Satire und Religion

Was darf die Satire?

d'Lëtzebuerger Land vom 01.05.2015

Auf die Frage, was die Satire darf, hat Kurt Tucholsky 1919 am Schluss eines Textes zu diesem Thema geantwortet: „alles“.

Zunächst einmal: Satire ist kein Deckmantel für unsaubere Triebe, für die Pseudo-Aufklärer und so genannte Entlarver sie bezeichnen, sondern ein zentraler und integraler Teil unserer literarischen und philosophischen Kultur. Der Westen wäre nicht dort, wo er ist, wenn er diese Stechmücke beizeiten ausgerottet hätte. Jeder, der im Westen lebt, weiß mittlerweile,  dass er dort weder die eigene Religion noch andere aus dem Schussfeld der Satire heraushalten kann. Die Religion als Glaubenssystem hat dort nämlich  zurecht einen niedrigeren Rang als die Rechte des Einzelnen, der sich keiner Religion unterwerfen will.

Nun kann man als Ungläubiger den Respekt vor anderen nicht nur zeigen, indem man sie schont, sondern gerade, indem man sie für voll nimmt und von ihnen eine eigene Haltung in Fragen der Gotteslästerung erwartet. Wer die empörten Muslime mit Kindern vergleicht, denen man den Glauben an den Weihnachtsmann nicht rauben soll (und diese arrogante Position ist nicht so selten), zeigt deutlich, für wen er die Muslime hält: für Unreife, denen man nicht unbedingt unsere Ironie und unsere Fähigkeit zugestehen will, Spott über Heiliges auszuhalten, „da sie noch nicht so weit sind“. Meine Position ist Folgende: Die Religion respektiere ich nicht, aber die Menschen, die religiös sind, respektiere ich am besten, indem ich diese herausfordere und kritisiere.

Wir können nicht Rücksicht auf die Tatsache nehmen, dass zynische Geister das Recht auf freie Meinungsäußerung als Deckmantel missbrauchen; doch genau diesen Missbrauch müssen wir aushalten. Solange der Glaube keine besonderen Rechte genießt, ist er in einer offenen Demokratie Angriffen ausgesetzt und darf keinen Sonderstatus für sich einfordern. Etwa dadurch, dass seine Vertreter dazu neigen, die beleidigte Leberwurst zu spielen. Andernfalls müsste auch jeder Atheist diesen Status und Schutz für sich beanspruchen können und dürfte nicht mehr mit den Zumutungen von Religionen konfrontiert werden. Von niemandem dürfte man mehr eine andere Haltung erwarten als diejenige, in der er sich eingerichtet hat. Veränderung und Wandel würden unmöglich werden.

Ein Kernelement der Demokratie steht und fällt mit der Satire – sie hat sich von den strengen religiösen Prämissen befreit, weil diese nicht in den demokratischen Diskurs passen. Somit ist jeder, der versucht, der Religion zu einem Sonderrecht wie einem Blasphemieparagraphen zu verhelfen, im Grunde kein Demokrat, und wer gar eine ganze Redaktion ermordet, versucht die Demokratie zu unterlaufen. Demokratie funk­tioniert nur  mit „gezähmten“ Religionen, die die demokratischen Spielregeln akzeptieren und für sich keinen Sonderstatus verlangen, wie sie ihn in vormodernen Zeiten genossen haben.

Das Grundproblem der Entrüsteten liegt darin, dass sie über vermeintlich heilige Dinge und Menschen nicht lachen können. Wobei ihnen nicht klar wird, dass diese Dinge und Menschen ihre Heiligkeit einzig und allein von denen beziehen, die sie verehren. Somit ist jedes Lachen über die Religion eines über Menschen, die sich über ihre Mitmenschen erheben wollen. Das Lachen ist auch eine Drohgebärde, mit der man sich vor den Zumutungen von Menschen schützt, die sich hinter einer göttlichen Allmacht verschanzen.

So etwa reagierten Politiker, Gläubige und Kleriker im  Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts,  als George Grosz seinen Christus mit Gasmaske  zeichnete, der ihm den heiligen Zorn aller „richtig Empfindenden“ einbrachte, denen aber angesichts der unsäglichen Gräuel des Ersten Weltkriegs nicht einfiel, dass Grosz christlicher fühlte als sie selbst, die ihren beschränkten Nationalismus nicht in Frage stellen wollten. Sie hatten sich darin eingerichtet und sahen das Problem nicht bei sich, sondern beim vermutlichen Blasphemiker. Eugen Drewermann sieht mit Recht in George Grosz den wirklichen Christen, der die sinnlose Verblendung und Grausamkeit des Ersten Weltkriegs an den Pranger des Gekreuzigten stellte, während diejenigen, die „Blasphemie!“ schrien, nicht verstanden hatten, dass dieser Krieg aus jedem Soldaten und seinen Verwandten einen Gekreuzigten mit Gasmaske machte.

Oft wird die Frage gestellt, ob die Satire auch die Shoah und nicht nur die Religionen angreifen darf. Dabei wird ein fundamentaler Unterschied unterschlagen. Von der Shoah fühlt man sich nicht bedroht und im eigenen Denken eingeschränkt. Wer sollte sich satirisch vor den Opfern der Shoah, die niemanden religiös bedrängen, schützen? Satirisch könnte man vorgehen gegen Leute, welche die ­Shoah für unsaubere Machenschaften missbrauchen. Ich glaube nicht, dass es Satiriker gibt, die sich über die Opfer der Shoah lustig machen wollen. Falls doch jemand dies tun möchte, so stieße er mit Recht auf Hürden, die den Schutz der Person garantieren.

Der Comic-Zeichner Art Spiegelmann, der auch Auschwitz aus der Sicht seines Vaters, der dort einsaß, „behandelt“  hat, meint in einem neuen Comic zum Massenmord in Paris: „Niemanden verletzen wollen ist ein Euphemismus für Todesangst! Kalaschnikows verschaffen unterdessen einfach zu viel Vetomacht ...“

Der Vorwurf der Blasphemie als Beleidigung Gottes zeugt von einem eigenartigen Gottesverständnis. Denn einen Gott, der beleidigt werden kann, kann es überhaupt nicht geben, zu deutlich verriete er seine Herkunft vom Menschen. Hier wird deutlich, dass es nicht um eine adäquate Gottesvorstellung geht, sondern um das Ehrgefühl des Gläubigen, der sich mit seinem Gott identifiziert. Jeder Blasphemievorwurf beweist die Engherzigkeit des Glaubens von dem, der ihn erhebt. Blasphemie ist eine Einladung zum Dialog und wird von jedem gehasst, der keinen Humor hat. Wer meint, Gott lasse sich beleidigen, verrät Gott. Denn ein Gott, den man beleidigen kann, verdient keiner zu sein.

Mit dem mörderischen Attentat vom 7. Januar auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris und den schrecklichen „Hinrichtungen“ von Kopenhagen wurde der Schluss von Tucholskys Text über das, was die Satire darf – nämlich alles – durch selbsternannte Gottesverteidiger in einem Blutbad ertränkt. So könnte man in diesen Massakern eine schreckliche Hochschätzung der Kunst sehen, die sich nur als ein ohnmächtiger Versuch erwies, sie zum Schweigen zu bringen.

Wenn  jemand meint, die Mordtaten der Islamisten seien durch nichts zu rechtfertigen, so mag sein Urteil in unserer Welt zutreffen, doch in der Welt des religiösen Glaubens sind sie Großtat, Gott und seinen Propheten vor den Ungläubigen und ihren Blasphemien zu schützen, indem man diese tötet. So heiß  ist der Glaube im Westen kaum noch, wenn man von einigen christlichen Fundamentalisten in Europa und den USA absieht. Beim Islamismus haben wir es mit einer ungezähmten Religion  zu tun, die das Jenseits dem Diesseits voranstellt und überordnet. Sie rechtfertigt diese Untaten im Namen ihres Glaubens.

Wunderbar wäre es, wenn Satiriker folgenden Satz Lichtenbergs verwirklichen könnten: „Die feinste Satire ist unstreitig die, deren Spott mit so wenig Bosheit und so viel Überzeugung verbunden ist, daß es selbst die zu lächeln nötigt, die es trifft.“ (Lichtenberg, Sudelbücher, H (Bd. 2, 69) Aber in unserer Welt ist das ein Wunschtraum.

Jacques Wirion
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