Chance oder Gefahr? Das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa sorgt nun auch in Luxemburg für Kontroversen

Noch eine Dunkelkammer

d'Lëtzebuerger Land du 04.04.2014

Nicht ein „Jota“ sei bisher niedergeschrieben, hatte Außenminister Jean Asselborn bei der öffentlichen Anhörung in der Abgeordnetenkammer vor gut zwei Wochen beschwichtigt, die déi Lénk angefragt hatten. Thema der rund 30-minütigen Debatte: das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, kurz TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) genannt. Es war das erste Mal, das im Parlament über das Abkommen diskutiert wurde, das, sollte es eines Tages zustande kommen, den Startschuss für den mit 800 Millionen Verbrauchern weltgrößten Binnenmarkt bilden würde.

Ob es zustande kommt und, falls ja, in welcher Form, das steht jedoch auch nach der vierten Verhandlungsrunde, die vergangene Woche in Brüssel stattfand, in den Sternen. Denn die Verhandlungen, die die Europäische Kommission seit Juli vergangenen Jahres mit den Amerikanern hinter verschlossenen Türen führt, rufen immer mehr Kritiker aus ganz unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Lagern auf den Plan.

Nicht nur die intransparente Art der Verhandlungsführung sorgt für Ärger. Obwohl seit zehn Monaten verhandelt wird, hat die Kommission ihren Standpunkt in den Verhandlungen stets geheim gehalten. Erst Ende Februar wurde ihre Position bekannt – nachdem eine deutsche Wochenzeitung den Entwurf zugespielt bekam und veröffentlichte. Kritiker, darunter Umweltschutz- und Verbraucherorganisationen, sehen sich in ihren Befürchtungen bestätigt und klagen an, das Handelsabkommen biete in erster Linie Vorteile und Sonderrechte für multinationale Konzerne.

Harmonisierung oder Dumping Um den Abbau von Zöllen geht es eigentlich weniger, die liegen mit rund in 5,2 Prozent in der EU und 3,5 Prozent in Amerika ohnehin recht niedrig. Wichtiger sind die so genannten nicht-tarifären Hemmnisse, die abgebaut werden sollen. Damit ist nichts anderes gemeint, als eine Harmonisierung verschiedener Regeln, etwa beim Verbraucherschutz, bei Produktkontrollen, bei Lebensmittel- und Umweltstandards, aber auch bei Finanzdienstleistungen, Urheber- und Datenschutzregelungen, beruflichen Qualifikationen und bei der Weiterbildung. Kritiker fürchten, damit könnten nun Schutznormen, für die Europa (oder vielmehr ihre Zivilgesellschaft) teils Jahrzehnte gekämpft hat, wegfallen oder aufgeweicht werden.

Dass plötzlich US-amerikanisches Hormonfleisch, Chlorhühner oder Genmais auf dem Teller europäischer Konsumenten landen könnten, oder auch die besondere Filmförderung, wie sie etwa in Frankreich existiert, in Frage steht, streitet EU-Handelskommissar Karel De Gucht entschieden ab. Tatsächlich nimmt der kürzlich geleakte Kommissionsentwurf audiovisuelle Medien ausdrücklich aus der Liberalisierung und Harmonisierung aus. Aber es ist eben nur die europäische Verhandlungsposition, von der nicht gesagt ist, dass die Amerikaner diese ohne Gegenleistungen akzeptieren werden. Zudem gibt es Tausende anderer Schutznormen, die in den USA und Europa ganz unterschiedlich geregelt sind. Die Agrarwirtschaft in Amerika beispielsweise ist wesentlich extensiver als in Europa, wo die Höfe eher kleiner sind. Tierhaltung in Europa unterliegt allgemein schärferen Normen als in den USA. Andererseits ist die Kennzeichnungspflicht bei der Herkunft und Zusammensetzung von Lebensmitteln in Amerika teils strenger als in der EU. Die USA haben weder das Kioto-Abkommen, noch die UN-Konvention zur Biodiversität unterschrieben und auch nicht die zur Artenvielfalt. Auch soll die öffentliche Daseinsvorsorge weiter zur Privatisierung geöffnet werden.

Für Justin Turpel von déi Lénk ist das geplante Freihandelsabkommen daher „ein klarer Angriff auf soziale Rechte, Ökosysteme, Dienstleistungen, in einem Maß, wie wir das in Europa noch nie gekannt haben“. Andere, vor allem die Europäische Volkspartei, aber auch die Sozialisten und Sozialdemokraten sehen in TTIP eine Chance, die erlahmte Wirtschaft in der EU anzukurbeln. Außenminister Asselborn unterstrich die Bedeutung der USA für Luxemburg „als ersten Handelspartner außerhalb der EU“. Luxemburg importiere Güter im Wert von 1,77 Milliarden Euro aus den USA, der Export nach Amerika mache mit 393 Millionen Euro vier Prozent des hiesigen Bruttoinlandsprodukts aus.

Wohlstand für alle – oder für Konzerne Doch nicht einmal das gewichtigste Argument der Kommission für das Freihandelsabkommen, die Schaffung von mehr Wohlstand und mehr Jobs, scheint gesichert. Um die positiven Effekte von TTIP zu unterstreichen, beruft sich die Kommission auf eine Studie, wonach das europäische BIP dank TTIP um 119 Milliarden Euro jährlich wachsen würde. Diese Summen wurden, sieht man von déi Lénk und den Grünen ab, von Luxemburger Politikern kaum hinterfragt. Der Blogger Glyn Moody, der die TTIP-Verhandlungen akribisch verfolgt, hat die Zahlen überprüft: Die Studie beziehe ihre Berechnungen auf den Referenzraum 2017 bis 2027. Die 545 Euro, die laut Kommission jede vierköpfige Familie dank TTIP jährlich zusätzlich in die Haushaltskasse bekomme, reduzieren sich somit auf rund 60 Euro im Jahr. Der reale Effekt von TTIP für den europäischen Verbraucher entspreche „eine Tasse Kaffee zusätzlich im Monat“, spöttelte der Brite. Auch das versprochene Jobwunder fällt womöglich weniger groß aus: „Die Gewerkschaft IG Metall geht davon aus, dass die Auswirkungen von TTIP auf den Arbeitsmarkt nicht viel stärker sind als die saisonalen Schwankungen “, dämpft Jean-Claude Reding zu hohe Erwartungen. Weil TTIP die Öffnung der öffentlichen Auftragsvergabe für Privatunternehmen vorsieht, fürchtet der OGBL-Präsident Sozialdumping: „Da stellen sich riesige Probleme.“ Theoretisch könnte sich dann ein texanisches Unternehmen auf eine Ausschreibung der Differdinger Gemeinde melden.In den USA werden viele Aufgaben, die in Europa die öffentliche Hand erledigt, von Privatunternehmen übernommen. Der OGBL und seine Vertretung auf europäischer Ebene, der Europäische Gewerkschaftsbund, fordern den Stopp der TTIP-Verhandlungen.

Investoren-Klageflut befürchtet Der größte Stein des Anstoßes, der Investitionsschutz, kurz ISDS (investor-to-state dispute settlement) ist inzwischen aus den Verhandlungen ausgeklammert, nachdem sogar die deutsche Regierung, sonst vehemente TTIP-Befürworterin, Zweifel anmeldete. Demzufolge würden US-Investoren spezielle Klagerechte gegenüber der EU erhalten; umgekehrt könnten europäische Unternehmen die USA verklagen. Ursprünglich wurde das ISDS-Verfahren konzipiert, um westliche Unternehmen in politisch instabilen Ländern vor Enteignung oder „unfairer Behandlung“ zu schützen. Was damit gemeint ist, legen internationale Schiedsgerichte außerhalb des ordentlichen Justizapparates fest, deren Entscheidungen nicht angefochten werden können. Wozu aber brauchen Unternehmen in den USA und in Europa, die beide funktionierende Rechtssysteme haben, einen besonderen Schutz, fragen Rechtsexperten.

Immer mehr Unternehmen nutzen die Klagemöglichkeit vor den Schiedsgerichten, um gegen gesetzliche Bestimmungen vorzugehen, durch die sie ihre Profite gefährdet sehen. So verklagte beispielsweise die Marfin Investmentgroup aus Griechenland, die bei der verstaatlichten zypriotischen Pleite-Bank Laiki große Anteile erworben hatte, die dortige Regierung wegen entgangener Gewinne. Insgesamt beläuft sich die Schadensforderung an den zyprischen Staat auf rund eine Milliarde Euro. In Deutschland verklagt Vattenfall die Regierung wegen mit dem Atomausstieg verbundener wirtschaftlicher Nachteile. Es ist also schon heute so, dass Investoren Staaten auf hohe Summen verklagen, einer Studie der konzernkritischen Organisationen Corporate Europe Observatory und The Transnational Institute zufolge sollen Investor-Staat-Klagen inzwischen ein lukratives Geschäft sein. Häufig trifft es Länder, die wie Griechenland wegen der Krise schon am Boden sind.

Aufgrund der zunehmenden Kritik aus Mitgliedstaaten wie Deutschland, den Niederlanden, Spanien und Finnland, und nachdem der grüne EP-Abgeordnete Sven Giegold regelwidrig Dokumente über den geplanten Investitionsschutz veröffentlicht hatte, versprach die Kommission im Januar, die Öffentlichkeit anzuhören. Drei Monate sollen die Konsultationen dauern, der Startschuss fiel vergangene Woche. Der Leiter der Luxemburger Vertretung der Kommission, Georges Bingen, nimmt dies als Beweis dafür, dass die Kommission hinzugelernt habe und sich öffne. Er verschweigt zugleich, dass die Konsultation erst auf öffentlichen Druck hin zustandekam – und dass die Kommmission an die Beratungsergebnisse nicht gebunden ist. Die Föderation der Handwerksunternehmen in Luxemburg wurde erst diese Woche aufgefordert, ihre Sichtweise darzulegen. Andere Arbeitgebervertretungen wie die Handelskammer, haben noch keine offiziellen Positionen zu TTIP. Die US-Handelskammer Amcham in Luxemburg wirbt dagegen schon seit Monaten für die Vorzüge von TTIP und plant für den 24. April ein Abendseminar zum Thema, die Luxemburger Vertretung der Kommission lud am Donnerstag zur Diskussion ein.

Nichts zu verstecken, nichts enthüllt Nicht einmal das Verhandlungsmandat der Brüsseler Beamten wäre heute bekannt, wäre es nicht geleakt worden. Kommissar Karel De Gucht betonte vor EP-Abgeordneten am Dienstag, er habe nichts zu verstecken. Es seien die europäischen Staats- und Regierungschef sowie die Amerikaner gewesen, die sich darauf verständigt hätten, die Verhandlungen im Geheimen zu führen. Er habe den Europäischen Rat ersucht, das Mandat zu veröffentlichen, dieser habe abgelehnt. Offenbar hat auch Luxemburg dieses Votum mitgetragen. Die grüne Umweltministerin Carole Dieschbourg hatte vor wenigen Tagen die mangelnde Transparenz kritisiert.

Dass der Investitionsschutz noch lange nicht vom Tisch ist, wurde in der letzten EP-Handelsausschusssitzung vor den Europawahlen deutlich: „Ich bin sicher, dass die einzig gute Lösung ist, einen (Investitionsschutz, die Redaktion) zu haben, aber in einer völlig neu gerahmten Fassung“, warb De Gucht vor den Ausschussmitgliedern für den ISDS. Brüsseler Beamte haben ihre Sprache geändert und preisen ISDS als Chance an, die internationalen Schiedsgerichte zu reformieren. Im Kommissionsentwurf freilich ist dazu nichts Konkretes zu finden. Das Freihandelsabkommen, das die EU derzeit mit Kanada verhandelt, deutet eher darauf hin, dass die umstrittene Schiedsgerichtspraxis in ihrer aktuellen Form weitestgehend beibehalten werden soll.

Gewerkschaften, Umweltverbände und Verbraucherschutzorganisationen in Europa mobilisieren daher weiter gegen die TTIP-Verhandlungen. In Luxemburg haben sich Caritas, Greenpeace, Mouvement écologique und die Gewerkschaften zu einer Arbeitsgruppe zusammengetan. „Wir wollen Kräfte bündeln“, so Jean-Claude Reding vom OGBL. Bis Mai soll eine gemeinsame Position ausgearbeitet werden, die dann bei der für Ende Mai geplanten Anhörung im Parlament vorgestellt werden soll. Der parlamentarische Europa- und Außenhandelsausschuss hat derweil einen Brief an den Außenminister geschickt. „Wir möchten über die Verhandlungen auf dem Laufenden gehalten werden“, betont der Ausschussvorsitzende Marc Angel (LSAP). „Die nationalen Parlamente müssen den Text später ratifizieren.“

Wie gut informiert die Parlamentarier sein werden, um von ihrem Mitspracherecht Gebrauch machen zu können, ist indes nicht sicher. In einer parlamentarischen Anfrage an den polnischen Außenminister, die derzeit im sozialen Netzwerk Twitter kursiert, versetzte dieser den Hoffnungen polnischer Abgeordneten auf mehr demokratische Beteiligung einen Dämpfer: Der Vertragstext zum freien Handel werde nur „im finalen Stadium der Verhandlungen, nach der Unterschrift der beiden Seiten“ zugänglich gemacht.

Ines Kurschat
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