Gëlle Fra: Reinemachen im Erinnerungsraum

Vom Richtigen im Falschen?

d'Lëtzebuerger Land vom 17.02.2011

Es ist vollbracht: Die Gëlle Fra steht wieder an ihrem Ort, vereint mit ihren beiden Soldaten. Nur die städtische CSV trauerte allen Ernstes in einem Communiqué dem Standort neben dem Bierzelt nach.

Rekapitulieren wir noch einmal: In der Form veritabler kultureller Fehlleistungen hatten sich zwei Politiker in einer großen Koalition angeschickt, sukzessive die Teildemontage eines Kriegsdenkmals vorzunehmen, um ein krudes Weltausstellungspavillon zu pimpen und anschließend der Provinz ein Event zu bescheren. Nach der anfänglichen Ablehnung weiter Kreise folgte bei den Kritikern die klammheimliche Hoffnung, dass hier zwei fehlleistende „Nützliche Idioten“ (Lenin) am Werk seien, ihre Schüsse nach hinten losgehen würden und wir, von ihnen unbeabsichtigt, wunderbare Diskussionen zu Kunst, Politik und Identität in Medien und auf Podien haben würden. Die hatten wir dann zwar auch ...

Sieben Millionen Besucher in Shanghai, respektive 37 000 in Bascharage sind die Erfolgsmeldungen zum Trip der Gëlle Fra. Diese wurden von den Akteuren auch gerne nachträglich als Nachweis der Richtigkeit des Unterfangens betont. Nur: Erfolg an sich stellt keine Bedeutung her, sondern kann nur Gegenstand von Deutungen sein. Damit will gesagt sein, dass dieser Erfolg zunächst das Ergebnis von Organisation und Kommunikation ist, also technischer Art.

In bester popkultureller Warhol‘scher Manier haben es die Akteure verstanden, die Wahrnehmung der Skulptur vom Gegenstand zur Ikone verwandeln zu lassen: Teil eines Denkmals, Skulptur an sich, Kunstwerk, Wahrzeichen, Gadget ist die Reihenfolge. Zunutze gemacht hat man sich, dass der Spannungsbogen der nur noch schwachen Konnota­tionen zwischen Trauerarbeit und Tourismus erschlafft war. Geworden ist die Gëlle Fra im Ergebnis ein nationales Wahrzeichen, dessen es im Übrigen wohl bedurft hat. Hier könnte man durchaus mit Respekt vor den Akteuren vom Richtigen im Falschen sprechen.

Die wissenschaftlich korrekte und erschöpfende historische Aufarbeitung aus Anlass der Ausstellung in Bascharage hat in der Nachwirkung den kollateralen Effekt, dass einerseits das ehemals Auratische der Skulptur mit der gründlichen Bearbeitung und Dokumentation zurückgedrängt und andererseits Geschichte, durch das „Wegarchivieren“ abgelegt, zur Story wird. Durch eine Art Personality-Show ist die Gëlle Fra „vermensch­licht“ zur solitären Figur geworden. Sogar die in Bascharage integrierten und an sich gelungenen künstlerischen Interventionen fungierten, instrumentalisiert, als Schlusspunkt der kritischen Auseinandersetzung. Man ging gleichsam mit der Taschenlampe durch die verschiedenen Erinnerungsräume, und während das Nächste erhellt wird, verschwindet das Vorherige im Dunklen. So steht am Ende nur noch die Reise samt Ausstellung, die auf die Verwandlung der Figur zum „berühmten“ Wahrzeichen hingearbeitet haben.

Denkmäler sind als „Lieux de mémoire“ (Pierre Nora) das Ergebnis von „Milieus de mémoire“, das heißt, dass sich kollektive Erinnerung einen Ort sucht oder bestimmt, der Gedenken materialisiert und so erfahrbar lassen möchte. Oft führt gerade ein Schwinden des „Milieu“ zum kollektiven Wunsch der Errichtung eines „Lieu“, an dem sich Gedenken also klammern kann. Versiegt aber ein solches „Milieu“ in der Folge, wird der dann erinnerungsbefreite Ort, also das Denkmal, im musealen Sinn vergegenständlicht und historisch. Wenn man so will, haben Robert Goebbels und nach ihm Michel Wolter das auch, wohl eher instinktiv, erkannt und diesen Prozess mit dem der Ikonisierung hin zum Wahrzeichen abschließen können. Das Demontieren der Figur von ihrem hohen Sockel und sie in nächster Nähe zur Schau Stellen, sie gar zur Berührung frei zu geben, ist museales Verfahren. Museal heißt hier: Des ursprünglich sinnbefrachteten Kontextes beraubt und zu einem Gegenstand an sich verwandelt.

Befreit aus den Erinnerungsräumen der Geschichte, kann sie ihre Wahrzeichenfunktion unbekümmert erfüllen, wie uns die Souvenir-Industrie bereits zeigt. Besonders in einem Land, das auf einen historischen Kanon von „starken“ Frauen zurückgreifen kann, beispielsweise Melusine, Ermesinde, Mutter Gottes, Großsherzogin Charlotte. Die Hundertschaften an Schülern, die für und während der Bascharager Ausstellung Zeichnungen anfertigten, dürften Teil der ersten Generation sein, die dieses Nationalsymbol als solches und völlig „in nude“ verinnerlicht haben wird.

Warum war sie so lange verschollen? Im vergangenen Jahr wurde akribisch versucht, die Umstände oder mögliche Komplotte zu rekonstruieren, die verhindert haben sollen, dass das Denkmal bald nach dem Krieg wieder vollständig errichtet wurde. Erklärungen dazu sind in Wirklichkeit auf anderen Ebenen zu finden. In den Fünfzigerjahren bereits hatte mit dem allgemeinen Einzug der Abstraktion in der internationalen Kunst auch die Akzeptanz für figürliche Kunst, einschließlich der Denkmäler abgenommen. Dann hatte sich das Gedenken an den Ersten Weltkrieg durch die rezenten Schrecken des Zweiten entfernt, wobei die besondere Situation Luxemburgs war, dass das neutrale Land in eine spezielle Opferrolle geraten war: Fremdbesetzt im Handstreich und fremdbefreit. Die eigenen Soldaten traten nur, erniedrigt, als Zwangsrekrutierte an. Und so wie die Täter verdrängten, hat Luxemburg auch als Opfer seine Verdrängungsarbeit geleistet. Im Kontext dieser Verdrängung und der erlebten Schmach machte eine sofortige Wiederherstellung des Kriegsdenkmals keinen Sinn. Zudem brach der Kalte Krieg aus und Westeuropa, mit Luxemburg als treibende Kraft, versuchte sich an einem Einigungsprozess. Es wäre also eher die spannende Frage zu stellen, weshalb überhaupt dann in 1985 die Zeit reif war, das Denkmal zu rekonstruieren. Vermutlich war der zeitliche Abstand bereits groß genug, und die schwindende Erinnerung an großes Leid einerseits und das obsolete Verdrängen andererseits ließen aus der Sicht des überwiegenden Teiles der Bevölkerung, besonders der Nachgeborenen und der Zugezogenen, diese Möglichkeit zu. Es war kein wirklich nationales Kriegsdenkmal mehr, sondern bediente zunächst quasi funktional das virulente Bedürfnis der Veteranen, einen Erinnerungsort zu haben. Das im Übrigen zeitnah, 1984, das Sprachengesetz als erster Meilenstein zur anstehenden Rekonstruk­tion nationaler Identität gesetzt wurde, rundet dieses Bild ab.

Wahrzeichen sind „softe“ Nationaldenkmäler. Die Nutzungsbestimmung der Gëlle Fra liegt jetzt zwischen Nationalsymbol und Wahrzeichen, wobei das Letztere ab sofort bedeutender zu sein scheint, weil es das Erstere auf ihrem gemeinsamen Weg beschädigt hat.

Bereits die vergleichende Ansage Robert Goebbels, dass beispielsweise die Dänen ihre Meerjungfrau nach Shanghai schicken würden, bereitete das Gelände vor. In Zeiten, in denen nicht nur Städte sich Marketingstrategien aneignen, sondern sich ganze Länder entsprechende Identitäten verpassen wollen, fiel die Wahl auf die Gëlle Fra, einer Funktion zu entsprechen, wie sie an andere Stelle das Manneke Pis, der Eiffelturm oder eben die Meerjungfrau erfüllen. Vor diesem Hintergrund ist dann auch anzuerkennen, dass die Herren Goebbels und Wolter es mit politischer Schläue erreicht haben, der Hauptstadt des Landes ein wirkliches Wahrzeichen zuzuschreiben. Es bedurfte eines kleinen kollektiven Brainwashs, eines Zumauern von bereits verdunkelten Erinnnerungsräumen, um der Edel-Karosse Luxemburg endlich eine adäquate Kühlerfigur zu geben.

Hans Fellner
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