Synergien im agro-alimentären Sektor

Goliath ante portas?

d'Lëtzebuerger Land vom 09.01.2003

Wenn Wirtschaftsakteure zu einer wegweisenden Übereinkunft gelangen, diese aber erst eine Woche später bekannt geben, dann war entweder die Übereinkunft derart prinzipiell, dass das damit angestrebte Ziel noch fern liegt, oder die Beteiligten plagt Angst vor ihrer eigenen Courage.

 

Wahrscheinlich gilt beides für die Abmachung, gemeinsam nach Synergien zu suchen, die am 16. Dezember letzten Jahres vier Genossenschaften und eine Aktiengesellschaft aus der Landwirtschaft trafen: Fédération agricole, Saatbaugenossenschaft, Maschinenring und Herdbuchverband zum einen, die Cepal S.A. zum anderen, wollen "die fiskalisch und wirtschaftlich optimierte Zusammenführung/legung von Patrimonium, Aktivitäten, Mitarbeitern usw. der beteiligten Partner in einer neuen Wirtschaftsstruktur" vorantreiben.

Heiligabend stand davon in der Presse zu lesen. Um bereits vorher zu erfahren, dass hinter den Kulis-sen an einer wichtigen Weichenstel-lung gearbeitet wurde, musste man sich schon stark für die Agrarberichterstattung interessieren. Am 28. November hatte während der Generalversammlung der Fédération agricole deren Präsident Victor Feyder zur Zusammenführung der Genossenschaften aufgerufen. Von der "notwendigen Bündelung der Kräfte" sprach am 9. Dezember auch Jean Anen, Direktor der Saatbaugenossenschaft, und setzte hinzu, "eine kleine Gruppe Unbedarfter" arbeite in "internen Gesprächen" an einer Lösung. Mehr wolle und kön-ne er dazu nicht sagen.

 

Koketterie in einer Branche, deren Gesamtumsatz kleiner ist als der der Cargolux? Mehr, als am Heiligabend publik wurde, sagen die Direktionen der fünf Geprächspartner auch heu-te nicht. Strikte Vertraulichkeit wurde vereinbart. Für Medienauskünfte ist Claude Faber zuständig, der externe Berater, der das Synergieprojekt begleitet. Aber auch er bleibt zurückhaltend: Es gebe zu viele hemmende "Doppelgleisigkeiten in den Aktivitäten". Sprich: Auf einem zu kleinen Markt machen die Akteure einander zuviel Konkurrenz.

Bereits im Februar 1999 war die Consultingfirma Arthur Andersen in einer Studie Performance de la structure coopérative dans le secteur agricole luxembourgeois zu diesem Schluss gelangt. Insgesamt 29 Kooperativen seien zuviele, um eine kritische Masse für den heimischen Markt sowie den der Großregion aufzubieten.

 

Mittlerweile dürfte die Problematik sich verschärft haben. Die Konzentration im Sektor schreitet fort. Gab es im der Studie zugrundeliegenden Analysejahr 1997 noch 2 976 Agrarbetriebe im Lande, zählte der Statec bei seinem letzten jährlichen Récensement agricole am 15. Mai 2002 nur mehr 2 588.

 

Damit aber nicht genug: Eine als Zuarbeit zur Andersen-Studie von ILReS und Ackerbauschule durchgeführte Befragung von Betriebsleitern hatte ergeben, dass zwar 88 Prozent von ihnen den Genossenschaften Vertrauen schenkten (nur 66 Prozent vertrauten damals den Bauerngewerkschaften und nur zehn Prozent dem Landwirtschaftsministerium). Und ohne Genossenschaften, die Getreide oder Milch aufkaufen, Saatgut und Spritzmittel vertreiben, Maschinen verkaufen oder verleihen und Beratungsdienste anbieten, sei der eine oder andere Betrieb kaum lebensfähig, hieß es. Garantieren die Genossenschaften doch feste Preise, unabhängig von der Größe des Kunden und unabhängig davon, ob er selbst Mitglied der Genossenschaft ist. Über die Preisgestaltung aber entscheiden die Vollversammlungen der Kooperativen nach dem Gleichheitsprinzip, und dort hat ein kleines Mitglied das gleiche Stimmengewicht wie ein großes. Das gleiche trifft zu bei Entscheidungen über Kapitalbildung und Investitionen. Je größer die Betriebe jedoch sind, umso ausgeprägter war der Befragung zu-fol-ge ihr Drang, lieber mit Privatbetrieben als mit Genossenschaften Geschäfte zu machen.

 

Die Größe der Betriebe aber wächst. 1980 betrug sie im Schnitt 29,6 Hektar pro Betrieb, 38,4 Hektar im Jahre 1990. Mit 55 Hektar hatte sie sich 2002 beinahe verdoppelt. Wenngleich die Einkünfte der Landwirte laut Landwirtschaftsministerium ge-genwärtig zu 86 Prozent von Prämien abhängen, ist die Einkom-menslage nicht einheitlich prekär. Wie disparat sie ist, zeigte am 5. Dezember der vom Service d'économie rurale (SER) des Landwirtschaftsministeriums veranstaltete alljährliche Buchstellentag, an dem anhand der Ergebnisse von 425 repräsentativen Testbetrieben die ökonomische Entwicklung der Agrarwirtschaft gemessen wird. Knapp ein Drittel der Testfirmen verdienten 2001 in der umfangreichsten Gewinnklasse 20 000 bis 30 000 Euro pro Arbeitskraft, fünf Prozent 70 000 Euro und mehr, weitere fünf Prozent erwirtschafteten gar keinen Ge-winn. Da laut den Reformideen von EU-Landwirtschaftskommissar Fischler die Direktzahlungen aus Brüssel von der Produktionsmenge losgekoppelt und darüberhinaus progressiv sinken sollen, ist eine weitere Konzentration von Flächen und Einkommen in der ohnehin überwiegend einseitig auf Rindvieh- und Milchwirtschaft orientierten Agrarbranche Luxemburgs absehbar. Bei den Genossenschaften freilich auch: Der Umsatz der von Arthur Andersen betrachteten 29 stammte 1997 zu mehr als der Hälfte aus den beiden im Milchgeschäft tätigen Kooperativen Luxlait und Procola.

 

Welche Kooperation es zwischen Herdbuchverband, Saatbaugenossenschaft, Fédération agricole, Ma-schinenring und Cepal S.A. geben wird und ob es eventuell zu Fusionen kommt, soll bis Ende März entschieden werden. Eine technische und eine finanzielle Studie sollen das Machbare klären. Dabei jedoch wird nicht nur über eine Aufgabe gewachsener Geschäftszweige diskutiert werden müssen. Eine regelrechte Zäsur werden die Debatten wegen der Teilnahme der Cepal S.A. darstellen - und sie dürfte der Hauptgrund für die Verschwiegenheit aller Beteiligten sein.

 

Cepal, laut der Bauernzentrale von ihren Mitgliedern gehalten, ist unter anderem Mehrheitsgesellschafterin der Merscher Silocentrale, des Merscher Schlachthofs (Centralfood), der Vermarktungsgesellschaft Centralmarketing, der Beratungsgesellschaften Agriconsult und Centrale paysanne services s.à.r.l., der Genos-senschaft Service d'élevage et génétique (SEG) und der s.à.r.l. Eskimo Europe, die als Franchisenehmerin US-Eiscrème in Luxemburg und Belgien anbietet. Und sie war Dreh- und Angelpunkt der "Bauernzentralen-Affäre", die von 1984 bis weit in die 90-er Jahre nicht nur die Agrarwelt, sondern auch die Gerichte beschäftigte, wo über schwarze Konten und illegale Finanztransfers ermittelt wurde.

 

Zahlreiche Aktivitäten der Ge-sprächspartner von heute entstanden über Jahrzehnte hinweg in Abgrenzung zu Bauernzentrale und Cepal. Nicht in erster Linie der Finanzaffäre wegen, sondern weil die am hauptstädtischen Boulevard d'Avranches residierende mitgliederstärkste Bauerngewerkschaft als Goliath empfunden wurde, der ökonomische Macht mit politischem Einfluss verband. 1994 trennte sich die Fédération agricole von der Cepal, mit der sie jahrzehntelang kooperiert, für die sie Getreide bei den Bauern aufgenommen hatte, um es ins Merscher Silo zu bringen. Einst hatte der Präsident der Bauernzentrale auch der Fédération agricole vorgestanden, der BZ-Generalsekretär ihren Verwaltungsrat geleitet. Lange her: Weil sie sich als "Épicier" der großen Partnerin empfand, mietete die Fédération ein eigenes Silo in Metz - und daraufhin stand die Merscher Anlage halb leer. Die Saatbaugenossenschaft eröffnete erst vor kurzem eine Saatgutaufbereitungsanlage in un-mittelbarer Nachbarschaft zu einer zur Silocentrale gehörenden.

 

Weit reichend auch sowohl die Konkurrenz als auch die Differenzen zwischen Bauernzentrale/Cepal und dem Herdbuchverband: Heute in Ettelbrück ansässig, residierte die ab 1945 mit der Führung der Abstammungsbücher für Rind- und Schweinerassen sowie der Milchleistungsprüfung beauftragte Genossenschaft im zweiten Stock des Bauernzentralengebäudes. Acht Jahre dauerte die erfolglose Auseinandersetzung zwischen Herdbuch und dem Service élevage et génétique der Cepal um Arbeitsteilung in der Milchkontrolle; seit 1978 erledigen sie beide Betriebe - für nur etwas mehr als 40 000 Milchkühe. Daneben betreiben SEG und Herdbuch separate Zucht- und Besamungsprogramme. Seit 1992 konkurriert Herdbuch nicht nur in Beratungsdiensten mit Cepal-Betrieben, sondern gewinnt mit immer neuen Vorschlägen zur effizienteren und ökologischeren Ausrichtung der konventionellen Landwirtschaft auch in der öffentlichen Diskussion an Einfluss. Vor wenigen Jahren verhandelten Herdbuch- und Cepal beim Landwirtschaftsminister, um ihre Beratungsangebote, die Program-me zu Nährstoff- und Energiebilanzen zusammen zu legen. Ohne Erfolg: Beide Seiten beanspruchten jeweils für sich, über das bessere System zu verfügen.

 

Könnten die "Unbedarften", wie Jean Anen von der Saatbaugenossenschaft sie nannte, angesichts der makroökonoischen Umstände die gewachsenen Feindseligkeiten tatsächlich beiseite lassen können, dürfte sich das Zustandekommen einer Kooperation - geschweige einer Fusion - von Genossenschaften mit Cepal-Betrieben an den Finanzen entscheiden. Bis heute herrscht nicht restlos Klarheit über die Interna der Cepal S.A., die nach Aussagen der Bauernzentrale deren Mitgliedern gehört, gar keine richtige Aktiengesellschaft sei, weil keine Dividenden gezahlt, Gewinne stattdessen zum Wohl der von Cepal-Leistungen profitierenden Landwirte reinvestiert würden.

 

Doch nicht nur ist branchenintern viel die Rede von der schlechten Auslastung der Silocentrale und des Schlachthofs der Centralfood. Die Jahresbilanz der Cepal als Verwalterin des Patrimoniums im Agrocenter Mersch weist für 2001 zwar einen Betriebsgewinn von 8 619,50 Euro aus. Im Jahr zuvor waren es 2 386 Euro gewesen.

Allerdings mussten 2001 Wertkorrekturen nach unten verschiedener Cepal-Beteiligungen in Höhe von insgesamt mehr als 6,1 Millionen Euro vorgenommen werden. Nach ihrer Einrechnung ergab sich Ende 2001 ein Defizit von über 4,95 Millionen Euro. War beispielsweise die 98,83-prozentige Beteiligung der Cepal an der Centralmarketing s.à.r.l. im Moment ihres Erwerbs noch 1,4285 Millionen Euro wert gewesen, mussten Ende 2001 null Euro verbucht werden. 

 

Desgleichen für die 99,42 Prozent-Beteiligung an Centralfood (Schlachthof Mersch), einst für 2,125 Millionen Euro erworben. Die 99,83 Prozent an der s.à.r.l. Silocentrale wurden mit 1 561 931,69 Euro gebucht - mit 46,5 Prozent Verlust gegenüber dem Anfangswert von 2,87 Millionen.

 

Kein Wunder, dass der Cepal-Verwaltungsrat am 8. Mai 2002 "une réflexion en profondeur sur les structures d'activités du Groupe" verlangte. Erwartungen an die am 16. Dezember vereinbarte Zusammenarbeit haben offenbar nicht nur die Genossenschaften, sondern auch ein angeschlagener Goliath. Bleibt abzuwarten, inwiefern seine "Performance" zu der der kooperationswilligen Partner passen wird. Und ob am Ende tatsächlich ein neuer Riese das Licht der Welt erblickt.

 

Peter Feist
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