Was kommt nach dem Tiermehl?

Die Eiweiß-Frage

d'Lëtzebuerger Land vom 07.12.2000

Angefangen hat damit EU-Agrarkommissar Franz Fischler. Europas Landwirtschaft müsse möglichst zur Selbstversorgerin mit Eiweiß werden, hat er gesagt. Mit pflanzlichem Eiweiß, wohlgemerkt. Denn pflanzliches Eiweiß kann eine Alternative sein zur Verfütterung von Tiermehl.

Manche Pflanzen sind besonders eiweißhaltig. Spitzenreiterin ist die Sojabohne, von der hochgezüchtete Sorten es auf 70 Prozent Eiweißgehalt bringen. Andere Eiweißspender sind Erbsen und Bohnen, aber auch Luzerne und Lupinen, Klee und selbst simples Gras. "Wenn Rinder mit frisch geschnittenem Gras gefüttert werden, erhalten sie sogar einen Eiweißüberschuss", sagte ein Vorstandsmitglied des Fräie Lëtzebuerger Bauereverband am Montag auf der Pressekonferenz, wo der FLB vorschlug, um die BSE-Gefahr an der Wurzel zu packen, die Eigenproduktion von Eiweißpflanzen auszuweiten, auch in Luxemburg.

Das Problem stellt sich ab 1. Januar ganz akut. Die EU-Kommission geht davon aus, dass 2,7 Millionen Tonnen tierisches Eiweiß ersetzt werden müssen. Würde das mit dem besten Soja geschehen, müssten davon 3,6 Millionen Tonnen zusätzlich importiert werden. Luxemburg ist davon, wenigstens offiziell, nicht betroffen. Dass die Hersteller hier zu Lande seit 1994 "freiwillig" auf die Beimischung von Tiermehl in jegliches Tierfutter, also auch in das für Geflügel und Schweine, verzichten würden, betonen die Bauernverbände wie auch das Landwirtschaftsministerium - schließlich ist allein der Preis von Rindfleisch um zehn bis 15 Prozent gefallen, wie die Bauernzentrale schätzt, der Verbrauch ebenso um ein Zehntel. Doch nur rund die Hälfte der in Luxemburg verfütterten Tiernahrung stammt aus einheimischer Produktion. Für den Rest will auch Arthur Besch, der Leiter des staatlichen Veterinärdienstes, seine Hand nicht ins Feuer legen.

Die Bauern aber bewegt die Eiweiß-Frage. Die Bauernzentrale forderte vor einer Woche die Aufstellung von Eiweißplänen, der FLB verlangte, die Produktion der Proteinlieferanten mit Förderprämien zu begleiten. Schon bisher sicherte Europas Landwirtschaft 20 Prozent ihres Proteinbedarfs durch die Soja-Einfuhr. Der Preis aber ist in den letzten zwölf Monaten immer weiter gestiegen und liegt heute bei zwölf Franken pro Kilo. "Noch vor einem Jahr waren es neun", sagt FLB-Präsident Aloyse Marx. Und das, wo durch gestiegene Dieselpreise, verteuerte Pflanzenschutzmittel und zunehmende Betriebszinsen so manche Höfe an den Rand des Ruins geraten seien.

Erbsen und Kleeblätter kommen einerseits zu neuen Ehren, weil die USA seit der Nachkriegszeit ihre führende Rolle bei der Energie-pflanzenproduktion behaupten und die EU seit dem 1993 mit den USA abgeschlossenen Blair-House-Vertrag nur quotiert Soja anbauen darf. Andererseits bleibt, auch wenn das Abkommen im nächsten Jahr ausläuft, als Problem bestehen, dass die nötigen klimatischen Verhältnisse für den Sojaanbau am ehesten in Südeuropa gegeben sind. Alternativen zum Soja könnten auch Verbrauchersorgen vorbeugen, nach dem Tiermehlverbot öffne sich nun die Hintertür für genmanipulierte Soja aus den USA. Die einzige Alternative wäre Soja-Import aus Brasilien oder Argentinien. In Argentinien ist die Genmanipulation von Soja gestattet, in Brasilien noch nicht, aber es wird darüber diskutiert. Auch  wenn eine Pro-Gentechnik-Entscheidung fiele, so hat es der Vorsitzende des brasilianischen Sojaproduzenten-Verbandes gegenüber der deutschen tageszeitung erklärt, würde man den Europäern dennoch genfreie Soja liefern, Allerdings zu einem höheren Preis. Kritiker des brasilianischen Agro-Business weisen unterdessen darauf hin, dass die Landwirtschaft im Amazonasstaat schon jetzt zu exportorientiert sei. Europa pflegt davon in Form von Schreckensmeldungen über Regenwald-Abholzungen Kenntnis zu nehmen. So komplex und voller Wechselwirkungen ist Landwirtschaft heutzutage.

Aber nicht nur deshalb sind Überlegungen zur Eigenversorgung Europas mit Eiweißpflanzen sinnvoll. Luxemburg eignet sich als Soja-Anbauort nicht, aber die Nutzung von Erbsen und Bohnen, Klee und Lupinen als Eiweißlieferanten gehört zum Einmaleins der Landwirtschaft, vor allem der biologischen. Diese so genannten Leguminosen haben den Vorteil, über die Fotosynthese und ein spezielles Bakterium in ihren Wurzeln nicht nur Stickstoff aus der Luft aufzunehmen, sondern ihn obendrein an den Boden weiter zu geben, weshalb Bio-Höfe, weil sie stark auf Leguminose-Nutzung setzen, komplett ohne künstliche Stickstoffdüngung auskommen.

Der Eiweißgehalt der Leguminosen ist geringer als der von Soja. Allerdings ist dieser Nachteil Ansichtssache. Eiweiß ist wichtig für schnelles Wachstum. Masttiere müssen schnell wachsen, sonst fressen sie zu lange, blockieren wertvollen Platz im Stall und kosten damit mehr, als der Durchschnittsverbraucher für ihr Fleisch zahlen will. Was auch der Grund ist für die Verfütterung von Tiermehl und die gesamte BSE-Krise. Ernährungsphysiologisch und energetisch, sagt Jean Stoll, Direktor des luxemburgischen Herdbook-Verbandes, sei es besser, die Menschen nähmen gleich mehr pflanzliche Proteine zu sich, als den Umweg über den Fleischverzehr zu gehen.

Was Vegetarier schon immer gewusst haben. Will ein Bauer ohne Soja pflanzliche Proteine füttern, aber auch viel Milch streichen und rasch Tiere mästen, muss er stark auf die Futterzusammensetzung achten und ein guter Manager seines Hofes sein, hat der Herdbook-Verband Anfang der Neunzigerjahre in einer aufwändigen Studie ermittelt. Sonst droht das ganze unrentabel zu werden, denn die in Luxemburg gehaltenen Rinderrassen sind in ihren Futterwünschen zum Teil sehr anspruchsvoll. In anderen Worten: Leguminosefütterung könnte die Fleischpreise steigen lassen.

Fragt sich, was dagegen spricht. Genaue Ziffern sind derzeit nicht zu haben: im Schlachthof müsste ein Fleischproduzent, der mit Grassilage oder Erbsen anstelle Soja füttert, zwischen fünf und zehn Franken mehr bezahlt bekommen, sagt ein Herdbook-Experte. Das entspräche einer Preissteigerung um etwa fünf Prozent auf den Durchschnittspreis, den ein Bauer im Schlachthof erhält.  Doch wenn heimische Erbsen und Gras nicht nur Tiermehl verhindern, sondern auch US-Gensoja und den brasilianischen Regenwald erhalten helfen, sollte man den Verbrauchern die Idee näher bringen. Vielleicht reicht ihre Solidarität sogar so weit, dass sie bereit sind, mehr Geld für Fleisch zu bezahlen, das aus langsamer gewachsenen Tieren stammt - das wäre der Einstieg in den Umstieg in die ökologische Landwirtschaft.

 

Peter Feist
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