Happy End, Happy Beginning? Ist der blaue Alptraum zu Ende? Geht der Teddy mit den harten Knopfaugen wieder nach Hause zu seiner Frau und seiner Tochter, von denen er immer redet?

Immer wieder Österreich!

d'Lëtzebuerger Land vom 27.05.2016

Die Guten haben gewonnen, in der Auslage wird Österreichs zivilisiertes Gesicht präsentiert. Die beruhigende Stimme des Professors erklingt in den „Tagesthemen“ im deutschen Fernsehen.

Ganze 0,6 Prozent, 31 026 Stimmen, trennen den Sieger der Stichwahl im Kampf um die Präsidentschaft Alexander Van der Bellen von Norbert Hofer, dem Kandidaten der rechten FPÖ. Die Zitterpartie ist beendet, in den sozialen Medien wurde kollektiv getwitterzittert und herzgeflattert, virtuelle Händchen wurden gehalten. Auf beiden Seiten. Dann das sprichwörtliche Aufatmen, das durch Europa geht. Die Journalist_innen vor der Wiener Hofburg gehen auf Chill-Modus, geiler wäre natürlich der Sieg der Rechten gewesen, das hätte bessere Headlines gegeben. Alexander Van der Bellen steht vor imposanten Flaggen vor dem weißen Palais Schönburg, ein Weißes-Haus-Touch geht von der Inszenierung aus, schaut man genauer hin, wirkt der Palast freundlich verlebt, wienerisch.

Happy End, Happy Beginning? Ist der blaue Alptraum zu Ende? Geht der Teddy mit den harten Knopfaugen wieder nach Hause zu seiner Frau und seiner Tochter, von denen er immer redet? Und macht der zerstreute Professor, der, wie er im deutschen Fernsehen sagte, erst mal neben sich stand, alles wieder gut? Gräben zuschütten, aufein-ander zu gehen, geht das? Nach all dem, was passiert ist und was rumort?

Aber was ist passiert? Österreich reibt sich die Augen, das Ausland wendet sie wieder ab, fürs Erste.

Die Präsidentschaftswahl: bei den einen Schock, bei den andern Freudentaumel. Die Altparteien brutal abserviert. Der Favorit, früher Vorsitzender der Grünen, jetzt raffiniert als Unabhängiger kandidierender Wirtschaftsprofessor weit abgeschlagen hinter dem Kandidaten der FPÖ. Der NLP-geschulte dritte Nationalratspräsident und Flugzeugtechniker schien körpersprachlich, selbst rhetorisch dem schläfrigen Professor oft überlegen. Die von einem Paragleitunfall stammende Gehbehinderung baute er geschickt in Selbstdarstellung und Selbstinszenierung ein. Die wiederkehrende Erwähnung seiner Frau als Altenpflegerin war das nicht zu toppende Plus. Da war weder die naziblaue Kornblume im Knopfloch noch die Mitgliedschaft in einer deutschnationalen schlagenden Burschenschaft wichtig.

Eine Woche nach dem Wahlfiasko das Fiasko beim Mai-Aufmarsch der Sozialdemokraten vor dem Wiener Rathaus. Die rote Familienfeier mit ihren Selbstbestätigungsritualen geht in einem Schwall von Buhrufen unter. Die kommen aus den eigenen Reihen. Die Abkehr vom flüchtlingsfreundlichen Kurs hat die Parteilinken verärgert und die mit Rechts Flirtenden nicht besänftigt. Ein Rezept gegen die steigende Arbeitslosigkeit scheint nicht in Sicht. „Wenn ich groß bin, geh ich AMS,“ hat Biber getitelt, eine von Neo-Österreicher_innen gestaltete Zeitschrift, die sich auf unterhaltsame Art mit Themen rund um Migration und Zugewanderte beschäftigt. Eine stets wachsende Zahl von Wiener_innen pilgert zum AMS, dem Arbeitsmarktservice, der die Arbeitslosigkeit verwaltet, Joblose in oft als absurd empfundene, aber in vielen Fällen auch psychisch stabilisierende Kurse steckt. „In Wien wird den Leuten vermittelt, dass sie nicht arbeiten müssen, wenn sie nicht wollen“, urteilt ein Grundschullehrer. Unbedingt arbeiten wollen? Wenn die Mindesteinkommen bei unattraktiven Jobs knapp über der Mindestsicherung liegen?

Der Sozialabbau war in den letzten Jahren nicht so drastisch wie in anderen europäischen Ländern. Österreich betreut seine stets zahlreicher werdenden sozial Schwachen, zu denen auch immer häufiger Akademiker gehören, einigermaßen. Aber bietet das eine Perspektive? Eine betreute Bevölkerung?

Da half das hilflose Gewedel der Bodentruppen mit „Werner, der Kurs stimmt“-Fähnchen auch nicht mehr.

Eine Woche nach dem Debakel am 1. Mai räumt Bundeskanzler Werner Faymann das Feld und sein Büro. Christian Kern kommt. Der Chef der Österreichischen Bundesbahn, der den Transport der Flüchtlinge kompetent und menschenwürdig organisiert hat, wird aus dem Hut gezaubert. Kern wie Kernkraft, die Wortspiele explodieren. Die Strahlkraft des Managers, der wie ein Pragmatiker und ein Philosoph zugleich wirkt, geht auf die Menschen über. Er könnte ein zen-buddhistischer Boxer-Manager sein, wie sie in den Romanen der Achtigerjahre in waren. Jemand, der konzentriert kämpft und auch weiß wofür. Etwas wie Hoffnung, wie Aufbruch geht von ihm aus. Humphrey Bogart, schwärmt dann auch noch ein für seine Liebes- und Hassbriefchen berüchtigter Krone-Journalist.

Van der Bellen ersucht seine Anhänger, auf Demos zu verzichten. Wissend, dass dies ein reflexartiges Jetzt-erst-recht-Rechts zur Folge hat. Stattdessen Grass-root-Taktik, jeder solle seine Leute mobilisieren. Briefentwürfe kursieren mit Tipps, wie man Großeltern und Nachbarn überzeugt. Intellektuelle und Künstlerinnen kampagnisieren, Hofer diffamiert sie als Hautevolée. Die bewährte Angstmaschine wird angeworfen, schon wieder. Einige ödet es an, sich auf Kommando zu den Guten zu bekennen, sie reden von Erpressung, erwägen, weiß zu wählen. Heftige Fehden im linken Facebook-Milieu sind die Folge, Freundschaften werden aufgekündigt, wenigstens ein Posting lang.

„Noch ein paar Vergewaltigungen, und wir haben Hofer“, sagt eine Journalistin in einer Talk-Runde. Zunehmend werden sexuelle Übergriffe, auch auf ältere Frauen, bekannt, mehrere Vergewaltigungen. Die brutale Vergewaltigung einer jungen Frau durch drei Afghanen in einer Toilette sorgt für Entsetzen. „Jetzt müssen wir nicht nur Angst um unsere Frauen und Töchter haben, jetzt müssen wir auch Angst um unsere Mütter und Großmütter haben“, schreit ein FPÖler auf einer Kundgebung. Wie ein Mann stehen die Männer zusammen. Ja, es fürchten sich Frauen und Mädchen zunehmend, sich im einst märchenhaft sicheren Wien nachts frei zu bewegen. Opfer von Medienberichterstattung, von rechten Parolen? Paranoia? Feministinnen werfen sich gegenseitig Rassismus oder sträfliche Blauäugigkeit vor.

Dann wird am Brunnenmarkt, dem alternativen In-Viertel, in dem Migrant_innen, Bobos und Studenten nebeneinander leben, eine österreichische Putzfrau brutal von einem jungen Afrikaner ermordet, der seit Jahren verwahrlost und verwirrt auf der Straße lebte.

Abschlusskundgebung vor der Stichwahl in Favoriten, was man früher, als es noch Arbeiter gab, einen Arbeiterbezirk nannte. Keine Massen, die Atmosphäre eher gedämpft. Vielleicht, weil zum ersten Mal keine Linken und Antifa- Gruppen anheizen.

„Vergewaltigung!“ schreit Strache, so wie er früher „Minarett!“ schrie. Aufpeitschende Losungsworte. „Die ermordete Frau am Brunnenmarkt war ein Parteimitglied“, schreit Strache. Drei Burschen mit Bierdosen in der Hand, geschorene Köpfe, fehlende Zähne, die immer wieder grölend die Arme hoch schmeißen. Viele hier sind alt, arm, behindert, in den Marktbuden am Rand hocken besoffene Familien. „Ihr seid die hässlichsten Menschen Österreichs!“, brüllte Strache einmal und las den Menschen vor, was eine Profil-Journalistin über sie geschrieben hatte. Ein beschämender Augenblick.

Ein Mann will mir ein rot-weiß-rotes Windrädchen andrehen. Ich sage, ich sei älter als vier und Ausländerin. Eine Feindin. Gerade hetzt Strache über Juncker: Warum der sich mit seiner Wahlempfehlung in die österreichischen Wahlen einmische. Wenn Sie Ausländerin sind, können Sie ja gehen, sagt der Mann. Ich weise auf meine lange Insassinnenschaft hin, auf Kinder, die österreichische Staatsbürger sind. Der Mann fragt, ob ich in meiner Heimat verfolgt werde. Ich verneine. Ja dann, sagt er, wir wollen, dass die Ausländer gehen. Ich könne jederzeit als Touristin kommen. Und eine Heimat brauche ein Mensch ja schließlich.

Beinahe nostalgisch erinnere ich mich an Haider, wie der bei einer Kundgebung auf mich zustürzte, meine Hand rüttelte und bei meiner Anmerkung, ich sei Ausländerin, sich grinsend zum Gefolge wandte: „Haben wir etwas gegen Ausländer?“ Warum lügt dieser Mann nicht? Sind die Zeiten wirklich so rabiat geworden? Dass eine Weiße, eine EU-Bürgerin keine gute Ausländerin mehr ist? Und dass diese weiße EU-Bürgerin sich dabei ertappt, auf ehemals mildernde Umstände hinzuweisen? Ist sie jetzt auch gemeint? Im Feindbild?

Die Band spielt Immer wieder Österreich, die FPÖ-Österreich-Hymne, die Menschen singen mit. Vielleicht klappt es ja am Sonntag endlich.

Es klappt nicht.

Zum Jubeln gibt es keinen Anlass.

Michèle Thoma
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