Globaler Wettstreit der Museen

Das Museum als Marke

d'Lëtzebuerger Land du 20.05.2016

Der Begriff „Kunstgeschichte“ wird heute noch immer weitgehend als eurozentrische Lehre betrachtet. Dabei beachtet man wenig, dass Kunstgeschichte, im Sinne von Berichten über und Analyse von Kunstgeschehen, auch in Ländern wie China seit Jahrtausenden geschrieben wird. Als Zentren für das künstlerische Schaffen im 20. Jahrhundert haben sich Städte wie Paris und Wien, später New York in unserem Gedächtnis festgesetzt; Kunst aus afrikanischen, lateinamerikanischen oder asiatischen Regionen wurde bis vor 30 Jahren der europäischen und nordamerikanischen Kunst untergeordnet.

Doch eine geografische Umverteilung des Vermögens nach dem Ende der Kolonialzeit und das Entstehen neuer Finanzmetropolen, sowie vorschreitende Technologien, ein sich rasant ausbreitendes digitales Netzwerk und verbesserte Transportmöglichkeiten sorgen spätestens seit den 1980er Jahren im westlichen Europa für ein Umdenken im Umgang mit der so genannten außereuropäischen und außernordamerikanischen Kunst. Auch die zunehmend transnationalen Biografien der zeitgenössischen Künstler und ein sich änderndes und vielfältiger werdendes Publikum fordern von den Museen, insbesondere jenen für moderne und zeitgenössische Kunst, ein globaleres Denken sowie das Verständnis, dass Kunstgeschichte zum Teil auch eine Erzählung der Kolonialisierung und Dominanzmechanismen ist.

Durch das weltweite Errichten kolossaler Museumsbauten sehen sich große europäische und nordamerikanische Museen gezwungen, sich international zu positionieren. Als Beispiel für große Neubauten sind das Kolkata Museum of Modern Art in Indien zu nennen, das nach den Plänen von Herzog & de Meuron gebaut wird, das M+ in Hongkong, ebenfalls von Herzog & de Meuron konzipiert, der Neubau der schon 1871 gegründeten Art Gallery of New South Wales in Sydney, der von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa (Sanaa) erdacht wurde (die ebenfalls für das Louvre Lens verantwortlich zeichnen), das Louvre Abu Dhabi von Jean Nouvel, das neue nationale Kunstmuseum in Peking, auch von letzterem Architekten gestaltet, und das Guggenheim Abu Dhabi von Frank Gehry. Die im 21. Jahrhundert entstehenden Museen oder Erweiterungsbauten verstehen sich selbstverständlich als „globale“ Museen oder als Museen, die eine „universale“ Sammlung zusammenzustellen haben.

Wurde das klassische Museum in Europa lange Zeit als ein Ort für die intellektuelle Elite und Connaisseurs angesehen, so soll es heute eher ein Forum der Diskussion und Diversität darstellen. Die Kontemplation des einzelnen Kunstwerks rückt hierbei immer weiter in den Hintergrund. Es ist nicht überraschend, dass heute in den Leitbildern der großen Häuser Begriffe wie „international“, „grenzübergreifend“, „Dialog“, aber auch „Nachhaltigkeit“ an zentraler Stelle stehen. Doch die Expansion der Museen findet nicht nur durch die lokalen Erweiterungsbauten und das Umändern des Leitbildes statt. Auch wollen sich immer mehr Museen geografisch ausdehnen und eröffnen, genauso wie es auch Galerien und Auktionshäuser tun, weltweite Filialen.

Als erstes Beispiel sind unsere französischen Nachbarmuseen, das Louvre und das Pompidou, anzuführen. Im Zuge einer kulturellen Dezen-tralisierung haben beide permanente Dependancen in der französischen Provinz – sprich Lens und Metz – errichtet. Der Name „Louvre“ wurde zudem als Marke für den Neubau in Abu Dhabi vom Emirat erworben. Sowohl die regionalen Ableger als auch das Museum in Abu Dhabi ziehen nicht nur aus dem Namen Nutzen, sondern auch aus den umfangreichen Sammlungen. Das Pompidou verfolgt – zumindest unter seinem bis 2015 amtierenden Präsidenten Alain Seban – eine durchaus „aggressive“ Strategie, um sich als Marke regional und international zu positio-nieren. Um die Sammlung auch in entlegeneren französischen Regionen bekannt zu machen wurde ein mobiles Museum von 2011 bis 2013 in die Städte Chaumont, Cambrai, Boulogne-sur-Mer, Aubagne und Libourne geschickt.

Darüber hinaus sieht die Strategie des Pompidou vor, das über Jahre gewonnene Knowhow ins Ausland zu verkaufen. Mit Museen und Universitäten im Ausland soll eine internationale Zusammenarbeit entstehen; alte Indus-triegebäude oder auch Einkaufszentren könnten hierbei als Ort dienen, um einen Teil der über 100 000 Kunstwerke und Objekte umfassenden Sammlung des Pompidou zu zeigen. Seit März 2015 sind so im Centre Pompidou Málaga, in Spanien, 90 Meisterwerke aus der Pariser Sammlung untergebracht. Das Projekt ist zunächst auf fünf Jahre angelegt; die Stadt Málaga, Picassos Geburtsort, zahlt jährlich 1,5 Millionen Euro an das Pompidou in Paris. Ziel der Stadt ist es, ihre kulturelle Entwicklung durch große Museen und Namen voranzutreiben und so für mehr Touristen und einhergehende Einnahmequellen zu werben.

Kurz vor der Einweihung der Pompidou-Filiale eröffnete ein Ableger des Staatlichen Russischen Kunstmuseums von Sankt Petersburg mit dem gleichen Ziel in der ehemaligen königlichen Tabakfabrik in Málaga. Die russische Sammlung umfasst über 500 000 Werke und Objekte; sie zum größten Teil einzulagern, wäre eine Verschwendung. Dem Staatlichen Russischen Museum geht es zudem darum, die russische Kunst im Ausland bekannter zu machen.

Bei seiner Strategie, sich weltweit zu positionieren, hat das Pompidou vor allem drei Länder im Blick: Brasilien, Indien und China – also Länder mit wachsender Wirtschaft und starken Kunstszenen. Dennoch klappt die Umsetzung nicht immer reibungslos. Der schon 2007 vom früheren Präsidenten Bruno Racine geplante Ableger in Shanghai konnte wegen den schwierigen Verhandlungen mit den chinesischen Behörden, gerade was die Aufteilung der Kosten anbelangte, nicht umgesetzt werden. Bei den Verhandlungen spielten auch die unterschiedlichen politischen Ansichten eine wichtige Rolle. China verfolgt selbst einen zielstrebigen kulturellen Aktionsplan, im Zuge dessen seit 1978 mehr als 3 500 neue Museen errichtet wurden. Das Land setzt verstärkt auf eigene Strategien und Sammlungen, beziehungsweise auf vermögende Privatsammler.

Auch das Guggenheim, das 1937 in New York gegründet wurde, zählt zu den Museen, die weltweit Tochtermuseen gründen. Die 1951 separat entstandene Peggy Guggenheim Collection in Venedig floss 1976 in die Solomon R. Guggenheim Foundation ein. In den 1980er Jahren entstanden unter dem damaligen Direktor Thomas Krens erste Pläne, das Museum als globale Marke ausbauen. 1997 eröffnete die Filiale in Bilbao; ehemalige Ableger befanden sich in Berlin (Deutsche Guggenheim von 1997 bis 2012), Soho (von 1992 bis 2001) und zweimal in Las Vegas (2001 bis 2003 respektive bis 2008). 2017 soll das von Frank Gerhy gebaute Guggenheim Abu Dhabi eröffnet werden, und vor kurzem wurden auch die Architekten für das Guggenheim in Helsinki bekannt gegeben: Moreau Kusunoki Architectes. Der Name des Museums und die Namen weltbekannter Architekten sollen anziehen. Das von Gehry konzipierte Guggenheim in Bilbao beispielsweise verzeichnet jährlich über eine Million Besucher.

Genau wie im Falle des Centre Pompidou Málaga verlangt das Guggenheim eine finanzielle Beteiligung der Städte, in denen eine Dependance eröffnet werden soll. So sollen neben Lizenzgebühren die Kosten für den Bau und den Unterhalt des Museums von der jeweiligen Stadt (oder dem Emirat, im Falle Abu Dhabis) getragen werden. Wegen der hohen Kosten wurden die gescheiterten Pläne und Verhandlungen um das Guggenheim Rio de Janeiro insbesondere in der lokalen brasilianischen Presse stark kritisiert; der Begriff „neuer Kolonialismus“ fiel. Das Guggenheim Abu Dhabi versteht sich aber seinerseits als neues Modell für die kritische Überprüfung des von Europa und Nordamerika geschriebenen kunstgeschichtlichen Kanons. Das Museum soll das größte je gebaute Guggenheim werden und eine Sammlung „globaler“ Kunst mit Schwerpunkt auf der zeitgenössischen Kunst aus dem Mittleren Osten beheimaten. Auch hier spielt die Kulturpolitik des Landes eine bestimmende Rolle. Abu Dhabi soll zu einem kulturellen Touristenmagnet aufgerüstet werden. Die Kunst und ihre Geschichte werden aber nicht einfach übernommen, sondern mit Blick auf die Landesgeschichte und die bislang als „Peripherie“ geltenden Regionen umgeschrieben.

Das New Yorker Herz des Guggenheim-Impe-riums hat längst selbst diese Lücke in der eigenen Sammlung erkannt, die auf der europäischen und nordamerikanischen Kunst aufgebaut ist. Gemeinsam mit der Schweizer Bank UBS wurde 2012 das Projekt „Guggenheim UBS MAP Global Art Initiative“ ins Leben gerufen, das den internationalen Austausch zwischen Künstlern, Museen und Publikum fördern soll. Der Fokus liegt hier auf den drei Regionen Süd- und Südostasien, Lateinamerika sowie Mittleren Osten und Nordafrika. Aus jeder Region wurde jeweils ein Kurator berufen, der Kunstwerke für Ankäufe vorschlagen soll. Die Wwerke sollen zuerst in New York und später auf einer Wanderausstellung gezeigt werden. Aktuell ist der dritte und vorerst letzte Teil der Initiative, die neu erworbenen Kunstwerke aus dem Mittleren Osten und Nordafrika, im Guggenheim New York zu sehen.

Viele Museen prüfen auf ähnliche Weise ihre Sammlung und ihr Leitbild. Doch die Gefahr eines kulturellen Imperialismus ist groß. Museen, deren Sammlungen auf der so genannten klassischen Moderne, also Kunstwerken aus Europa und Nordamerika gründen, müssen sich zuerst das Wissen über die Kunst aus anderen Regionen und Kulturen aneignen. In Deutschland fördert die Kulturstiftung des Bundes derzeit mehrere Projekte (unter anderem Haus der Kunst in München, Nationalgalerie in Berlin und Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf), die dazu dienen sollen, die Museen zu öffnen und internationaler zu gestalten. Das Haus der Kunst in München widmet sich so unter der Direktion von Okwui Enwezor der Überprüfung „der Nato-Version der Kunstgeschichte“ und untersucht in drei Ausstellungen die Themen „Nachkriegszeit“, „Postkolonialismus“ und „Postkommunismus“.

Auch das 1929 gegründete Museum of Modern Art in New York betreibt seit längerem einen Austausch auf internationalem Niveau. Durch seine geografische Nähe zu Lateinamerika verfügt das Museum auch über zahlreiche Werke von Künstlern der Moderne aus Argentinien, Brasilien oder beispielsweise Kuba. Die von Edward Steichen zusammengestellte Sammlung Family of Man, die heute im Schloss von Clerf beherbergt ist, wurde nach einer ersten Präsentation 1955 im MoMA auf Reisen durch die ganze Welt geschickt. Über acht Jahre lang war sie in 37 Ländern und auf sechs Kontinenten zu sehen. Als Teil des „International Program“ sollte die Ausstellung Menschlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg zum Ausdruck bringen.

Das „International Program“ wurde 1952 etabliert und zählt zu den nachhaltigen Strategien des MoMA, um sich internationaler auszurichten. Durch internationale Workshops, Konferenzen und kritische Diskurse soll ein internationales Netzwerk von Experten, Museumskollegen und Künstlern erschaffen werden, welches das Teilen von Erfahrungen, Recherchen zur globalen Kunst und internationale Programme ermöglicht. Forschungsprojekte zur Kunst aus Ostasien, Lateinamerika und Zentral- und Osteuropa stehen bei dem Unterprogramm „C-MAP“ (Contemporary and Modern Art Perspectives) im Vordergrund. Die partizipative Plattform Post. Notes on modern & contemporary Art around the Globe (http://post.at.moma.org) legt diese Recherchen offen und soll, ganz im Sinne eines international ausgerichteten Museums, das Wissen allgemein zugänglich machen – zumindest dort, wo es Zugang zum Internet gibt.

Gegenwärtig überarbeitet das MoMA seine Renovierungs- und Erweiterungspläne, für die Hollywood-Produzent David Geffen vor kurzem großzügige 100 Millionen Dollar spendete. In der für 2019/2020 geplanten Neueröffnung des Museums sollen verstärkt Werke von Künstlern aus aller Welt gezeigt werden. Die geografische Diversität soll neue Ideen fördern und die Besucher für das Weltgeschehen sensibilisieren.

Gleiches gilt für das neue, von Herzog & de Meuron gestaltete Gebäude der Tate Modern, das am kommenden 17. Juni seine Türen in London öffnen wird. Die Präsentation der Sammlung soll dann eine neue Sicht auf eine globalere Kunstgeschichte ermöglichen. Seit 2000 arbeitet die Tate mit Hilfe internationaler Trustees daran, ihre Sammlung, die zum großen Teil aus europäischer und nordamerikanischer Kunst besteht, um Positionen aus dem Mittleren Osten, Afrika, Indien, Lateinamerika sowie auch Osteuropa zu ergänzen. Dem Wunsch nach Transparenz des britischen Staates als Geldgeber geschuldet legt die Tate ihre neue Vision auf ihrer Webseite klar offen. Jeder Einzelne soll wichtig sein und zu einem Austausch beitragen. Der Neubau der Tate versteht sich als Plattform, die sich an die positiven Qualitäten digitaler Netzwerke anlehnt, Erfahrungen und Wissen zu teilen. Seit 2006 hat die Tate hierfür den so genannten Tate for All. Diversity Action Plan to 2015 vollzogen. Neben der Sammlungserweiterung wurden und werden auch verstärkt Ausstellungen zu internationalen Künstlern gezeigt (aktuell eine Schau über Mona Hatoum). In Bezug auf die Besucher und die eigenen Mitarbeiter bekennt sich die Tate ebenfalls offensiv zum Respekt vor der Differenz und der Diversität.

Auch wenn bei einigen Museen die Tendenz in Richtung Transparenz der Strukturen und Prozesse geht, bleiben die Strategien anderer Häuser weiterhin der Öffentlichkeit verschlossen, da sie politisch motiviert und inszeniert sind. So sorgte die Nominierung von Serge Lasvignes an die Spitze des Pompidou in Paris für einen Eklat in der Presse; selbst die ehemalige französische Kulturministerin kritisierte öffentlich das nicht transparente Auswahlverfahren. Man darf nicht vergessen, dass hinter den jeweiligen Strategien nicht die Institution selbst steckt, sondern ihre Direktoren und Geldgeber, die zudem jederzeit wechseln können. Manch öffentliches Museum bleibt so nach wie vor ein Instrument der jeweils amtierenden Politiker. Dennoch, der Wunsch als Modell für eine bessere, tolerantere Zukunft zu gelten, zeichnet sich allgemein ab und kann als Gegenentwurf zum aktuell sich ausbreitenden Populismus dienen. Ironischerweise stellen sich Länder, in denen gerade von Museen eine internationale Strategie betrieben wird, auf anderen Ebenen des Kunstgeschehens quer. So wird momentan international anerkannten Künstlern die Einreise in die USA verweigert, wenn sie kurz zuvor ein arabisches Land oder den Iran bereist haben.

Florence Thurmes
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