nannte. Prämien, die an den Code pour une bonne pratique agricole gebunden sind, werden gekürzt oder gestrichen, falls ein Bauer nicht zugelassene Spritzmittel benutzt; Prämien für die Extensivierung des Betriebes setzen darüberhinaus dem Spritzmitteleinsatz Grenzen. Landwirtschaftsminister und Bauernzentrale favorisieren darüberhinaus den so genannte Integrierten Landbau, der erklärtermaßen mit einem Minimum an Chemieeinsatz auskommen will, als Alternative zur biologischen Landwirtschaft. Eine Argumentation, die auf schwachen Füßen steht, solange, wie die Asta einräumt, der Einsatz von Chemie von ihr nur "geschätzt" werden kann.

Für die Landwirte ist währenddessen die Suche nach preiswerten Pestiziden womöglich interessanter als je zuvor. 99 Prozent der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe nehmen nach Auskunft des Service d'économie rurale am Régime forfataire zur Mehrwertssteuerberechnung teil. Nach dem TVA-Gesetz von 1977 sind sie befreit von detaillierter Buchführung, können jedoch ihre Mehrwertssteuer nicht als Vorsteuer absetzen, sondern erhalten einen Jahr für Jahr durch Quer-Rechnung der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung im gesamten Sektor ermittelten Festsatz rückvergütet. Die Erhöhung der Mehrwertssteuer auf Pflanzenschutzmit-tel werde den Sektor mit Mehrausgaben von 25 Millionen Franken belasten, hatte die Landwirtschaftskammer im Frühjahr letzten Jahres ausgerechnet; die Bauernzentrale forderte einen Ausgleich, was Finanzminister Jean-Claude Juncker mit Verweis auf europäische Beihilferegeln ablehnte. Antoine Aschmann von der Asta geht davon aus, dass die Spritzmit-tel-Drehscheibe Luxemburg ihre Bedeutung verloren hat; das gehe aus den "Echos aus Deutschland und Österreich" hervor. Die nächste "Drehscheibe" aber liegt nicht weit entfernt: Frankreich besetzt mit einem TVA-Satz von 5,5 Prozent nunmehr den Tiefststand in Europa. Und die Zollverwaltung verfügt über Hinweise, dass französische Firmen einen Teil des luxemburgischen Herbizid-Marktes übernommen haben.

Vor diesem Hintergrund ist es an der Bauernzentrale, ihren vielen Mitgliedern glaubhaft zu machen, dass Cap+ damit nichts zu tun hat und sie von ihren Händler-Beratern auch weiterhin gut beraten sind. Sonst droht womöglich ein Exodus zum Fräie Lëtzebuerger Bauereverband, und die CSV verliert wertvolle Wählerstimmen aus der Bauernschaft an das ADR.

 

Peter Feist
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